Pfingsten in WesterlandSylt, Insel der Punker und Reichen
Westerland – Für einen Moment treffen zwei Welten aufeinander. „Die Schnösel feiern in Kampen, da hat man sich doch direkt eingeladen gefühlt“, schreibt ein Mann in der Telegram-Gruppe „Chaostage Sylt (offiziell)“ unter ein Video. Partyaktivismus mit Dosenbier trifft auf feierwütige Bourgeoisie mit Champagnerflaschen.
Im Pony in Kampen feiern junge Männer in Poloshirts oder Hemden mit Frauen in knappen Kleidern den „Ausnahmezustand“, wie es der Sylter Club auf seiner Internetseite nennt. Zwischen den vor dem Club parkenden Porsche 911 Carreras, Mercedes G-Klassen und BMW-Cabriolets spaziert der Mann aus der Telegram-Gruppe mit seinem Dosenbier umher, ein anderer kommentiert die Szenerie mit einem langgezogenen „Aaaalter!“.
Das Pfingstwochenende auf Sylt ist ein Stresstest für alle. Das ist es in jedem Jahr, wie alteingesessene Inselbewohnerinnen und -Bewohner erzählen – aber in diesem Jahr sind da auch noch die Punker. Mit dem 9-Euro-Ticket sind sie nach Westerland gefahren. Die Idee, die Insel zu stürmen, hat sich schon vor Wochen in Internetforen verselbstständigt. „Eigentlich war das nur ein Spaß. Aber als die auf Sylt Angst bekommen und gesagt haben, sie wollen uns nicht haben, dachten wir: Jetzt erst recht“, erklärt einer.
Mittelfinger an die Reichen und Schönen
Nach der Ankunft am Bahnhof Westerland ziehen die Punker keine 300 Meter weiter zu ihrem Zielort: die Wilhelmstraße. Auf dem Platz vor einem Edeka kampieren sie mit Hänge- und Isomatten, Punkrock schallt aus ihren Boxen und der Alkohol fließt, zum Beispiel aus einer aufgeschnittenen Wassermelone. Ihr Vorhaben? „Kein Plan, einfach Spaß haben und feiern“, sagt ein Punker mit grüner Irokesenfrisur. Ein anderer in Nietenjacke bekräftigt das lautstark. Er ergänzt aber, wie sehr es ihn freue, nach Ende der Corona-Beschränkungen endlich wieder neue Leute zu treffen. Viele Punker sehen keine explizit politische Botschaft in ihrem „Sylt-Sturm“, freuen sich aber doch darüber, dass Inselbewohnerinnen und -bewohner, Touristen und Touristinnen und Medien das Punker-Camp in Westerland als Mittelfinger an die Reichen und Schönen wahrnehmen.
Der gilt auch Moritz Luft. Der Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH hatte gesagt, man sei für einen Ansturm von 9-Euro-Ticket-Besucherinnen und -Besuchern nicht gerüstet. Außerdem wies er auf Kapazitätsgrenzen der eingleisigen Bahnstrecke auf dem letzten Streckenabschnitt nach Westerland hin. Luft wurde das so ausgelegt, dass die Insel unliebsame Leute fernhalten möchte. Das könne er nicht verstehen, sagt er. Luft bekräftigt, dass die ehrliche Kommunikation betreffend der Bahnauslastung richtig gewesen sei. Und natürlich gebe es auf Sylt eine „Bandbreite an Angeboten“. Man könnte meinen: für alle etwas dabei, sozusagen vom Punker bis zum Millionär. „Wir sind eine gastfreundliche Insel und begrüßen jeden, der sich für sie interessiert.“
Von dem Internethype um die „Chaostage“ angelockt, sind auch zahlreiche Partytouristinnen und -touristen auf die Insel gefahren, ebenfalls ohne genauen Plan. Eine Gruppe von etwa zehn Menschen – so genau lässt sich das nicht sagen, weil immer wieder neue Feiernde dazustoßen und andere verloren gehen – ist aus verschiedenen Städten der Republik angereist. Warmtrinken im Regionalverkehr, durch Westerland ziehen, am frühen Abend etwas Erholung am Strand. Sie haben sich in einem Kreis von Strandkörben verbarrikadiert, um etwas Schutz vor Kälte und Nordseewind zu suchen. Ein Gerücht, das schon den ganzen Tag die Runde macht, lockt sie dann doch noch mal hinaus: Es soll einen Rave geben, in Hörnum am Leuchtturm.
Party im Pony, kein Rave in Hörnum
Also drängen sie sich in den Bus in Richtung des äußersten Südens der Insel. Etwas unsicher sind sie: Sie sprechen Urlaubende, Einheimische und Journalistinnen und Journalisten an, ob sie etwas von der Party in Hörnum wissen. Keiner kann von mehr als den Gerüchten berichten. Aber egal, man hat ja das 9-Euro-Ticket. In Erwartung des Höhepunkts der Nacht machen sie im Bus noch ein Dosenbier auf, auch härtere Drogen sind im Spiel.
