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Schleuser-Skandal
Wie ein CDU-Spitzenpolitiker aus Rhein-Erft die Machenschaften unterstützt haben soll

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18.04.2024, Köln: Aktion gegen Schleuser von der Bundespolizei auch in Köln-Rodenkirchen. Foto: Arton Krasniqi

Ein Polizist bei Durchsuchungen gegen die mutmaßlichen Schleuser in Köln-Rodenkirchen

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Schleusung und der Bestechlichkeit.

Kurz vor Weihnachten platzte dem Frechener Anwalt und mutmaßlichem Boss der sogenannten Luxusschleuserbande der Kragen. Claus B. war sauer auf diese Frau vom Ausländeramt des Rhein-Erft-Kreises, die ihn und seine „Kunden“ aus China immer noch betreute. Gerade erst habe sie ihm die Aufenthaltsgenehmigung für zwei vermögende Investoren aus dem Reich der Mitte verweigert. Die Personalie der renitenten „Dame“ vom Amt müsse nun ein für alle Mal geklärt werden, polterte der Jurist am 22. Dezember 2021 in einer Mail an einen einflussreichen CDU-Politiker im Rhein-Erft-Kreis.

Seit Wochen berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“ über die rheinische Schleuser-Affäre mit dem Frechener Rechtsanwalt Claus B. als einem der mutmaßlichen Köpfe. Je tiefer die Recherchen führen, desto mehr finden sich fragwürdige Kontakte in Parteikreise vor allem von CDU und SPD. In Düren, Kerpen, Solingen und dem Rhein-Erft-Kreis gelang es Claus B. und seinen Komplizen nach den Erkenntnissen der Ermittler, reiche Migranten aus dem Nahen Osten, Indien und vor allem aus China einzuschleusen. Dafür verlangten sie von den Schein-Migranten eine „Gebühr“ von bis zu 350.000 Euro. So steht es in den Ermittlungsakten der Schwerpunktabteilung gegen die Organisierte Kriminalität (ZeOS) bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf.

Dubiose Parteispenden und zweifelhafte Gefälligkeiten

Bei den Aktivitäten des mutmaßlichen Schleuserchefs sollen nach Recherchen dieser Zeitung etliche Politiker geholfen haben. Ob sie von den mutmaßlich rechtswidrigen Praktiken gewusst oder sich lediglich instrumentalisiert haben lassen, muss im Einzelfall noch geklärt werden. Es geht um dubiose Parteispenden, politische Einflussnahme und zweifelhafte Gefälligkeiten, um Widerstände örtlicher Ausländerbehörden aus dem Weg zu räumen.

Einer der Beteiligten, auf den sich jetzt die Aufmerksamkeit richtet, ist ein altgedienter CDU-Politiker aus der Region. Wie abgehörte Gespräche der Bundespolizei bei ihren verdeckten Ermittlungen nahelegen, soll er sich für die Interessen des mutmaßlichen Schleuserchefs Claus B. bei der Verwaltungsspitze im Landkreis eingesetzt habe.

ARCHIV - 18.04.2024, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Ein Polizist trägt im Rahmen einer Razzia gegen Schleuser einen Karton aus einem Gebäude.  (zu dpa: «Wüst zu Schleuser-Affäre: Spenden werden auf Anwaltskonten überwiesen») Foto: Benjamin Westhoff/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein Polizist trägt im Rahmen der Razzia gegen Schleuser einen Karton aus einem Gebäude.

Nach Recherchen des „Kölner-Stadt-Anzeiger“ vermutet die Staatsanwaltschaft, dass der im Rhein-Erft-Kreis einflussreiche Politiker beim Schleuserchef Dankeschön-Spenden für seine politische Einflussnahme bei der Kreisverwaltung eingeworben haben könnte. Tatsächlich flossen in den Jahren 2021 und 2022 insgesamt 12.500 Euro an die Partei im Landkreis durch Anwalt Claus B. In dem Zusammenhang ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Christdemokraten wegen des Anfangsverdachts der gewerbsmäßigen Schleusung und der Bestechlichkeit. Der Politiker hatte in der Vergangenheit betont, niemals Kenntnis oder auch nur eine Ahnung von kriminellen Schleuser-Aktivitäten gehabt zu haben.

