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Kommentar

Gastbeitrag Silvesterkrawalle
Richterbund: Nicht härter strafen, sondern schneller

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Lesezeit 3 Minuten
In der Nacht zum 1. Januar 2023 feuern junge Männer in Düsseldorf Silvesterraketen ab. Ein Teilnehmer der Feierlichkeiten nimmt die Szene mit seinem Smartphone auf. In n Berlin und anderen deutschen Städten wurden Polizei- und Rettungskräfte mit Pyrotechnik angegriffen.

Raketen und andere Feuerwerkskörper wurden an Silvester auch auf Polizisten und Rettungskräfte gerichtet.

Der Deutsche Richterbund beklagt den Personalmangel an Strafgerichten und formuliert eine klare Forderung an die Regierung. Ein Gastbeitrag.

Kaum war der erste Schock über die Silvesterkrawalle gewichen, griffen die üblichen politischen Reflexe: Böllerverbote brauche es, am besten bundesweit. Und selbstverständlich eine konsequente Strafverfolgung mit schnellen, harten Urteilen. Die Justiz müsse durchgreifen, der Rechtsstaat wehrhaft sein.

Es ist die bekannte Routine, mit der Rechtspolitiker und -politikerinnen, Innenexpertinnen und -experten auf die Silvesternacht reagiert haben. Dabei ist auch ihnen völlig klar, dass Verbote nicht helfen, solange sie nicht ausreichend kontrolliert werden können. Auch neuerliche Strafverschärfungen brächten wenig, weil die drohenden Strafen bei Angriffen auf Polizei und Rettungskräfte bereits scharf genug sind. Entscheidend ist vielmehr, dass die Strafe der Tat nicht irgendwann, sondern möglichst auf dem Fuß folgt, damit sie abschreckend wirkt.

Sven Rabehn, Geschäftsführer des Deutschen Richterbunds

Autor Sven Rabehn ist Geschäftsführer des Deutschen Richterbunds.

Die gesetzlichen Möglichkeiten, um schnell und effektiv zu reagieren, sind vorhanden. Sie werden von der Justiz auch genutzt. Es bräuchte aber zusätzliches Personal, um insbesondere die jetzt viel diskutierten beschleunigten Verfahren bundesweit häufiger durchführen zu können. Diese besondere Verfahrensart setzt kurze Wege und gut eingespielte Abläufe zwischen Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten vor Ort voraus.

Die Bundesregierung sollte es deshalb nicht bei markigen Forderungen belassen, sondern ihren Teil dazu beitragen, dass es Fortschritte gibt. So richtig es ist, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Ende der Sparmaßnahmen in der Justiz fordert, so sehr fällt diese an die Länder gerichtete Kritik auch auf die Ampelkoalition zurück. Sie hat das Versprechen des Koalitionsvertrags, die Justiz durch einen zweiten Rechtsstaatspakt mit den Ländern personell schlagkräftiger aufzustellen, vorerst auf die lange Bank geschoben.

Die Ampel will nun lediglich einzelne Digitalisierungsprojekte in der Justiz unterstützen, was aber am drängendsten Problem des fehlenden Personals vorbeigeht. Bundesweit fehlen nach den Berechnungen der Länder zum Personalbedarf allein in der Strafjustiz mehr als 1000 Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte.

Der erste Rechtsstaatspakt von Bund und Ländern, durch den von 2017 bis 2021 mehr als 2500 neue Stellen in der Justiz entstanden sind, hat noch nicht zu der erhofften Trendwende geführt. Die Entlastungseffekte des Pakts sind überschaubar geblieben, weil zahlreiche neue gesetzliche Aufgaben die Stellenzuwächse wieder aufgezehrt haben.

In einer repräsentativen Allensbach-Befragung von mehr als 800 Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten geben nur acht Prozent der Befragten an, dass der Rechtsstaatspakt zu einer Entlastung geführt habe. 41 Prozent beklagen, dass ihre Arbeitsbelastung trotz des Pakts größer geworden sei. Bei den befragten Staatsanwälten kritisieren das sogar 53 Prozent.

Dazu passen die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Strafjustiz, die einen Trend zu immer längeren Verfahren vor den Strafgerichten belegen. Das nimmt auch eine breite Mehrheit der Bevölkerung so wahr: In einer repräsentativen Allensbach-Umfrage für den „Roland Rechtsreport 2023“ geben 80 Prozent der Befragten an, dass viele Gerichtsverfahren zu lange dauerten. Drei von vier Befragten halten die Justiz für überlastet.

Will die Bundesregierung bei der Justiz glaubwürdig bleiben und in der Bevölkerung einen Verlust des Vertrauens in den Staat vermeiden, sollte sie ihren Kurs korrigieren und sich finanziell stärker für einen durchsetzungsfähigen, wehrhaften Rechtsstaat engagieren.

Angesichts der hohen Arbeitsbelastung und stetig wachsender Aufgaben für Staatsanwaltschaften und Strafgerichte kann eine Trendwende zu schnelleren Strafverfahren nur mit deutlich mehr Personal gelingen. Sicher sind hier in erster Linie die zuständigen Länder gefordert. Eine mehrjährige Anschubfinanzierung des Bundes gegen eine verbindliche Zusage 1000 neuer Stellen durch die Länder würde den dringend benötigten Personalaufwuchs aber beschleunigen, wie der erste Rechtsstaatspakt gezeigt hat.