Robert Habeck erklärt, wohin er Deutschland steuern will, wie er sich auf eine Trump-Regierung vorbereitet und warum er sich gegen Beleidigungen zur Wehr setzt.
Kanzlerkandidat der GrünenRobert Habeck: „Die Wirklichkeit wird sich nicht verändern, nur weil die Ampel weg ist“
Den fehlenden Schlaf merkt man Robert Habeck nicht an. Der Wirtschafts- und Klimaschutzminister ist gerade erst zurück aus Baku von der UN-Klimaschutzkonferenz. Davor lagen drei lange Tage Delegiertenkonferenz seiner Grünen. Trotzdem wirkt Habeck putzmunter, als er die RND-Redakteure in seinem Ministerbüro zum Interview empfängt. Die 96,5 Prozent Zustimmung seiner Partei zur Kanzlerkandidatur geben ihm offenbar Rückenwind.
Herr Habeck, als Sie im Sommer ihre Bereitschaft für eine Kanzlerkandidatur angedeutet haben, sprachen Sie von einem 0:4-Rückstand gegen die Grünen. Wie steht es jetzt?
Robert Habeck: Ich habe mir vorgenommen, das mit den Fußballvergleichen zu lassen, mein Lieblingssport ist Handball. Gemeint hatte ich, dass die gesellschaftliche Stimmung in weiten Teilen gegen die Ampelkoalition und auch die Grünen gerichtet war. Jetzt haben wir eine noch immer schwierige, aber andere Ausgangslage: Die Koalition mit der FDP gibt es nicht mehr, wir starten in eine neue Phase. Wenn es noch mal ein Sportvergleich sein soll, dann würde ich sagen: Das alte Spiel ist abgepfiffen worden, ein neues hat begonnen, und wir gehen da mit neuer Kraft rein.
Hand aufs Herz: Träumen Sie wirklich vom Kanzleramt? In Wahrheit können Sie doch angesichts der Umfragewerte schon froh sein, wenn die Grünen wie beim letzten Mal 14,7 Prozent der Stimmen holen und in die Regierung einziehen.
Träumen ist das falsche Wort. Kanzler zu sein, ist härteste Arbeit. Ich habe das in den vergangenen drei Jahren aus nächster Nähe beobachtet und weiß sehr gut, was dieses Amt seinem Inhaber abverlangt. Wer glaubt, das sei ein Traum, weiß nicht wovon er redet.
Was würden Sie anders machen als Olaf Scholz?
Ich definiere mich nicht im Unterschied zu anderen, sondern mache ein eigenes Angebot. Deutschland muss wieder europäisch denken und handeln. Wir müssen mit Nachdruck an der europäischen Einigkeit arbeiten, auch wenn uns das zu Kompromissen zwingt. Nur dann kann Europa die notwendige Stärke nach außen entwickeln. Wir müssen Klimaschutz und wirtschaftliche Erholung zusammendenken, weil wir in einem harten Wettbewerb um die Technologien der Zukunft stehen. Wir brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur, mehr soziale Teilhabe, bessere Schulen, Kitas, Schienen, Straßen und eine neue Finanzarchitektur.
Habeck: „Strom muss günstiger werden“
Diesen Zielen würde kaum jemand widersprechen. Haben Sie es ein wenig konkreter?
Ein zentraler Punkt, an dem sich die Sozial-, Wirtschafts- und Klimapolitik treffen, ist der Strompreis. Wir haben die Energieversorgung in dieser Legislatur gesichert und daran gearbeitet, dass sie sauber wird. Der nächste Schritt ist, dass Strom günstiger werden muss. Davon profitieren alle: Unternehmen und Verbraucher.
Wie wollen Sie das anstellen?
Ökostrom wird immer billiger. Bei Ausschreibungen für Freiflächen-Solaranlagen sehen wir Preise von unter 5 Cent je Kilowattstunde. Die kommen aber noch nicht bei den Verbrauchern und Unternehmen an.
Weil Steuern und Abgaben zu hoch sind …
Genau, und die müssen weiter runter. Vor allem die Übertragungsnetzentgelte, die ja nichts anderes sind als Gebühren für den Ausbau der Stromautobahnen. Die Leitungen können über Generationen genutzt werden. Es ist deshalb fair und sinnvoll, sie auch über Generationen zu finanzieren. Wir müssen uns buchstäblich mehr Kredit geben, wenn wir die Transformation schaffen wollen.
