SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz„Ich finde es gut, mit Merkel verglichen zu werden“
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Die SPD-Spitze hat Olaf Scholz Anfang August zum Kanzlerkandidaten gekürt.
Beim Besuch in der Redaktion des Kölner Stadt-Anzeigers sprachen wir mit ihm über die Zukunftspläne der Partei und die Aussicht auf einen baldigen Corona-Impfstoff.
Außerdem verriet er auch seine Hoffnungen für die US-Wahl.
Köln – Herr Scholz, vor Ihnen liegt noch ein langer Wahlkampf. War es vor diesem Hintergrund klug, Ihre Kandidatur schon jetzt bekanntzugeben?Scholz: Ja, denn die Bürgerinnen und Bürger wissen jetzt, woran sie bei der SPD sind und dass ich Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden will. Die Zeit bis zur Bundestagswahl ist noch lang, wir werden sie dazu nutzen, über das zu sprechen, was für die Zukunft unseres Landes wichtig ist.Die Umfragewerte der SPD steigen zwar, aber auf geringem Niveau …Die Richtung stimmt – und die Werte werden weiter zulegen, davon bin ich überzeugt. Bei der nächsten Bundestagswahl geht es um die Zeit nach Corona. Wollen wir harte Einschnitte ins Sozialwesen, bei Bildung, Forschung und in der Infrastruktur? Wollen wir Steuersenkungen für hohe Gehälter? Ich halte das für falsch. Ich stehe für einen anderen Weg. Die Corona-Pandemie zeigt auf eindrückliche Art und Weise den Wert unseres Sozialstaats, und wie wichtig handlungsfähige staatliche Strukturen sind. Ohne ein leistungsfähiges Gesundheitswesen wären wir nicht durch die Krise gekommen. Auch künftig brauchen wir ein handlungsfähiges Gemeinwesen und ein gutes Gesundheitswesen. Doch es geht nicht allein um Krisenfolgen. Wir stehen ohnehin vor wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft unseres Landes.
Und wie lautet der Ansatz der SPD?
Ich setze mich ein für eine Gesellschaft, die vom gegenseitigen Respekt füreinander geprägt ist. Ich stehe für ein Zukunftsprogramm, das die wichtigen technologischen und wirtschaftlichen Entscheidungen enthält, um effektiv den Kampf gegen den Klimawandel zu führen, und dafür sorgt, dass wir auch künftig technologisch an der Spitze stehen. Und ich kämpfe für ein souveränes und solidarisches Europa.
Das Thema Corona überlagert derzeit fast alle anderen Themen …
Natürlich, das Virus ist längst nicht besiegt und wird uns noch eine Weile begleiten. Unsere Prognosen rechnen damit, dass wir bis Ende nächsten Jahres oder Anfang übernächsten Jahres hoffentlich wieder das Vorkrisen-Niveau erreicht haben werden. In einigen Branchen ist das bereits jetzt fast der Fall, in anderen wird es dauern.
Glauben Sie, dass es bald einen Impfstoff gibt?
Ich bin kein Virologe, deshalb halte ich mich mit Prognosen in dieser Sache zurück. Es ist gut, dass weltweit an der Entwicklung von Impfstoffen geforscht wird. Wir haben viel Geld dafür zur Verfügung gestellt und bemühen uns um internationale Kooperationen. Die Pandemie bringt nicht einzelne Länder in Gefahr, sondern fordert die Menschheit als Ganzes heraus.
Sie haben sich gegen ein neues Sparprogramm ausgesprochen. Wollen Sie auch in Zukunft Schulden aufnehmen?
Wenn wir die beginnende Stabilisierung der Wirtschaft nicht gefährden wollen, müssen wir einen langen Atem haben bei den staatlichen Hilfen. Damit dürfen wir nicht auf halber Strecke aufhören. Deshalb wäre es töricht anzunehmen, dass wir im nächsten Jahr ohne neue Schulden auskommen könnten. Zur möglichen Höhe der Neuverschuldung kann man allerdings heute noch keine seriösen Angaben machen, wir müssen die Steuerschätzung abwarten.
Sie haben die Wahl zum SPD-Vorsitz verloren, jetzt sind Sie Kanzlerkandidat. Wie passt das zusammen?
Unsere Partei war vor einem Jahr in einer schwierigen Verfassung. Seither haben wir uns Stück für Stück aus der Lage herausgearbeitet. Partei, Fraktion und Regierungsvertreter verbindet eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Gemeinsam sind uns wichtige Erfolge gelungen, beispielsweise haben wir mehr Investitionen durchgesetzt. Wir haben uns auch mit unserer Auffassung durchgesetzt, dass es nicht akzeptabel ist, den Ministerpräsidenten von Thüringen mit den Stimmen der AfD zu wählen. Und bei den Entscheidungen in der Corona-Krise und für das Konjunkturpaket hat die SPD einen klaren Kurs verfolgt. Wir arbeiten eng zusammen, das ist gut.
Hält der Burgfrieden?
Das ist kein Burgfrieden, sondern vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wir wollen zusammen erfolgreich sein und gewinnen.