Sachbearbeiterin im Ausländeramt stellte sich quer

Konkret geht es darum, dass sich eine Sachbearbeiterin aus der Ausländerbehörde querstellte, als die Kanzlei von Claus B. Aufenthaltstitel für einreisewillige Chinesen beantragte. Der CDU-Politiker soll sich eingemischt haben, um das Problem mit der Verwaltungsangestellten zu lösen. Belauschte Telefonate zwischen ihm und dem mutmaßlichen Schleuseranwalt B. nähren diesen Verdacht.

Am 23. Dezember 2021 beispielsweise sprachen die beiden Protagonisten über die missliebige Teamleiterin Sybille Müller (Name geändert) aus dem Ausländeramt. Die Mitarbeiterin hatte Kontrollen veranlasst, bei denen die angeblichen Migranten an ihren Meldeadressen nicht angetroffen wurden. Frau Müller sperre sich nur, weil sie einen besser dotierten Job in der Verwaltung suche, zürnte Anwalt B. Der Politiker erkundigte sich, ob die Leute denn wirklich nicht an der gemeldeten Adresse wohnen. B. versicherte, dass alles seine Richtigkeit habe, womit der CDU-Mann sich zufriedengab. Er erwiderte, dass er sich an einen Vorgesetzten der Frau aus dem Ausländeramt wenden werde, um den angeblichen Kontrollwahn der Sachbearbeiterin zu beseitigen.

Bei Hausbesuchen wurde kein einziger der Migranten angetroffen

Tatsächlich legen weitere abgehörte Gespräche den Schluss nahe, dass der Politiker seine Kontakte genutzt hat – was dieser bestreitet. So bat der mutmaßliche Schleuser-Chef um einen Termin bei der Ausländerbehörde, der am 25. Februar auch stattfand. Der CDU-Politiker hatte zuvor versichert, im Amt sei man voll auf Kurs. Das Meeting sei toll gelaufen, berichtete Anwalt B. anschließend im belauschten Telefonat. Die Akten würden endlich in ihrem Sinne bearbeitet und zugemacht.

Kurz darauf funkte der Jurist einen Komplizen euphorisch an: In wenigen Wochen könne man die neuen Niederlassungserlaubnisse abholen. Bei einer vorherigen Kontrolle, veranlasst durch Teamleiterin Müller, wurde den Unterlagen zufolge kein einziger der angeblichen Migranten an seiner Meldeanschrift angetroffen. Der Verantwortliche im Ausländeramt soll bei dem Treffen mit B. dessen Erklärung, wonach die betroffenen Personen beruflich häufig im Ausland seien, zu Protokoll genommen haben. B. zeigte sich gegenüber seinem Komplizen zuversichtlich, dass weitere Kontrollbesuche bei den Mandanten in Zukunft unterbleiben würden.

Die Mitarbeiterin des Amtes wechselte die Stelle

Sieg auf voller Linie, so scheint es. Zumindest klingt es im Telefonat zwischen dem Schleuserboss und dem CDU-Spitzenpolitiker aus dem Februar 2022 so. Die nervige Sachbearbeiterin wechsele bald ins Rechnungsprüfungsamt, berichtete Claus B. Damit sei sie endlich raus aus dem Ausländeramt. Der Christdemokrat entgegnete: „Gott sei Dank“. Und er ergänzte, dass ihr Ansprechpartner im Ausländeramt künftig darauf achten werde, dass da jetzt jemand richtiges hinkomme. Anwalt B. bedankte sich bei dem Politiker für die Unterstützung.

Zu klären bleibt die Frage, ob der CDU-Politiker über die mutmaßlichen Schleusergeschäfte des Anwalts Claus B. im Bilde war. Nach wie vor geht die Staatsanwaltschaft von einem Anfangsverdacht aus. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.

CDU-Politiker bestreitet die Vorwürfe

Zu den Vorwürfen befragt, erklärte sein Kölner Verteidiger Frank Langen: „Da mir noch keine vollständige Ermittlungsakte vorliegt, kann ich zu dem Strafverfahren meines Mandanten bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf derzeit keine Stellungnahme abgeben.“ In der Vergangenheit hatte ein Medienanwalt betont: „Grund für den Anfangsverdacht gegen unseren Mandanten ist, dass er Kontakt zu einem der hauptbeschuldigten Rechtsanwälte hatte“. Dass der CDU-Politiker in strafbarer Weise an Aktivitäten beteiligt gewesen sei, die es Menschen aus dem Ausland ermöglicht hätte, auf nicht legalem Weg in Deutschland Fuß zu fassen, bestreite sein Mandant. „Von kriminellen Schleuser-Aktivitäten hatte unser Mandant niemals Kenntnis oder auch nur eine Ahnung.“

Nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ beginnt die Geschichte im Dezember 2018. Seit „geraumer Zeit“ würden die deutschen Auslandsvertretungen in China „auffällige Antragsausgestaltungen“ bei den Visa für Deutschland registrieren, kabelt das Generalkonsulat Kanton an das Auswärtige Amt in Berlin. Vor allem ein „OHG-Modell“ würde auffallen.

Fingierte Arbeitsverträge und gefälschte Zeugnisse

Dabei handele es sich um in Deutschland gegründete, mutmaßliche Scheinfirmen, an denen die begüterten Chinesen dann Anteile erwerben, um anschließend einen fingierten Arbeitsvertrag als Geschäftsführer und Manager zu erhalten – wobei sie in Wahrheit aber nicht arbeiten würden.

Denn eine Investition in Deutschland alleine reicht für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland nicht, man muss auch einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Die chinesischen Antragsteller indes, von denen viele auch in den Rhein-Erft-Kreis wollten, seien aber überhaupt nicht qualifiziert für eine solche Tätigkeit, konstatierte die deutsche Botschaft nach intensiven Überprüfungen. Unter anderem deshalb, weil viele der vorgelegten Zeugnisse sich als gefälscht herausstellten.

Derart düpiert, überlegten sich die mutmaßlichen Schleuser einen anderen Trick. Die von deutschen Diplomaten abgelehnten Klienten beantragten ein Schengen-Visum als Touristen, das ihnen beispielsweise von den tschechischen Vertretungen in China auch umgehend ausgestellt wurde. Sofort nach der Einreise fuhren die Leute den Ermittlern zufolge weiter nach Deutschland. Dort berief man sich jetzt auf die Paragraphen 18 und 19 des deutschen Aufenthaltsgesetzes, die eine Zuwanderung für besonders qualifizierte Migranten regeln.

Als Touristen nach Rhein-Erft und dann Aufenthaltsgenehmigung beantragt

Den dafür notwendigen Arbeitsvertrag und die Meldeadresse konnten die angeblichen Touristen aufgrund der Vorarbeiten von Rechtsanwalt Claus B. problemlos vorweisen – wodurch ihnen den Ermittlungen zufolge von einigen Ausländerämtern wie in Rhein-Erft eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde. Ein Umstand, der Sybille Müller offenbar misstrauisch machte. Als die Sachbearbeiterin des Ausländeramtes deshalb 26 „anerkannte“ Chinesen zu einer persönlichen Vorsprache bat, erschien nur einer von ihnen. Der aber habe nicht erklären können, wie seine tägliche Arbeit aussehe, heißt es in einem Vermerk. Bald darauf wechselte Frau Müller auf eigenen Wunsch auf eine besser dotierte Stelle in einem anderen Amt, wie sie bei einer späteren Befragung betonte.

Auf Anfrage teilte ein Landkreis-Sprecher mit: „Den zuständigen Stellen beim Rhein-Erft-Kreis sind die polizeilichen Ermittlungsverfahren in diesem Gesamtkomplex seit 2019 bekannt.“ Man habe damals „umfassend und intensiv recherchiert“. Niemand habe Einfluss auf das „Verwaltungshandeln“ genommen. Und alle Entscheidungen seien „in regelmäßiger Abstimmung mit der in den Strafverfahren ermittelnden Behörde“ gewesen.

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