Robert Habeck ist vom beliebtesten Politiker Deutschlands abgestürzt zum teils verhassten „Mr. Wärmepumpe“. Wie hat ihn das verändert? Findet er zurück zum alten, nahbaren Stil – oder muss er sich neu erfinden? Es wäre nicht das erste Mal.
Umfragewerte im KellerDer Absturz des Robert Habeck – und wie er sich neu erfinden könnte
Ein deutscher Weltmarktführer, der eine eigene Software für seine Produktion programmiert hat; ein Bundeswirtschaftsminister, der sich in der riesigen, hellen Montagehalle vor Ort zeigen lässt, wie dort Teile gebaut werden, ohne die kein Windrad läuft; eine junge Auszubildende mit taffem Auftreten und rosa Strähnen im Haar, die dem Minister erklärt, warum sie keine technische Zeichnerin mehr wird, sondern digitale Produktdesignerin; und dazu strahlt draußen hellblauer Sommerhimmel: Alles an diesem Tourstopp von Robert Habecks Sommerreise wirkt wie dazu gemacht, ein Wohlfühltermin für den Vizekanzler zu werden.
Nichts könnte Habeck gerade besser gebrauchen, nach den harten Monaten, die er hinter sich hat. Seit dem Frühjahr war er aus dem Tritt geraten, der Streit ums Heizungsgesetz warf ihn endgültig aus der Spur. Mit dieser Sommerreise will er nun Abstand zum politischen Gezerre in Berlin gewinnen, den Blick auf die Praxis der deutschen Wirtschaft wenden, neue Ideen sammeln. Und dabei sein ramponiertes Image reparieren, denn das direkte Gespräch mit dem Bürger ist seine Stärke. So sehen es jedenfalls Habeck und seine Fans.
Robert Habeck trifft seine Kritiker
Doch die Werkshalle, die er zum Abschluss der ersten Reisewoche besucht, gehört zum Getriebehersteller Flender - ein Erfolgsunternehmen mit 170 Jahren wechselvoller Geschichte - und steht in Penig, mitten in Sachsen zwischen Leipzig und Chemnitz.
Und hier trifft ein Besucher wie Robert Habeck eben nicht auf Applaus und Selfie-Wünsche, sondern auf Arbeiter, die frustriert darüber sind, dass die mitgereiste Hauptstadtpresse sich nicht dafür interessiert, wie sie von hier aus den Weltmarkt aufmischen, sondern sich fragt, warum die AfD in der Region so hohe Umfragewerte hat.
Über den sonnigen Werkshof wehen die Sprechchöre einer versprengten Gruppe Anti-Habeck-Demonstranten heran, auf ihrem Banner steht „Habeck zerstört unser Land“. Und selbst der jungen Auszubildenden fällt, hinter dessen Rücken befragt, zu Habeck zuerst ein, dass sie daheim nun mal mit einer Ölheizung aufgewachsen sei und ihre Familie deshalb nicht alles nachvollziehen könne, was man sich da in Berlin so ausdenkt. Man darf das als diplomatische Umschreibung des Rufs verstehen, den Habeck hier genießt.
Robert Habeck hat seine Superkraft verloren
Doch als sie dem Minister dann vorführt, wie sie mit dem riesigen Touchscreen, der an ihrem ihrem Werkplatz in die Wand eingelassen ist, die Montagepläne von Getrieben aufbereitet hat und mit virtuellen Handbewegungen den Aufbau der Gerätschaften vorzeigt, da legt Habeck den Kopf schräg, verengt interessiert die Augen, nickt. „Ein bisschen wie eine Ikea-Bauanleitung in cool“, sagt er, die Azubi grinst. Wenn man ihn persönlich treffe, sei er schon sympathisch, gibt sie zu, als Habeck weitergeeilt ist.
Noch vor einem Jahr galt das als die Superkraft des Robert Habeck, und der Wirtschaftsminister als beliebtester Politiker Deutschlands. Habeck war nahbar und nachdenklich. Er galt als bester Erklärer der Ampel-Politik, vor allem, weil er mit den Bürgern auf Augenhöhe sprach - auch, über eigene Schwierigkeiten und Zweifel. Selbst CDU-Chef Friedrich Merz schwärmte von diesem neuen Politiker-Typus, dem man „beim Nachdenken zuschauen konnte“.
Robert Habeck: Erst als neuer Politiker-Typus gefeiert, nun verschmäht
Bevor er 2021 zum Vizekanzler von Olaf Scholz (SPD) und zum ersten Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz wurde, galt er als der womöglich einzige Grüne, der in Ostdeutschland erfolgreich Wahlkampf führen kann. Im Rest der Republik dachte noch im vorigen Sommer eine klare Mehrheit, Habeck wäre der bessere Kanzler gewesen als Scholz.