Bei der Wahl zum SPD-Vorsitz setzen sich die Bewerber des linken Flügels durch. Sie stehen für einen Kurs der Mitte. Sind Sie die Merkel der SPD?
Als feministischer Politiker finde ich es gut, mit einer erfolgreichen Frau verglichen zu werden. Die Bürgerinnen und Bürger werden bei der nächsten Bundestagswahl sicher berücksichtigen, wer in der Lage ist, das Land durch schwierige Zeiten zu führen. Oft ist im Wahlkampf noch gar nicht vorhersehbar, welches Thema eine Wahlperiode besonders prägen wird. Die Wähler blicken darum auf die Kandidaten und fragen sich, wem sie zutrauen, mit solch schwierigen Lagen umzugehen. Deshalb ist die Fähigkeit, mit Krisen umzugehen und sich im internationalen Geschäft auszukennen, von großer Bedeutung. Die SPD hat einen Kanzlerkandidaten aufgestellt, bei dem das gewährleistet ist.
In Ihrer Bundesregierung soll die Hälfte der Posten mit Frauen besetzt werden. Was können Frauen besser als Männer?
Frauen können genauso viel wie Männer – und dennoch zeigt die Realität, dass Frauen in Deutschland in Machtpositionen nach wie vor unterrepräsentiert sind. Damit will ich mich nicht abfinden. Wir müssen die Gleichstellung konkret voranbringen.
Ihre Machtoption besteht in einem Rot-Grün-Roten Bündnis. Kann man damit Wähler in der Mitte gewinnen?
Die SPD wirbt für sich und für ihre politischen Ziele. Wir wollen so stark wie möglich abschneiden. Im nächsten Schritt muss man dann sehen, welche Bündnisse nach der Wahl möglich sind. Wer regieren will, muss regierungsfähig sein. Dazu gehört, dass man sich für solide Finanzen einsetzt, eine gute Wirtschaftskraft und für die Sicherheit im Inneren und Äußeren. Es geht um gute Kooperation in der Nato und um ein klares Bekenntnis zu Europa.
Und für wie regierungsfähig halten Sie die Linkspartei?
Diese Wertung werden die Wählerinnen und Wähler vornehmen. Niemand wird es Parteien durchgehen lassen, wenn sie sich an die Regierung mogeln wollen. Gleichzeitig finde ich es eigentümlich, jetzt aufgeregte Ratschläge von CDU oder FDP zu hören: Beide Parteien haben es nicht mal geschafft, 2017 ein Jamaika-Bündnis zu schmieden.
Würden Sie auch Vize unter einem grünen Kanzler Robert Habeck?
Ich will gewinnen und Bundeskanzler werden, damit beschäftige ich mich. Und das ist durchaus realistisch, wenn wir ein Ergebnis von deutlich mehr als 20 Prozent erreichen. Die Zeiten, in denen Bundestagswahlen Abstimmungen darüber waren, wer Koalitionspartner der CDU wird, sind vorbei.
Sind die Kommunalwahlen in NRW ein Test dafür, ob die SPD die Trendwende schaffen kann?
Kommunalwahlen sind wichtig für die Bürgerinnen und Bürger in den Städten und Gemeinden, und sie entscheiden über sehr konkrete Fragen vor Ort. Eine wichtige Frage ist, wie es mit dem Wohnungsbau weitergeht. Da passiert in den Städten, in denen die SPD nicht regiert, viel zu wenig. Das Ergebnis sind hohe Mieten, die sich immer weniger Leute leisten können. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Lebensqualität in unseren Städten und Gemeinden deutlich verbessert. Deswegen ist es ein Erfolg, dass die SPD durchgesetzt hat, dass wir die Kommunen dauerhaft finanziell deutlich entlasten, etwa bei der Finanzierung der Kosten für die Unterbringung von Langzeitarbeitslosen. Das sind 3,5 Milliarden Euro pro Jahr. Wir unterstützen die Städte und Gemeinden auch dabei, die Corona-bedingten Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer auszugleichen.
Das Altschuldenproblem der Kommunen konnte nicht gelöst werden, obwohl Sie Finanzminister sind.
Es stimmt, dass ich für meine Idee der Altschuldenentlastung jetzt keine politische Mehrheit gefunden habe. Das zeigt noch einmal deutlich, worum es bei der nächsten Bundestagswahl geht. Man muss schon die richtigen Leute wählen, damit man auch die richtige Politik bekommt. Ich bin weiterhin der Meinung, dass wir einen Schuldenschnitt brauchen für die am höchsten verschuldeten Kommunen, die oftmals besonders unter dem Strukturwandel zu leiden haben. Eine von mir geführte Bundesregierung wird einen Vorschlag vorlegen, wie wir die Lasten schultern. Das ist für mich nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch von einheitlichen Lebensverhältnissen in Deutschland. Der Bund muss seinen Teil leisten, die jeweiligen Länder natürlich auch.
Die Klimakrise ist eine große Herausforderung. Sind Sie mit dem derzeitigen Tempo der Transformationsprozesse einverstanden?
