Ex-Landtagspräsident Jürgen Gansäuer (CDU) kümmert sich um seine demenzkranke Frau. Emotional fordert er mehr Respekt für Pflegekräfte.
„Nur dank Migranten“CDU-Politiker Gansäuer mit bewegenden Worten zur Pflege seiner dementen Frau

„Lauter tüchtige Leute“: Jürgen Gansäuer mit den Pflegekräften Aleena Reji, Hoang Van Bac und Tamil Ahmadyar (v. l.) am Bett seiner Frau Christina.
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Es fing damit an, dass sie manchmal Dinge vergaß. „Sie brachte ständig die Termine der Tennis-Punktspiele durcheinander“, sagt Jürgen Gansäuer, „irgendwann wurde klar, dass da bei ihr etwas nicht stimmte.“
Der frühere Landtagspräsident, lange einer der führenden CDU-Politiker Niedersachsens, beugt sich über das Bett, in dem seine Frau Christina liegt. Liebevoll streicht er ihr über die Wange. „Heute hat sie keinen so guten Tag“, sagt der 80-Jährige.
Über dem Bett hängt die Medaille, die seine Frau 2007 als Siegerin der Tennis-Stadtmeisterschaft in Laatzen, einer Stadt vor den Toren Hannovers, bekam. Daneben ein Foto des Ehepaares. Vor noch gar nicht so langer Zeit war Christina Gansäuer eine gute Sportlerin, engagiert in der CDU, eine offene, herzliche Frau, der alle Sympathien zuflogen.
„Sie fehlt mir“
Die Frau, die im Bett unter dem Foto liegt, ist gerade 70 Jahre alt geworden, doch sie hat mit der alten Christina Gansäuer nur noch wenig gemein. „Sie kann nicht mehr sprechen, nicht mehr laufen und auch nicht mehr selbstständig essen“, sagt Jürgen Gansäuer.
Der Politiker ist eigentlich nie um Worte verlegen. Doch wenn er darüber spricht, wie die Demenz einen Menschen schleichend verändere, bis man sein Wesen irgendwann nicht mehr erkenne, stockt seine Stimme. „Sie fehlt mir“, sagt er dann.
Lange sei es ihm schwergefallen, die Demenz-Diagnose innerlich anzunehmen. „Ich konnte nicht akzeptieren, dass diese Krankheit noch nicht besiegt werden kann; dass ein stetiger gesundheitlicher Abstieg folgen würde“, sagt Gansäuer.
Das Paar kontaktierte zahlreiche Experten. Gansäuer betreute seine Frau anfangs daheim, teils mithilfe eines ambulanten Pflegedienstes. „Aber die Belastung ist groß, man gerät irgendwann an Grenzen“, sagt der 80-Jährige.
Demenz ist weit verbreitet
Eines Tages brachte er seine Frau dann ins Heim. „Die Fahrt ist mir unendlich schwergefallen, weil mir klar war, dass es keine Rückfahrt geben würde“, sagt er. Seit zweieinhalb Jahren lebt seine Frau jetzt in „Victors Residenz Margarethenhof“ in Laatzen. Er besucht sie fast an jedem Tag.
Tausendfach teilen Menschen ein solches Schicksal. „Es gibt auch 20-Jährige, die dement werden“, sagt Gansäuer, „in Niedersachsen sind 180.000 Menschen von der Krankheit betroffen – Tendenz steigend.“
Dass seine Frau sich im Margarethenhof in Laatzen erstaunlich schnell eingelebt hat, ist ihm ein gewisser Trost. „Sie ist von Anfang an gerne hier gewesen“, sagt Gansäuer, „das spricht für die Sensibilität des Pflegepersonals.“
Als seine Heimatstadt Laatzen ihn kürzlich zum Ehrenbürger ernannte, hielt der Politiker vor mehr als 300 Menschen eine Rede, die viele zu Tränen rührte. Er sprach darin nicht nur über den langen Abschied von seiner Frau, sondern auch über die hilfsbereiten und freundlichen Pflegekräfte im Margarethenhof – und er nutzte die Gelegenheit, eine Lanze für diese Menschen zu brechen, die zu 80 Prozent einen Migrationshintergrund haben.
