- Falls Friedrich Merz 2021 Kanzlerkandidat der CDU werden sollte, wäre Annalena Baerbock von den Grünen die beste Gegenspielerin im Rennen um die Kanzlerschaft, munkeln einige im politischen Betrieb.
- Doch könnte Annalena Baerbock Kanzler? Und will sie es? Ein Porträt.
Ein paar Tage vor Weihnachten sorgte Annalena Baerbock für Aufsehen.
„Ja, ich traue auch mir das Kanzleramt zu“, sagte die Vorsitzende der Grünen der „Bild am Sonntag“. Das war zwar eine Selbstverständlichkeit. Schließlich wird die 40-Jährige seit Monaten als mögliche Kanzlerkandidatin gehandelt. Überdies hatte ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck vorher Ähnliches gesagt. Freilich schlug Baerbock neben Respekt jede Menge Verachtung entgegen. In rechten Kreisen hieß es, sie könne in der Regierungszentrale ja putzen gehen.
Am Dienstag sitzt Baerbock in ihrem Bundestagsbüro, um zwischen den Jahren das eine oder andere wegzuarbeiten, und wundert sich immer noch über die aufgeregten Reaktionen. Fest steht: So ruhig wie jetzt im Büro dürfte sie es 2021 nicht mehr haben – egal, wer die Grünen 2021 in die Bundestagswahl führt.
Beachtliche Karriere
Die 40-Jährige aus Hannover hat bereits eine beachtliche Karriere hingelegt. Mit 33 schaffte sie es erstmals in den Bundestag. Mit 38 wurde sie neben Habeck Parteichefin und leitete damit einen Generationswechsel ein. Im Gespräch gibt die Politikerin zu erkennen, dass dies die eigentliche Hürde gewesen sei: es allen beweisen zu müssen, gerade als Frau. Das Gefühl habe sie heute nicht mehr.
Als Baerbock und Habeck begannen, musste sie aufpassen, nicht untergebuttert zu werden. Er, so das allgemeine Urteil, habe mehr Charisma und bekam deshalb mehr und größere Interviews in bedeutenderen Medien. Ihr drohte das Mauerblümchen-Schicksal. Die Wahrnehmung hat sich enorm verändert. So sagte etwa Linken-Chefin Katja Kipping soeben der „taz“: „Annalena hat stark aufgeholt in den letzten Monaten. Eigentlich sagen alle: Robert Habeck ist der Bekanntere, sie ist diejenige mit mehr Substanz.“
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Tatsächlich gilt Baerbock als sehr sachkundig und als eine, die nichts dem Zufall überlässt. Im Bundestag oder in Talkshows präsentiert sie sich souverän. Dabei kommt der Parteivorsitzenden ein robustes Naturell ebenso zugute wie eine gewisse Schlagfertigkeit. Was beide Grünen-Chefs eint: Der Wille zur Macht, der mit dem Willen einhergeht, die Partei zu öffnen. Im Sommer 2019 sagte Baerbock: „Man kann bei uns mitmachen, wenn man nicht in allen Punkten hinter unserem Programm steht.“ Dieser Satz wäre in der Gründungszeit der Grünen undenkbar gewesen.
Was ihr das Jahr 2021 bringen wird, lässt sich trotzdem schwer sagen. Da ist die Corona-Pandemie, die das Jahr prägen dürfte. Und es stehen sechs Landtagswahlen an. Dabei gilt parteiintern jene in Baden-Württemberg am 14. März als die wichtigste. Sollte der einzige grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann warum auch immer sein Amt verlieren, wäre dies für die Gesamtpartei ein schwerer Dämpfer. Also: Vorsichtig sein! Auf Sicht fahren!
Ferner müssen die Grünen zum ersten Mal in ihrer Parteigeschichte sagen, wen sie für das Kanzleramt vorschlagen. Auch wenn es intern heißt, beide würden weiterhin im Team auftreten, ist klar: Es kann nur einen oder eine geben – Robert Habeck oder Annalena Baerbock. Eine Doppelspitze im Kanzleramt sieht das Grundgesetz nicht vor.
Habeck mit besseren Umfragewerten
Für Habeck sprechen die nach wie vor besseren Umfragewerte – und dass er unverändert als der Charismatischere gilt. Für sie spricht neben den erwähnten Qualifikationen und vermutlich größerer Nervenstärke, dass sie unter all jenen mit Chancen auf das Kanzleramt die einzige Frau ist. Darin läge nicht zuletzt dann eine Chance, wenn die Union Friedrich Merz als Kandidaten aufböte – jenen Mann, den Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner zuletzt einen „Macker“ nannte. Kann sein, dass der Druck auf Baerbock dann so stark würde, dass sie es machen müsste und am Ende wirklich Regierungschefin würde.
„Ich verspüre beim Blick auf das nächste Jahr eine positive Spannung“, sagt Annalena Baerbock beim Gespräch zwischen den Jahren. „Ich finde das auch richtig so. Das ist wie beim Sport: Es gibt viel zu gewinnen und viel zu verlieren. Da sollte man ohne gewisse Grundspannung nicht antreten.“ Sie fügt hinzu: „Was immer das Jahr 2021 bringen wird: Es wird kein Selbstläufer sein.“