Es war völlig richtig, dass wir große Schritte gemacht haben, etwa durch den Beschluss zum Kohleausstieg und zur CO2-Bepreisung. Aber wir müssen mehr Tempo machen und die nötigen Weichen stellen, damit die Modernisierung unserer Volkswirtschaft vorankommt. Unser Wohlstand basiert seit mehreren Jahrhunderten auf der Nutzung fossiler Energien. Künftig wollen wir CO2-neutral erfolgreich sein. Das Thema Wasserstoff wird eine wichtige Rolle spielen – da müssen wir vorne dran sein.
Die FDP ist der Ansicht, mit Ihren Corona-Hilfen hielten Sie totgerittene Branchen am Leben. Wie stellen Sie sicher, dass kein Steuergeld verschwendet wird?
Eine solche kalte Wortwahl ist irritierend, das mag ich nicht weiter kommentieren. In der Krise sichern wir mit dem Konjunkturprogramm den Fortbestand vieler Unternehmen und Arbeitsplätze, und schaffen das nötige Vertrauen, damit unser Land ordentlich durch diese Krise kommen.
Es gibt viele, die sich nicht ausreichend unterstützt fühlen – etwa Selbstständige aus der Kulturbranche. Werden die Großen gerettet und die Kleinen sterben gelassen?
Der Vorwurf trifft nicht zu, es gibt sehr breite Unterstützung für sehr unterschiedliche Branchen. Der erste Schritt war im Übrigen ein Stabilisierungsprogramm für die kleinsten Unternehmen. Und wir können die Hilfen verlängern.
Kommt die Verlängerung beim Kurzarbeitergeld auf 24 Monate?
Ich bin sehr zuversichtlich. Kurzarbeit ist ein wichtiges Instrument, um Arbeitsplätze zu erhalten. Die Unternehmen und die Beschäftigten brauchen jetzt das Signal, dass wir mit ihnen gemeinsam bis zum Ende der Krise durchhalten.
Einstieg bei Lufthansa, Milliarden-Kredit für Tui – wie weit darf der Staat gehen?
Wir machen das, was notwendig ist und fördern solche Unternehmen, die eine Perspektive haben. Und wir gehen natürlich davon aus, dass wir das eingesetzte Geld weitgehend wieder zurückbekommen, manchmal vielleicht sogar mit einem kleinen Plus.
Wie blicken Sie auf den Kampf um CDU-Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur der Union? Haben Sie einen Lieblingsgegner?
Nein, ich nehme es, wie es kommt.
Ist Ihnen die Kandidatur leichter gefallen, weil Sie nicht gegen Merkel antreten müssen?
Für meine Entscheidung spielte das keine Rolle. Das Besondere an der nächsten Bundestagswahl ist, dass erstmals seit 1949 niemand antritt, der bereits Kanzler ist. Allerdings tritt ein amtierender Vizekanzler an.
Wie ist ihr Blick auf Armin Laschet?
Herr Laschet und ich arbeiten ordentlich zusammen, so muss das auch sein im Föderalismus. Am Ende geht es mir auch gar nicht darum, ob Söder für die Union antritt oder Laschet, sondern darum, dass Scholz vorn liegt.
Müsste nicht Merz ihr Lieblingsgegner sein? Seine Kandidatur würde womöglich Merkel-Fans zu Ihnen treiben.
Ach, ich habe nie zu denen gehört, die schlecht über andere reden. Ich werbe für die SPD. Punkt.
In der Corona-Krise hat die Solidarität eine neue Bedeutung bekommen. Könnte das der SPD womöglich helfen?
Es hat gezeigt, wie stark wir alle aufeinander angewiesen sind. Diese Erkenntnis war manchem neu, die SPD treibt das Thema Solidarität seit ihrer Gründung 1863 um.
Aber Corona hat in Europa zu weiteren Erosionen geführt ….
Das Gegenteil ist der Fall: Deutschland hat mit dem europäischen Wiederaufbauprogramm ein deutliches Zeichen in Europa dafür gesetzt, das unser Kontinent zusammensteht. So entsteht eine bessere und solidarische EU.
Staaten, die demokratisch geführt werden, sind besser durch die Krise gekommen.
Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis: Populismus löst keine konkreten Probleme. Ich hoffe sehr, dass diese Erkenntnis die aktuelle Krise überdauert. Übrigens: Der Föderalismus in Deutschland, oft gescholten, hat zu guten abgewogenen Entscheidungen geführt.
Hoffen Sie, dass Joe Biden die US-Wahlen im November gegen Donald Trump gewinnt?
Natürlich hoffe ich es. Johannes Rau hat so schön gesagt: Die Aufgabe von Politik ist es, zu versöhnen statt zu spalten. Dafür stehe ich – und dafür steht Joe Biden.
Belastet der aktuelle Fall Alexej Nawalny das deutsch-russische Verhältnis?
Seine plötzliche Erkrankung ist besorgniserregend und es sollte alles getan werden, ihn zu retten. Als Demokraten akzeptieren wir es nicht, wenn das Leben von Oppositionellen in Gefahr gebracht wird.