Vorbei, vorbei. Der Robert Habeck, der inzwischen die erste Woche seiner Sommerreise durch West- und Ostdeutschland absolviert und nun noch ein paar weitere Termine im Südwesten vor sich hat, kommt als Gestrauchelter.
Nicht nur die Grünen, die 2021 noch Wahlkampf ums Kanzleramt geführt hatten, sind in allen bundesweiten Umfragen auf Platz 4 abgestürzt. Auch Habecks Zustimmungswerte sind ins Bodenlose gefallen, sogar Merz ist inzwischen beliebter. Laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend sind 69 Prozent der Deutschen mit seiner Arbeit unzufrieden - bei keinem Politiker ist dieser Wert höher.
Der Absturz des Robert Habeck
Der Absturz kam etappenweise, und er hat Habecks persönlichen Blick auf die Politik nachhaltig verändert. Als der 1969 in Lübeck geborene Habeck vor 14 Jahren erstmals in den Schleswig-Holsteinischen Landtag einzog, damals noch mit halblangem Haar ohne jede graue Strähne, aber bereits mit der Vorliebe für schwarze Oberhemden, da zog er schnell überregionale Aufmerksamkeit auf sich: Ein Doktor der Philosophie, Autor von originellen Romanen und Sachbüchern, ein Dichter und Denker, der bereits frischen Wind in die Kommunalpolitik im Norden gebracht hatte. Er reklamierte für sich, die ausgetretenen Pfade verlassen, Bündnisse auch mit politischen Gegnern suchen und innerhalb der Grünen den Flügelstreit zwischen Linken und Realos überwinden zu wollen.
Als er 2012 in Schleswig-Holstein Landesminister für die Energiewende wurde, lernte er vor Ort, wie man Bauern und andere Bürger mitnimmt, wenn es um unbeliebte Windparks und Stromleitungen. Das prägte seine Sicht auf die Politik, die für ihn das Suchen nach Interessenausgleich und nach dem besseren Argument wurde - was er zur rhetorischen Erfolgsformel perfektionierte, mit der er 2018 die Parteispitze übernahm. Gemeinsam mit Annalena Baerbock aus Niedersachsen.
Der Beginn einer Erfolgsgeschichte, in der spätere Verletzungen und Enttäuschungen zugleich angelegt waren. Als die beiden es 2021 unter sich ausmachen sollten, wer grüner Kanzlerkandidat wird, erhielt Habecks positiv-pragmatische Sicht auf die Politik womöglich erste Risse. Ihre Bewährungsprobe begann aber im Februar 2022 mit Russlands Angriff auf die Ukraine.
Ärmel hochkrempeln und durch
Es ist nur ein gutes Jahr her, dass ganz Deutschland ins brandenburgische Schwedt blickte: Auch da hatte sich Bundeswirtschaftsminister für ein Gespräch mit den Arbeitern vor Ort angekündigt. Putins Gas-Lieferstopp und der deutsche Boykott von russischem Öl haben die örtliche Raffinerie, die halb Ostdeutschland versorgt, in Existenznot gebracht. Es ist Mai 2022, auch damals strahlt der Himmel blau, und auch da gibt man Habeck schnell zu verstehen, dass aus der Belegschaft kaum einer je grün gewählt hat.
Habeck lässt die Betriebsversammlung ins Freie verlegen, weil die Kantine zu klein für den Ansturm ist, und steigt dort im schwarzen Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln auf einen Tisch, damit man ihn gut hören kann. Detailliert erklärt er den Rettungsplan für das Werk, an dem sein Ministerium rund um die Uhr arbeite. Man suche alternative Lieferanten, werde den russischen Staatskonzern als Eigentümer aus dem Betrieb drängen und das Unternehmen neu aufstellen. „Ich will Sie nicht verkackeiern und Ihnen auch nicht irgendwie den Himmel rosarot malen“, ruft Habeck den Arbeitern zu.
Aber wenn sein Plan aufgehe, dann habe das Werk Zukunft und Perspektive. Auf einen skeptischen Fragesteller antwortet er: „Wenn Sie eine bessere Idee haben – her damit“, und scheint das nicht zickig zu meinen: Er werde jeden Vorschlag prüfen lassen.
Stimmung kippt
Der Auftritt verschafft ihm Respekt ihn Schwedt und viel Lob in den Medien. Und so geht es weiter, als er im zum Kämpfer gegen die bundesweite Gasmangellage und gegen den Kältewinter wird. Selbst, als Habeck sich dafür bei Schurkenstaaten und Umweltsündern einschleimen muss, wächst sein Ansehen, weil er sein Hadern damit und mit der Widersprüchlichkeit unseres Lebensstils öffentlich ausstellt.
Die Stimmung kippt, als die FDP sich wenig später gegen die gesetzlich geplante Stilllegung der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland stellt. Nach dem Streit über die Atomkraft folgt der über die Gasumlage, mit der Habeck die Stadtwerke vor der Pleite retten will, die der Gaspreis überfordert - wofür er aber realitätsferner Verbraucherschröpfer hingestellt wird. Selbst im Frühjahr, als sein Ministerium die Energiekrise abgewendet hat, erntet Habeck keine Lorbeeren.
Die FDP hat eine Serie von Landtagswahlen verloren, schaltet auf Attacke um, der Höhepunkt wird der öffentliche Streit um Habecks Gebäude-Energiegesetz. Zu allem Überfluss hat Habecks wichtigster Staatssekretär, Patrick Graichen, in seiner Personalpolitik Dienstliches und Privates vermischt - zu spät begreift Habeck, dass er ihn opfern muss. In TV-Interviews wirkt Habeck seitdem immer öfter angefasst und überfordert. Schwer angeschlagen rettet er sich in die Sommerpause.
Habeck ist niemand, der all das weglächelt. Selbst wenn er am Rande der Sommerreise dazu einen flotten Spruch versucht, klingt er dabei halb melancholisch und halb sarkastisch. In seinen Sommerinterviews und den Bürgerdialogen seiner Tour schlägt Habeck zwar vor allem einsichtige Töne an. „Es ist etwas passiert in Deutschland“, sagt er bei Anne Will. „Und das habe ich nicht rechtzeitig bemerkt, reflektiert, gespürt.“
Robert Habeck will weitermachen
Beim sommerlichen Bürgerdialog in Heidelberg räumt er ein, dass er wohl zu wenig mitgedacht habe, dass Veränderung immer auch eine „Zumutung“ sei: Bei all den Wenden - Energiewende, Verkehrswende, Wärmewende - „wird einem manchmal auch ein bisschen schwindlig“.
Das klingt, als ob er auch nach all dem Streit, all den Verletzungen und Tiefschlägen, weitermachen wolle und könne wie bisher. Als ob der Politikbetrieb über den Sommer einfach ein bisschen entspannen und den Kopf kühlen müsse, und dann gelinge das schon wieder mit der Habeckschen Bündnis-Suche und der Kraft des besseren Arguments.
Doch wer auf die Zwischentöne in Habecks Reden achtet, spürt, dass dieser Blick auf die Politik bei ihm einem kühleren, vielleicht zynischeren gewichen ist.
Der neue Robert Habeck könnte einer sein, der nicht mehr den Kompromiss mit der FDP lobt, sondern der darauf verweist, dass die Liberalen ein Heizungsgesetz verhindern wollten - und dass es nun ja wohl komme. Der zur neuen Anti-Grünen-Polemik von Friedrich Merz nur noch milde lächelnd von „intellektueller Schwäche“ spricht, „weil die CDU ja in der Hälfte der Bundesländer mit den Grünen regiert“. Und der es gewiss nicht noch einmal dazu kommen lässt, dass Annalena Baerbock allein das letzte Wort über die grüne Spitzenkandidatur hat.
Der neue Robert Habeck
Auf seiner Sommerreise kommt es zu einem gemeinsamen Auftritt mit seiner ehemaligen engen Vertrauten, mit der er die Grünen harmonisch wie nie geführt hat, die dann aber ihre Kanzlerkandidatur verstolperte - und nun trotzdem mit einem zweiten Anlauf plant, wie man aus der Partei hört. Man hört auch, dass Habeck das verhindern will, weil er sich nun an der Reihe wähnt.
In Dresden besuchen die beiden Ende voriger gemeinsam Deutschlands modernste Chipfabrik, Infineon. Die Hauptstadtpresse ist busseweise angereist, um ihren ersten gemeinsamen Unternehmensbesuch als Minister und also als Konkurrenten zu beobachten. Doch der gemeinsame Auftritt beweist nur, was alle denken: Aus Baerbock und Habeck wird in diesem Leben kein Dreamteam mehr. Die alte Leichtigkeit ist dahin, er nennt sie vor den Kameras „die Außenministerin“, sie kontert mit „der Wirtschaftsminister“ und fährt ihm über den Mund, als er eine Frage für ihren Geschmack zu ausführlich beantwortet.
Danach macht sie bei der Besichtigung der Chipproduktion zwar selbst in einem Ganzkörper-Anzug, der Staubpartikel fernhalten soll und nur die Augen nicht bedeckt, noch eine gute Figur. Die B-Note ist ihre Stärke.
Doch Habeck hat gerade in einem längeren Monolog davor gewarnt, den Klimaschutz zum Kulturkampf-Thema werden zu lassen. Es ging um Innovationsfreudigkeit, um Wirtschaftskraft und die Fähigkeit zum Konsens. Es klang schon fast wieder wie der alte Habeck. Nur noch etwas eingerostet.