Laut den vom NRW-Familienministerium veröffentlichten Zahlen gibt es immer mehr Gewalt und sexuellen Missbrauch von Kindern an Kindern.
„Überforderung ein Nährboden“Bedrückende Zahlen – Mehr Gewalttaten in NRW-Kitas
Die Zahlen, veröffentlicht vom NRW-Familienministerium, sind besorgniserregend. Die registrierten Gewalttaten in nordrhein-westfälischen Kindertagesstätten sind in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. Vom Jahr 2022 mit 1.027 Übergriffen hat es 2023 mit 1.943 Fällen nahezu eine Verdopplung geben. Und der Anstieg hat sich im ersten Halbjahr 2024 weiter verschärft. Mit 1.206 „Aufdeckungen von Kindeswohlgefährdungen“, wie es im Behördendeutsch heißt, wurde der Wert für das gesamte Jahr 2022 bereits deutlich überschritten. Zudem lässt die Entwicklung einen traurigen Höchstrekord auch für das gesamte Jahr 2024 befürchten, für das die abschließenden Zahlen noch nicht vorliegen,
Dies ist der Antwort des Familienministeriums auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion zu entnehmen. Die jetzt vorliegende Statistik habe „zwei Seiten“, sagte die sozialdemokratische Abgeordnete Nina Andriehsen auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Einerseits würden „Übergriffe, grenzverletzendes und grenzüberschreitendes Verhalten gegen Kinder“ schlichtweg wohl vermehrt angezeigt. „Menschen wissen also zunehmend, dass das gezeigte Verhalten falsch ist und reagiert werden muss“, so die Andriehsen. Auf der anderen Seite müsse man sich aber fragen, warum es „diese Übergriffe und das pädagogische Fehlverhalten“ überhaupt gebe.
SPD-Opposition: „Das System ist am Limit“
„Wir beschäftigen uns schon lange mit der unzureichenden Situation in den Kitas und wir wissen, das System ist am Limit“, so Andriehsen. Wenn man davon ausgehe, „dass Überforderung ein Nährboden für Übergriffe ist“, dann müsse die nordrhein-westfälische Familienministerin Josefine Paul (Grüne) jetzt dringend handeln. „Denn aktuell überlassen wir die Aufsicht über mehr Kinder immer weniger Fachkräften“, kritisierte die SPD-Politikerin. Dies dürfe „angesichts solcher Zahlen jedoch auf keinen Fall“ so bleiben. „Kinderschutz muss für uns an erster Stelle stehen“, forderte die Landtagsabgeordnete.
Das Ministerium schlüsselt die von den Landesjugendämtern erfassten Ereignisse in verschiedene Kategorien auf. Erfasst werden unter anderem „sexuelle Übergriffe/Gewalt“ und „körperliche Übergriffe/Körperverletzungen“, wobei jeweils unterschieden wird, ob diese Gewalt von Kindern oder von Mitarbeitenden ausgeübt wird. Besonders eklatant ist die Zahl der Gewalt durch Kinder: Für das erste Halbjahr 2024 liegen die Meldungen bei 532, was doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2022 (267 Fälle) sind. Im Jahr 2023 waren es 750.
Immer mehr Kinder stehen unter Verdacht
Auch bei den „sexuellen Übergriffen/Gewalt“ findet sich eine hohe Zahl gemeldeter Taten, die durch Kinder verübt wurden: 159 allein im ersten Halbjahr 2024, die Gesamtzahl für 2022 betrug 128 (2023: 260). Zum Vergleich die Zahl für die Gewalt in dieser Kategorie durch Mitarbeitende: Sie liegt für das erste Halbjahr 2024 bei 39, im Vergleich zu 82 für das Jahr 2022 und 78 in 2023. Neben den Körperverletzungen und sexuellem Missbrauch gibt es für de Mitarbeitenden zudem noch die Rubrik von Gewalt, die durch pädogisches Fehlverhalten verursacht wurde. Hier wurden im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 329 Fälle gemeldet, 2022 ware es 353.
Für Kindertagesstätten sei es seit 2021 verpflichtend, den Landesjugendämtern ein detailliert ausgearbeitetes „Schutzkonzept gegen Gewalt“ zur Genehmigung vorzulegen, heißt es hierzu aus dem NRW-Familienministerium. Im vergangenen Jahr sei zudem der „Meldeweg“ für Gewaltfälle vereinfacht und mit landesweit einheitlichen Kriterien ausgestattet worden.
Ministerin: „Politik und Gesellschaft schauen genauer hin“
„Jede Situation, in der ein Kind Gewalt erfährt, ist eine zu viel“, sagte Ministerin Paul dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch die Grünen-Politikerin sieht im Hinblick auf die zunehmenden Meldungen von Übergriffen, dass „Politik und Gesellschaft sensibler geworden sind und genauer hinschauen“. Die steigenden Zahlen seien „also auch ein Beleg dafür, dass mehr Fälle ins Hellfeld rücken“ und „nicht mehr unentdeckt“ bleiben.
Wichtig sei vor allem die enge Zusammenarbeit „aller Akteure“, die an der Aufklärung und Betreuung derartiger Fälle beteiligt sind. „Nur wenn wir alle hinsehen und gemeinsam handeln, können wir für noch besseren Kinderschutz sorgen“, so Paul. Genau dies seien auch „die ganz zentralen Themen“ bei der „Aus-, Fort- und Weiterbildung für alle Mitarbeitenden im System“. Im Oktober diesen Jahres sei in NRW deshalb ein „Online-Modul flächendeckend“ eingeführt worden.
Checkliste für den Ernstfall
In dem Programm gebe es zahlreiche Informationen und Erläuterungsvideos für Personen, die beruflich mit Kindern und Jugendlichen zu tu hätten, steht auf der Homepage des nordrhein-westfälischen Jusitizministeriums. Die „Handreichung“ könne „im Ernstfall auch als Checkliste“ dienen. An wen sich eine Kita-Fachkraft be einem Verdacht wenden sollte, sei beispielsweise erläutert. Wer ein kein Kind schützen kann, wenn sich dieser Verdacht für einen Arzt im Nachtdienst ergibt. Oder welche Behörde verständigt werden muss, wenn Jugendliche einer Lehrerin auf Klassenfahrt anvertrauen, sexuell missbraucht worden zu sein und deshalb nicht mehr nach Hause zu wollen.