Kritik an Pauschalurteilen der AfD
„Hier arbeiten lauter tüchtige Leute, die die ganze Welt repräsentieren“, sagt er. „Ohne Migranten würde es gar nicht gehen. Wenn wir sie nicht hätten, müsste die Residenz geschlossen werden, und die Leidtragenden wären die älteren Menschen, die unser Land einst wieder aufgebaut haben.“
Natürlich verfolgt der altgediente Politiker die aktuellen Diskussionen um Migration sehr genau. „An der Debatte stört mich, dass oft pauschale Urteile über Menschen gefällt werden“, sagt er.
Natürlich gebe es auch kriminelle Zuwanderer, die Deutschland nicht aufnehmen sollte. Doch dass die AfD mit Ressentiments Politik mache, sei nicht zu akzeptieren: „Damit fügt sie uns langfristig schweren Schaden zu“, sagt er. „Wir brauchen dringend Leute aus der ganzen Welt, damit unser Land funktioniert.“
Eine der Pflegerinnen, die sich um Christina Gansäuer kümmern, ist Aleena Reji. Erst vor wenigen Monaten kam sie aus Indien nach Deutschland, um eine Ausbildung zur Pflegefachfrau zu absolvieren. „Schon als Kind wollte ich etwas im Pflegebereich machen“, sagt die 20-Jährige.
„Pflege ist mein Traumberuf“
Aleena Reji schüttelt Christina Gansäuer das Kopfkissen auf. Sie strahlt dabei – und die bettlägerige Frau lächelt zurück. „Wir lachen viel“, sagt die Auszubildende. „Ich genieße meine Arbeit jeden Tag.“
Im Margarethenhof gibt es viele Angebote, um „demenziell veränderte Menschen“, wie man hier sagt, geistig möglichst lange rege zu halten. „Ich versuche immer, sie zum Lächeln zu bringen – und manchmal tanze ich auch mit ihnen“, sagt Tamil Ahmadyar. Der 26-Jährige stammt aus Afghanistan, und er ist mit Leib und Seele in der Pflege tätig: „Das ist mein Traumberuf“, sagt er.
„Wir haben 208 Beschäftige aus 41 Nationen“, sagt Adrian Grandt, der Leiter der Residenz. „In der Pflege sind wir auf Menschen mit Migrationshintergrund angewiesen – sonst könnten wir die Versorgung schon seit Jahren nicht mehr gewährleisten“, erklärt der 50-Jährige, der selbst aus Polen stammt.
Seine Einrichtung wirbt gezielt in der halben Welt um Arbeitskräfte. „Bald werden wir allein sieben Inder im Haus haben“, sagt er. Neuankömmlinge müssten nicht nur Sprachbarrieren überwinden, sondern auch die Mentalität der Deutschen erst kennenlernen: „Oft verstehen sie nicht, warum Hilfsbedürftige – anders als in ihren Heimatländern – nicht daheim von der Familie gepflegt werden“, sagt Grandt.
Zuwanderer kämpfen mit Bürokratie
Viele seiner Angestellten mit Migrationshintergrund können zudem Geschichten von der deutschen Bürokratie erzählen. Von Ausländerbehörden, die langsam arbeiten. Von den Schwierigkeiten, Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse zu bekommen. Und von der Verlobten, die in Kabul sitzt und kein Visum erhält, um zu ihrem künftigen Mann nach Deutschland zu reisen.
„Bis indische Mitarbeiter zu uns kommen können, müssen wir manchmal ein ganzes Jahr warten“, sagt Grandt. Doch in Deutschland sind Pflegekräfte nun einmal schwer zu bekommen – und darum hilft seine Einrichtung den zugezogenen Kolleginnen und Kollegen bei der Wohnungssuche und bei Behördenangelegenheiten. „Ausländische Berufsabschlüsse müssten viel schneller anerkannt werden“, sagt Grandt, „manchmal verzweifeln wir an solchen Sachen.“
Jürgen Gansäuer jedenfalls spricht mit großem Respekt von den Menschen, die hier arbeiten. Bei seiner Ernennung zum Ehrenbürger Laatzens dachte er auch an seine Frau, als er seine Rede hielt.
„Lassen Sie sich von den oft erniedrigenden Schlagworten bestimmter politischer Protagonisten nicht beeindrucken“, sagte er an jenem Tag. In seiner Heimatstadt hielt der CDU-Mann ein flammendes Plädoyer für Weltoffenheit und Integration: „Lassen Sie uns versuchen, aus rechtmäßig in Deutschland lebenden Migranten Laatzener Mitbürgerinnen und Mitbürger zu machen.“
Dieser Text erschien zuerst in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) – Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland.