Trotz einiger toller Erfolge gerade auch von Sportlern aus NRW bleiben Medaillen rar. Was in der Sportförderung fehlt.
Wenig Olympia-Medaillen in ParisWarum NRW-Athleten im Spitzensport kaum große Sprünge machen
Michael Scharf könnte den Spitzensport in Nordrhein-Westfalen feiern. Immerhin waren an 17 der 33 deutschen Olympia-Medaillen von Paris Athletinnen und Athleten aus NRW beteiligt. Doch dem Direktor Leistungssport beim Landessportbund NRW steckt zu viel Thomas Müller in den olympischen NRW-Erfolgen. Fünf der 17 Medaillen gehen auf das Konto der Reiter. Und deren Spitzen-Leistungen hätten wenig mit dem deutschen Sportförder-System und viel mit millionenschweren Pferdeliebhabern wie dem Münchner Fußball-Weltmeister Müller zu tun, sagt Scharf.
„Unser Einfluss ist da nicht so groß wie in anderen Sportarten“, erklärt der LSB-Direktor. Es sei Millionären wie Müller zu verdanken, dass Spitzenpferde in Deutschland bleiben können, anstatt ins Ausland verkauft zu werden. Müller ist gemeinsam mit der Unternehmerin Madeleine Winter-Schulze Besitzer des Schimmelwallachs Checker, auf dem Christian Kukuk in Paris Einzel-Gold im Springreiten eroberte. Checker und Kukuk sind im nordrhein-westfälischen Riesenbeck in den Ställen des viermaligen Olympiasiegers Ludger Beerbaum zu Hause.
Das Reiten mit seinem Bundesstützpunkt in Warendorf ist also alles andere als eine Problemsportart des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Insgesamt aber, so die Erkenntnis nach den Sommerspielen in der französischen Hauptstadt, ist der deutsche Spitzensport weiter auf dem Weg ins weltweite Mittelfeld.
Deutscher Olympia-Medaillenspiegel: In Paris auf Platz zehn abgerutscht
Seit den Sommerspielen 1992 in Barcelona geht es abwärts für deutsche Mannschaften: 82 Medaillen wurden damals gewonnen, nur noch 44 waren es bei der Ausgabe 2012 in London – und nun, 2024 in Paris, ist Deutschland auf 33 Medaillen und Platz zehn (1992 Platz drei/2012 Platz sechs) im Vergleich mit den übrigen Nationen abgerutscht. Das hat zum einen etwas mit einer größeren Breite in der Spitze zu tun. Immer mehr Nationen forcieren den Hochleistungssport und haben das Medaillengewinnen für sich entdeckt. Zum anderen aber stellt sich die Frage, was besser laufen könnte im deutschen Sport.
Unter Athleten, Trainern und Funktionären rumorte es hörbar in Paris. Für den größten Wirbel sorgten die Rennsportkanuten: Bundeskanzler Olaf Scholz war gekommen, um mit ihnen zu feiern – aber sie wollten nicht. Der Essener Max Rendschmidt saß im Gold-Vierer und holte seinen vierten Olympiasieg seit 2016, er und seine Kollegen sprachen lieber Klartext mit dem Kanzler, als sich bejubeln zu lassen, so wurde es an der Regattabahn in Vaires-sur-Marne beobachtet.
Die Kanuten wünschten sich, nicht nur an Siegertagen beachtet zu werden, denn diese besonderen Tage sind ja nur möglich, wenn an allen anderen hart gearbeitet wird. Und harte Arbeit für den Spitzensport lässt sich dauerhaft nur leisten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Da geht es um Finanzielles, aber auch um Infrastruktur, Trainer, Talentsichtung- und -entwicklung, gesellschaftliche Anerkennung und gesellschaftliches Engagement.
LSB-Chef Scharf: „Wo sind unsere Gesichter der Zukunft?“
Und genau da liegt das Problem. Alles hängt mit allem zusammen und alles läuft nicht gut in Deutschland. Michael Scharf vom LSB NRW geht sogar so weit, einen Vergleich zu ziehen zwischen dem schwindenden Erfolg im deutschen Spitzensport und dem durch die Pisa-Studien offengelegten Leistungsrückgang deutscher Schüler seit 2012. Die tägliche Sportstunde könnte hier wie dort Abhilfe schaffen, glaubt er. Chancen für erfolgreichere Spiele in vier oder acht Jahren sehe er aktuell nicht. Für NRW sagt Scharf: „Wo sind denn da die Gesichter der Zukunft? Wenn ich in das Nachwuchs-Team gucke, wird mir angst und bange.“
Der Sport im Kinder- und Jugendalter hat Konkurrenz bekommen von elektronischen Medien und langen Schultagen. Die Sportvereine klagen einerseits über einen Mangel an Nachwuchs, andererseits fehlen immer öfter eine gute Infrastruktur und ehrenamtliche Übungsleiter. Viele Kinder, die gern Schwimmen würden, Turnen, Basketballspielen, landen auf Wartelisten – und dort lassen sich die Olympiasieger von morgen schwer finden.
Dazu kommt eine Überbürokratisierung im deutschen Spitzensport. Jörg Bügner, Vorstand Leistungssport im Deutschen Leichtathletik-Verband, fasste die Situation in Paris in diesem viel zitierten Satz zusammen: „Wir schreiben Excel-Tabellen, die anderen trainieren.“ Sport und Politik werkeln seit bald zehn Jahren an einer Spitzensportreform. Gerade wird diese wieder reformiert, mit der Gründung einer Leistungssportagentur soll endlich Besserung eintreten.