Den Ausbau von Wind- und Sonnenkraft haben sie beschleunigt, bei der Transformation der Industrie waren sie weniger erfolgreich, wie die gefloppten Chipfabriken in Magdeburg und dem Saarland, das wackelnde Batteriewerk in Heide oder die Fragezeichen hinter der grünen Stahlproduktion in Duisburg zeigen. Ist ihr Konzept der durch Subventionen gesteuerten Industriepolitik gescheitert – oder haben Sie nur kein glückliches Händchen bei der Wahl der Unternehmen?
Zunächst einmal gibt es viele Projekte, die hoch erfolgreich sind. Das Chipwerk von TSMC in Dresden befindet sich im Bau, Infineon läuft, Saarstahl, Salzgitter und ArcelorMittal in Bremerhaven halten an den Plänen für grüne Stahlwerke fest, bei der Wasserstoffwirtschaft ist die Nachfrage enorm. Bei den problembehafteten Projekten gibt es individuelle Gründe wie die Restrukturierung von Thyssenkrupp oder die Schwierigkeiten im Gesamtkonzern bei Intel. Und Northvolt hat jetzt mit der Restrukturierung eine neue Chance; das Investitionsvorhaben in Schleswig-Holstein geht weiter. Aber das ist nicht mein Punkt.
Sondern?
Wir müssen grundsätzlich entscheiden, ob wir energieintensive Industrie mit ihren wertvollen Arbeitsplätzen in Deutschland behalten wollen. Meine Antwort ist: Ja, ich will, dass wir bestimmte Produktionsfähigkeiten allein schon aus Gründen der Wirtschaftssicherheit hier im Land und in Europa halten. Deshalb unterstützt der Staat die Unternehmen bei der Transformation. Natürlich kann es sein, dass einzelne Projekte auch mal schwierig sind. Würden wir aber nur noch auf 100-prozentig risikolose Projekte setzen, wäre das Ergebnis Handlungsunfähigkeit und Stagnation. Davon hatten wir in den letzten Jahren wahrlich genug.
Wollen Sie nur eine Reform der Schuldenbremse, oder werben sie auch für mehr Umverteilung?
Ich werbe für mehr Investitionen, ich werbe für mehr Gerechtigkeit. Wir müssen Steuerschlupflöcher schließen, darauf hat das Finanzministerium unter FDP-Führung nicht den allergrößten Fokus gelegt. Die G20-Staaten haben sich gerade für eine internationale Vermögensbesteuerung für Milliardäre ausgesprochen. Knapp 6 Milliarden Euro könnte das allein dem deutschen Staat einbringen – Geld, das zum Beispiel für Bildung zur Verfügung stehen könnte. Und ich fände es fair, milliardenschwere Öl- und Gaskonzerne, die seit den 1970er-Jahren astronomische Gewinne mit der Förderung der Fossilen gemacht haben, international stärker an den Kosten der Eindämmung der weltweiten Klimaschäden zu beteiligen.
Habeck: „Die Klimapolitik von CDU und CSU ist kurzsichtig“
Mit wem wollen Sie das umsetzen? Die Union steuert gerade in die entgegengesetzte Richtung.
Die Klimapolitik von CDU und CSU ist kurzsichtig. Konservativ zu sein, bedeutet doch nicht, Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, sondern die Lebensgrundlagen zu erhalten und zu schützen. Friedrich Merz und Markus Söder scheinen das vergessen zu haben. Dabei sind Wetter-Jahrhundertkatastrophen inzwischen beinahe Monatsereignisse geworden. Menschen sterben wegen der globalen Erwärmung.
Sind die Menschen der Debatte nicht überdrüssig?
Es ist differenzierter. Viele spüren, dass die Klimakrise unser Leben verändert, auch jetzt schon. Manche bezweifeln, dass Klimaschutz gelingen kann, andere fühlen sich überfordert, und ein Teil sagt, ihr macht zu wenig. Deshalb ist es erstens so wichtig, dass Klimaschutz im Alltag funktioniert. Und zweitens zu sehen: Wir haben den letzten drei Jahren richtig was geschafft. Wir haben Klimaschutz vom Papier in die Wirklichkeit gebracht – allem voran beim Ausbau der Erneuerbaren. Davon profitiert das Land. Jetzt sollten wir Kurs halten. Darum geht es bei der Wahl. Wenn wir wieder eine Wende einlegen, drehen wir uns im Kreis. Wenn wir jetzt noch einmal vier Jahre GroKo-Bummeligkeit bekommen, können wir uns alle Versuche abschminken, dass Deutschland seinen Beitrag zur Eindämmung der globalen Erwärmung leistet.
Friedrich Merz setzt auf Kernfusion und will Windräder abbauen, weil er die „hässlich“ findet.
Der Vorteil an erneuerbaren Energien ist, dass sie korrigierbar sind, wenn wir einmal bessere nachhaltige Energiequellen haben. Der Nachteil an der Kernfusion ist, dass sie noch meilenweit von der Marktreife entfernt ist. Die Kernfusiontechnologie ist faszinierend und hat mit radioaktiver Kettenreaktion klassischer Atomkraftwerke nichts zu tun. Nur wer sie jetzt als kurzfristige Lösung präsentiert, verkauft die Menschen für dumm.
Wollen sie mit unbequemen Wahrheiten ins Kanzleramt? Die Lehre aus der US-Wahl ist, dass viele die gar nicht hören wollen.
Die Wirklichkeit wird sich nicht verändern, nur weil die Ampel weg ist. Auch die nächste Regierung wird mit einer schlecht ausgestatteten und unterfinanzierten Bundeswehr konfrontiert sein, mit ökologischen Katastrophen, technologischen Disruptionen und ohne Reserven im Haushalt. Ich habe mir fest vorgenommen, im Wahlkampf die notwendigen Debatten zu führen. Ich will die Herausforderungen offen ansprechen und laufe jetzt los.
Bei einigen Menschen stoßen Sie auf Ablehnung oder gar Hass. Ein Mann aus Bayern hat sie im Internet als „Schwachkopf“ bezeichnet, danach wurde sein Haus durchsucht. Zwar hat die Staatsanwaltschaft inzwischen klargestellt, dass die Durchsuchung vor Ihrem Strafantrag beantragt worden war. Aber dennoch: Lässt sich Hetze durch Härte bekämpfen?
Viele Ehrenamtliche, Politikerinnen, Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind Beleidigungen, Drohungen, Hass im Netz ausgesetzt. Mit der Folge, dass Menschen sich zurückziehen, wie der CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz. Das ist schlecht für unsere Demokratie. Klar muss ich als Politiker Kritik und Zorn aushalten. Aber die immer stärkere Entgrenzung will ich nicht akzeptieren. „Dreckspack“, „Missgeburt“, „an die Wand stellen“, Adolf-Hitler-Vergleiche, Drohungen an meine Familie gehören zum Beispiel zum Repertoire. Sicher gibt es Wörter, über die man streiten kann. Aber wir dürfen die Debatten auch nicht verkehren. Beleidigungen und Drohungen sind keine Normalität, und ich will sie auch nicht als Normalität hinnehmen. Zum Vorgehen der Behörden: Wir leben in einem Rechtstaat, in dem Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte in eigener Verantwortung entscheiden. Sie entscheiden, ob sie zum Beispiel eine Hausdurchsuchung für verhältnismäßig halten oder nicht.
Habeck: „Wir sind auf Trump vorbereitet“
Vier Wochen vor der Wahl wird Donald Trump als neuer, alter US-Präsident vereidigt. Wird er den Wahlkampf auf den Kopf stellen?
Wir sind vorbereitet. Das gilt sowohl für die Bundesregierung als auch für die grüne Partei. Meine Antwort auf Trump lautet nicht Duckmäusertum, sondern Vertrauen in die eigene Stärke. Deutschland ist stark, Europa ist stark. Wir setzen auf Kooperation mit den USA, weil hiervon beide Seiten profitieren. Wir dürfen uns dabei als Europa nur nicht klein machen, sondern müssen zusammenbleiben.
Trump hat immer wieder mit Zöllen gedroht, unter anderem für deutsche Autos. Er könnte der Wirtschaft damit ein weiteres Jahr Stillstand oder Rezession bescheren.
Die Gefahr ist real. Generelle Einfuhrzölle würden aber auch die USA hart treffen. Ein genereller Einfuhrzoll von 10 Prozent macht alle importierten Güter für amerikanische Konsumenten entsprechend teurer, das wirkt sich auf die Inflation aus. Wir werden deshalb auf europäischer Ebene den konstruktiven Dialog mit den USA aufnehmen und deutlich machen, dass gute Handelsbeziehungen beiden Seiten nutzen. Darüber war ich mit den europäischen Partnern beim Handelsministerrat am Donnerstag in Brüssel einig. Die geopolitischen Herausforderungen sind zu groß, als dass sich die USA und die EU auseinanderentwickeln sollten.
Sie halten Trumps Gerede für leere Drohungen?
Nein, die Erfahrung zeigt, dass man Trump ernst nehmen muss. Ich sage, dass ich mit den USA weiter eng zusammenarbeiten muss und will. Aber wenn die neue US-Administration Hardball spielt, werden wir gemeinsam als Europäische Union selbstbewusst returnieren.
Trump will erneut mit den USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen austreten. Ist der Kampf gegen die Erderwärmung dann verloren?
Es wäre ein herber Rückschlag. Aber ob er bei allem Reden gegen den Klimaschutz den Aufbau von Klimatechnologien in den USA beenden kann, wird man sehen. Gerade in den Bundesstaaten haben viele erkannt, dass so neue Arbeitsplätze entstehen. Die Frage ist doch: Wer produziert die Windkraftanlagen? Wer die Solarmodule? Wer Steuerungstechnik und Speicher? Wenn sich ein Land durch seine Politik davon verabschiedet, profitieren andere.
Weltweit erhalten Politiker großen Zulauf, die Strukturen zerstören wollen, anstatt sie weiterzuentwickeln. Besorgt Sie das?
Ich bin besorgt, aber entschlossen. Autoritäre Regime sind auf dem Vormarsch, Freiheit und Selbstbestimmung stehen unter Druck. Es ist keineswegs sicher, dass liberale Demokratien garantiert sind. Das ist kein Spiel, die Sache ist zu ernst.
Habeck: „Es ist nur schwer zu verstehen, was da gerade in der SPD los ist“
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagt, die nächste Legislatur sei die letzte Chance für stabile Verhältnisse. Hat er recht?
Diese Sorge teile ich. Brandenburg, Thüringen, Sachsen zeigen ja, wie instabil die Situation wird, wenn populistische Parteien so erstarkten. Das Konzept der CDU in Sachsen ist jedenfalls nach hinten losgegangen: den eigenen Koalitionspartner aus der demokratischen Mitte – nämlich die Grünen – hart zu bekämpfen, um dann mit Sarah Wagenknecht zu verhandeln, die munter mit Putins Influencerinnen posiert. Und jetzt steht die CDU in Dresden vor einer Minderheitsregierung. Die Kompasslosigkeit eines Teils der CDU rächt sich jetzt. Das sollten Alarmzeichen sein.
Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hat seine grüne Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher während einer laufenden Bundesratssitzung entlassen, weil diese den Weg für die Krankenhausreform freimachen wollte – ein Gesetz, das von der SPD kam und das Kanzler und Gesundheitsminister unbedingt wollten. Wie bewerten Sie das?
Das Vorgehen von Dietmar Woidke ist unfassbar. Egal, wie sehr man politisch auseinander liegt, man sollte immer einen menschlichen Umgang miteinander pflegen. Die Entlassung ist ein Alarmzeichen: Das passiert, wenn sich ein SPD-Ministerpräsident im Vorgriff auf eine Koalition schon mal Sahra Wagenknechts Bündnis andient. Es ist nur schwer zu verstehen, was da gerade in der SPD los ist.
Wenn die Grünen nach der Wahl nicht in der Regierung landen, werden Sie dann Oppositionsführer, oder endet dann die politische Karriere des Robert Habeck?
Es geht nicht um mich. Wir befinden uns in einer historisch herausfordernden Situation, in der ich viel Verantwortung trage und bereit bin, sie noch ein Stück weiterzutragen. Wenn die Wählerinnen und Wählern zu dem Schluss kommen, dass andere das besser können und ich nicht mehr gebraucht werde, dann ist das für mich in Ordnung. Aber in den nächsten Wochen werde ich mit allem, was ich habe, dafür kämpfen, dass mein Angebot erfolgreich wird.