Bevor die Partygruppe an der Endhaltestelle ihre Rucksäcke aufgesammelt hat und ausgestiegen ist, drängen schon enttäuschte Gleichgesinnte in den Bus. „Hier gibt es keinen Rave“, rufen sie durch den Bus. Der Leuchtturm liege auf einem Privatgelände, Party unmöglich. Wenn niemand einen Plan hat, wird eben auch nichts geplant. Also zurück nach Westerland, die Gruppe stimmt das gleichnamige Lied der „Ärzte“ an. In der Wilhelmstraße haben sich die Punker auf der Suche nach einem Schlafplatz über die Stadt und am Strand verteilt, auf dem Platz vor dem Edeka haben sie zerbrochene Flaschen und ihren Mageninhalt zurückgelassen.
Die Stimmung in Kampen im Pony ist derweil bestens. Ein junges Paar aus Hamburg berichtet von anderen Feiernden im Club, die gleich mehrere Champagnerflaschen auf einmal bestellt haben und von einer CO₂-Kanone, die für Nebeleffekte gesorgt hat. 50 Euro pro Person hat sich das Paar den Eintritt kosten lassen – davon kaufen sich die Gruppen in Westerland 100 Dosen Billigbier.
„Am Ende sind sie aber alle gleich“
Ansonsten lassen diese aber wenig Geld auf Sylt. Trotz des Besucherandrangs bleibt der Umsatz gleich oder geht sogar leicht zurück, berichtet eine Eisverkäuferin in Westerland. „Diese Leute sind einfach nicht so zahlungskräftig.“ Ein Taxifahrer will eine betrunkene Gruppe nicht mitnehmen und veranschlagt deshalb 200 Euro „für Limousinenservice“. Niemand steigt für diesen Preis ein. Die Hotels und Ferienwohnungen sind zwar gut ausgelastet, aber die Punker und Party-Touristen in Westerland schlafen auf der Straße, am Strand, oder gar nicht – wie die Gruppe, die sich nach der Rave-Suche in Westerland durchschlagen will, bis um kurz nach 5 Uhr der erste Zug wieder von der Insel fährt.
Am nächsten Morgen findet Eva Dülberg die erbrochenen Überreste der Party im Pony vor der Boutique gegenüber, in der sie arbeitet. Dort verkauft sie Handtaschen der Edelmarke Bottega Veneta, 1000 Euro aufwärts. Dülberg erzählt, die Party im Pony sei laut gewesen, sie vermutet, dass dort Koks und andere Drogen im Spiel waren. Ihr Fazit zum Pfingstwochenende: „Die Punker feiern mit Bier in Westerland, die jungen Reichen mit Champagner in Kampen. Am Ende sind sie aber alle gleich: Sie benehmen sich daneben.“
Im Vergleich zu Westerland, wo Dülberg wohnt, habe die Polizei in Kampen aber keinen Blick auf die Feiernden gehabt. „Vielleicht kommen sie nicht wegen des Einflusses der Reichen. Die gehören eben zur Insel, die Punker nicht.“ Die zuständige Polizeidirektion Nord zählt in der Nacht von Samstag auf Sonntag rund 20 Polizeieinsätze in Westerland. Die seien aber unspektakulär gewesen, beispielsweise sei man wegen Ruhestörung ausgerückt.
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Im Pony will man nicht über die vergangene Nacht sprechen. Betritt man als Journalistin oder Journalist die Terrasse vor dem Club mit Reetdach, wird man umgehend des Geländes verwiesen. Ein Mitarbeiter hängt am Eingang demonstrativ eine schwarze Kordel ein. Kaum jemand in Kampen will über Kampen sprechen. „Wir sind vorsichtig. Wir wollen, dass kein falscher Eindruck entsteht“, sagt eine Restaurantmitarbeiterin.
„Weiter so!“
So eine Kommunikationspolicy haben die Punker nicht. Daggi Meister spaziert am Samstag über die Wilhelmstraße, die 65-Jährige würde dem Äußeren nach auch nach Kampen passen: Mantel in Beige, Bluse in Weiß, Sonnenbrille, gut gebräunt und in der Hand eine Einkaufstüte. Als sie etwas in Richtung der Punker ruft, löst sich einer von ihnen aus der Gruppe. Treffen wieder Welten aufeinander?
„Ich finde das super, was Sie machen. Weiter so!“ Meister, auf Sylt geboren, kommt mit dem Punker ins Gespräch, sie erklärt ihre Begeisterung für die Aktion: „Punker gab es schon immer auf Sylt, besonders in den 80er- und 90er-Jahren.“ Damals hätten sie sich am selben Platz versammelt, ebenfalls als Mittelfinger gegen den Luxustourismus.
Diese Kritik sei immer noch angebracht, findet Meister. „Die Mietpreise sind zu hoch, es wird alles verkauft.“ Kein normaler Sylter und keine normale Sylterin, der oder die schon lange auf der Insel lebe, könne sich das leisten. Der Punker hört aufmerksam zu, am Ende – es gibt eine kurze Umarmung – sind sich beide einig: „Die Insel muss umdenken.“