In Köln hat sich der „Verbund Kölner Athleten“ gegründet
Die Probleme sind vielfältig. Die Athletenförderung wird immer wieder thematisiert. Sie ist in Deutschland ein Flickenteppich. Gut versorgt ist als Spitzensportler, wer sich beruflich an die Bundeswehr oder die Polizei bindet und dort in eine Sportfördergruppe eintritt. Alle anderen müssen verschiedene Fördertöpfe anzapfen. Wer es in den Olympiakader schafft (Platz eins bis acht bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen), bekommt von der Deutschen Sporthilfe (aus der privaten Wirtschaft und mit einem Zuschuss aus Bundesmitteln finanziert) 800 Euro plus je nach sportlicher Perspektive und Ausbildungssituation variierenden Zulagen. Für viele reicht das Geld nicht oder nur so gerade, um davon zu leben.
Große Städte wie Düsseldorf, Hamburg oder Berlin schütten für ihre Athletinnen und Athleten eine Extra-Förderung aus. In Köln hat sich der „Verbund Kölner Athleten“ gegründet, um Ähnliches zu erreichen. Einige Vereine bezahlen ihre Spitzenkräfte. Und einige Athleten haben private Sponsoren.
Max Hoff, Kölner Kanu-Olympiasieger von 2016, hat seine Karriere nach den Spielen von Tokio 2021 beendet. Er sagt im Rückblick: „Ich stand über Jahre da und hatte keine Krankenversicherung, keine Rentenversicherung, nichts.“ Er habe immer Erfolge liefern müssen, „um in die höchsten Fördertöpfe der Sporthilfe zu kommen und Sponsoren zu überzeugen“. Maximilian Klein betont: „Spitzensport ist kein alimentiertes Hobby, sondern ein Berufsfeld mit enormen Risiken, Kosten und Entbehrungen.“
Und dann sind da die Trainer, ihnen geht es oft ähnlich wie den Athletinnen und Athleten – sie können nur so gerade von ihrem Einkommen leben. Es gibt für sie kein Tarifsystem und kaum Aufstiegschancen. „Du musst schon ein sehr großer Idealist sein, um diesen Job zu machen“, sagt Max Hoff. Zumal Athleten in der Weltspitze „ja nicht immer alle auf Kuschelkurs“ seien. Michael Scharf vom LSB fordert, dass Trainer zumindest wie Lehrer bezahlt werden müssten. Er sagt: „Wenn ich Qualität haben will, dann muss ich auch bereit sein, für Qualität zu bezahlen.“
Qualität kostet
Als Bilderbuchbeispiel für gelingende Spitzensportarbeit wird gern das amerikanische College-System genannt. Dort werde alles gebündelt, was für Top-Leistungen nötig sei, sagt Scharf: Herausragende Trainingsstätten, top ausgebildete Trainer, ein professionelles Umfeld mit Physiotherapie, sportpsychologischer Betreuung, Ernährungsberatung, Laufbahnbegleitung und, ganz wichtig, leistungsstarken Trainingsgruppen.
An den Hochschulen in Deutschland wird man Ähnliches kaum etablieren können, dazu hat der Universitäts-Sport hier gesellschaftlich eine zu geringe Bedeutung und es fehlen die Einnahmen, die in den USA allein der College-Football generiert. Aber eine Zusammenlegung von Ressourcen ist einer der Punkte, die in der neuesten Version der Spitzensportreform forciert werden sollen.
Ex-Fechter Maximilian Hartung: „Leistungssport hat einen riesigen Wert für unsere Gesellschaft.“
Und eine Olympia-Bewerbung könnte helfen, glauben viele. Die Mannschaften von Ausrichtern der Sommerspiele sind nachweislich erfolgreicher, das haben in jüngster Vergangenheit die Briten und die Franzosen gezeigt. „Olympische Spiele vor der Haustür, das kann einem Land einen Pusch geben und vielen Kindern Träume eröffnen“, sagt der ehemalige Kanute Hoff: „Aber dann müssen auch Gelder frei gemacht werden.“
Bleibt ein Gespräch mit Maximilian Hartung, ehemaliger Weltklasse-Säbelfechter und heute Leiter der Sportstiftung NRW, die sich vor allem auf eine Förderung des Nachwuchses konzentriert. Hartung sieht die Zukunft bei allen Problemen, die es in Sachen Talentfindung, Ehrenamt, Sportstätten-Infrastruktur und langer Schultage gibt, nicht ganz so trist wie Michael Scharf. Rund 500 jungen Menschen würden von der Stiftung unterstützt, sagt er: „Das sind richtig tolle junge Leute, die begeistert und begeisternd ihren Sport machen.“
Er wisse nicht, wie viele von ihnen am Ende bei den Olympischen Spielen stehen und Medaillen gewinnen werden, sagt Hartung: „Aber ich sehe, was sie jetzt erleben und was sie weitergeben in ihre Schulklassen, in ihre Hörsäle, später auch an ihren Arbeitsplätzen. Das hat einen riesigen Wert, Leistungssport hat einen riesigen Wert für unsere Gesellschaft.“