Ein neues Forschungsnetzwerk soll der Waldkrise in NRW entgegenwirken und helfen, die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen.
Bäume und Boden in NotAuf der Suche nach dem Wald der Zukunft – NRW startet Forschungsnetzwerk
Kahle Stämme und schüttere Kronen ringsum, eine Gruppe von Forstspezialisten steht auf einer Kahlfläche in den Wäldern bei Arnsberg. Große Teile des Forsts sind hier geschädigt, nur wenige Bäume stehen noch und die Fichten sind völlig abgestorben. Und doch ist dies ein Ort der Hoffnung. Denn hier wird untersucht, wie die Kahlflächen in Nordrhein-Westfalen wieder bewaldet werden können.
Catharina Schmidt koordiniert ein Projekt zur Wiederbewaldung und zeigt ihren Kollegen einen kleinen Baum. Ein unaufmerksamer Wanderer würde die noch unscheinbare Pflanze zertrampeln, aber in diesem umzäunten Waldstück ist es vor Tritten geschützt, und auch vor Wildtieren. Zusammen mit anderen Baumarten wurde es hier strategisch gepflanzt und soll Jahr für Jahr Auskunft darüber geben, wie sich neuer Wald entwickelt.
Zehn Prozent NRW-Wald in Not
Eine Strategie ist dringend geboten, denn Wald und Waldwirtschaft in NRW stehen vor großen Herausforderungen. Die Folgen des Klimawandels wie Wetterextreme, Trockenheit und Hitze beeinträchtigen die Vegetation enorm. Allein in NRW sind 143.000 Hektar vom Klimawandel seit 2018 deutlich geschädigt. Das sind etwa zehn Prozent der gesamten Waldfläche. Vor allem dichte Fichtenwälder wurde durch drei trockene Jahre in Folge und Hitze geschwächt. Der Borkenkäfer erledigte den Rest. Um gesunden Wald zu schützen, mussten ganze Flächen gerodet werden.
„Wir können nicht einfach das anpflanzen, worauf wir Lust haben“, sagt Schmidt. „Wir müssen im Angesicht des Klimawandels viel mehr berücksichtigen, wie der Boden beschaffen ist, welche Nährstoff- und Wasserverfügbarkeiten herrschen und welche Baumarten hier gut gedeihen können.“
Auf der Kahlfläche diskutieren die Fachleute über die Chance und Probleme des Experiments. Sie sind für eine zweitägige Konferenz zur Waldforschung nach Arnsberg gekommen, und um das „Forschungsnetzwerk Wald NRW“ zu gründen.
Unter den Teilnehmern ist auch Bertram Leder. Er steht mit schwerem Herzen auf diesem tristen Boden. „So eine Landschaft ist deprimierend“, sagt Leder, der bis vor kurzem noch der Leiter des Zentrums für Wald und Holzwirtschaft NRW war. „Grasflächen, tote Fichten, geräumte Flächen – für einen Forstmann oder eine Forstfrau ist das sehr deprimierend.“
Experte: So viele Kahlflächen in NRW wie in keinem anderen Bundesland
„Wir haben hier eine extreme Problematik“, sagt Leder. Nordrhein-Westfalen habe so viele Kahlflächen wie kein anderes Bundesland. „Man kann sich nur wundern, was da im Wald alles passiert. Einfach dadurch, dass sich der Klimawandel sehr schnell vollzieht und wirklich massiv auswirkt. Gemeinsam gegenzusteuern, das ist Sinn und Zweck dieses neuen Forschungsnetzwerkes."
Die Waldkrise begann mit dem Borkenkäfer und hat sich mit der Klimakrise in alle Richtungen entwickelt. „Es sind nicht nur die Beziehung zwischen Baumarten und Klima, sondern der Klimawandel verändert wirklich das gesamte Ökosystem. Das macht es spannend und auch kompliziert", erklärt Waldschutzexperte Ralf Petercord. „Wir erleben einen dynamischen Klimawandel, der eben auch dynamischer Antworten bedarf.“
Die Wälder rund um Köln wie auch in den weiteren Teilen Nordrhein-Westfalens, wie viele sie kennen, werden sich in den nächsten Jahrzehnten „dramatisch verändern“, sagt Petercord. „Und dieser Umstand tritt viel schneller ein, als viele erwartet haben.“
Petercord forscht seit 35 Jahren im Wald, wehmütig blickt er in die Zukunft seiner wissenschaftlichen Heimat: „Es ist immer wieder schön, so einen alten dicken Baum anzufassen. Aber ich weiß, dass meine Kinder diesen Wald so nicht mehr sehen werden. Die Bäume werden es nicht mehr schaffen, so alt und groß zu werden.“
Klimawandel überholt Erfahrung
Die Entwicklung ist aus Sicht der Wissenschaft so rasant, dass über Jahrzehnte erworbene Erkenntnisse rapide veralten, erklärt Petercord. „Ganz viel Erfahrungswissen ist heute nur noch bedingt etwas wert. Wir brauchen neue Lösungen, damit auch nachfolgende Generationen noch in den Wald gehen können – auch wenn dieser sicherlich anders aussehen wird als der heutige.“
Inmitten von Totholz steht ein etwa zwei Meter hoher Pfosten. Darin hängen mehrere Geräte, Kabel führen in den Boden. Es sind Klimamessstationen zur Untersuchung von Mikroklimata auf Kalamitätsflächen. Im Untersuchungsgebiet des Forschungsprojekts gibt es 21 solcher Stationen. Sie messen unter anderem Sonneneinstrahlung, Niederschlag und Windstärke.
Totholz hat einen positiven Effekt auf das Bodenklima: höhere Bodenfeuchte durch verminderte Evaporation und niedrigere Bodentemperaturen. „Dass es auf einer Kahlflächen wärmer ist als im Wald, und dass Totholz Feuchtigkeit festhält, sind zwar keine neuen Erkenntnisse. Aber wir konnten es bisher nicht quantifizieren und das braucht man“, sagt Petercord, der auf die Schlussfolgerungen hinauswill: „Dann kann man nämlich auch sagen: Wie machen wir das am geschicktesten, wie gehen wir mit Totholz um und wie baue ich das in das Waldbaukonzept mit ein?“
Der Wald von Morgen
Mehr als 60 Prozent der Wälder in NRW befinden sich in Privatbesitz. Die Eigentümer brauchen Lösungen, um die Natur in ihren Wäldern und den wirtschaftlichen Wert zu erhalten. „Mit unserer Forschung können wir zeigen: so kannst du deinen Wald von Morgen aufbauen“, sagt Petercord.
Zurück auf der Kahlfläche, wo Catharina Schmidt ihren von der Wiederwaldung berichtet. „Und was würde hier passieren, wenn wir alles liegen lassen und die Natur ihre Arbeit machen lassen?“, fragt ein Zuhörer. Schmidts Antwort ist kurz und klar. „Irgendwann würde sich wahrscheinlich wieder ein stabiler Wald entwickeln, aber das dauert sehr, sehr lange. So viel Zeit haben wir nicht im Klimawandel", erklärt sie. Denn Wald hilft bei der Wasserversorgung, der CO2-Bindung und dem Bodenschutz. „Vielleicht braucht der Wald uns nicht, um sich selbst langfristig zu stabilisieren. Wir aber brauchen schnellstmöglich wieder einen gesunden Wald.“