Nawalny habe noch am Donnerstag an einer Videoschalte teilgenommen, erklärte sein Anwalt Nikolaos Gazeas gegenüber dieser Zeitung.
Inhaftierter Putin-KritikerRussische Justiz meldet Tod von Alexej Nawalny – deutscher Anwalt äußert sich
Der Putin-Kritiker und russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist tot, das berichtet die russische staatliche Nachrichtenagentur Ria am Freitag. Der inhaftierte Kremlgegner sei am Freitag in der Justizvollzugskolonie in Jamal gestorben. Nawalny habe sich nach einem Spaziergang „unwohl“ gefühlt und „fast sofort das Bewusstsein verloren“, teilte die Regionalabteilung des russischen Strafvollzugsdienstes mit.
Alexej Nawalny soll nach Spaziergang zusammengebrochen sein
Wiederbelebungsmaßnahmen seien durchgeführt worden, hätten „jedoch zu keinem positiven Ergebnis“ geführt, hieß es weiter. Hinzugezogene Notärzte hätten demnach den Tod des 47-Jährigen bestätigt. Russische Medien berichteten von einem „Blutgerinnsel“ bei Nawalny, bestätigt sind diese Angaben nicht. Die Todesursache solle nun ermittelt werden, teilte der Strafvollzugsdienst weiter mit.
„Der Föderale Strafvollzugsdienst im Bezirk Jamal-Nenzen verbreitet die Nachricht über den Tod von Alexej Nawalny im IK-3. Wir haben hierzu noch keine Bestätigung. Alexeys Anwalt fliegt jetzt nach Kharp. Sobald wir Informationen haben, werden wir diese melden“, schrieb Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch in einer ersten Reaktion auf die Berichte bei X (vormals Twitter) am Freitagmittag.
Der Anwalt Nawalnys, Leonid Solowjow, sagte der „Nowaja Gaseta“ zufolge: „Entsprechend der Entscheidung der Familie von Alexej Nawalny äußere ich mich überhaupt nicht. Wir sind gerade dabei, die Dinge zu klären. Alexej hatte am Mittwoch einen Anwalt bei sich. Da war alles normal.“
Alexej Nawalny: Deutscher Anwalt von Todesnachricht überrascht
Nawalnys deutscher Anwalt äußerte sich gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Freitagmittag überrascht über die Todesnachricht seines Mandanten. Dieser Zeitung sagte Nikolaos Gazeas, noch am gestrigen Donnerstag habe Nawalny per Videoschalte an einer Verhandlung in Russland teilgenommen. Er habe die Bilder der Verhandlung gesehen. „Da hatte er wie üblich einen fitten und starken Eindruck gemacht“, so Gazeas.
Am Mittwoch habe ein russischer Anwalt Nawalny besucht. „Da ging es ihm den Umständen entsprechend gut.“ Gazeas bestätigte, dass einer seiner russischen Kollegen aktuell auf dem Weg ins Gefängnis sei, um sich vor Ort zu informieren. Aus Rücksicht vor den Interessen der Familie von Alexej Nawalny werde er sich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu möglichen Hintergründen äußern, so der Kölner Anwalt.
Nawalny-Vertraute bestätigen Todesmeldung bisher nicht
Nawalny war eigenen Angaben zufolge Anfang Januar erneut in Einzelhaft verlegt worden. Zuvor fehlte von dem Oppositionspolitiker für rund 20 Tage im Dezember jede Spur. Nawalny war in diesem Zeitraum in die Haftanstalt in Jamal verlegt worden.
Die Strafkolonie wird auch „Polarwolf“ genannt und ist eine Nachfolgeeinrichtung des sowjetischen Gulags. Der Oppositionspolitiker hatte im Januar ein Foto eines winzigen vergitterten Gefängnishofs verbreitet, in dem er früh am Morgen bei eisigen Temperaturen spazieren gehen könne. Der Putin-Kritiker, der in seinen Nachrichten gerne einen ironischen Ton anschlug, sprach damals von der „wunderbaren frischen Luft, die trotz der Mauer in den Hof weht“ und betonte, dass das Quecksilber bislang nicht unter -32 Grad Celsius gefallen sei.
Nawalny gilt als schärfster innenpolitischer Kritiker von Putin
Nawalny galt als schärfster innenpolitischer Kritiker von Putin. Nach einem Giftanschlag, für den er den Kreml verantwortlich macht, war er zu seiner Behandlung nach Deutschland ausgereist. Im Januar 2021 war Nawalny nach Russland zurückgekehrt und sofort verhaftet worden.
Gemäß einem im Sommer gegen ihn ergangenen Urteil musste Nawalny seine Haft in einer Kolonie mit schärferen Haftbedingungen verbringen. Diese sind üblicherweise nur für lebenslänglich Verurteilte und besonders gefährliche Gefangene vorgesehen. Nawalny war unter anderem wegen angeblichem „Extremismus“ zu insgesamt 19 Jahren Lagerhaft verurteilt worden.
Nawalny wird international als politischer Gefangener eingestuft
International jedoch galt der Politiker als politischer Gefangener. Menschenrechtsorganisationen forderten seit langem Nawalnys Freilassung, auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) setzte sich regelmäßig für seine Freilassung ein.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte am Freitag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Nawalny habe seinen Mut „mit seinem Leben bezahlt“. Selenskyj forderte, Wladimir Putin müsse für Nawalnys Tod zur Rechenschaft gezogen werden.
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach reagierte auf die Meldung aus Russland. „Für mich war Nawalny ein Held“, schrieb der SPD-Politiker bei X. „Durch seinen Widerstand hat er früh der Welt klargemacht, dass Putin ein rücksichtsloser Verbrecher im Amt ist.“
Günter Wallraff „geschockt und tief getroffen“ vom Tod Alexej Nawalnys
Er sei „geschockt und tief getroffen“, sagt der Kölner Schriftsteller und Investigativjournalist Günter Wallraff. „Alexej Nawalny musste mit allem rechnen und wusste, was ihn zu erwarten hatte, als er nach dem Giftanschlag gegen ihn aus Deutschland nach Russland zurückgekehrt ist. Korruption, Willkür und Menschenrechtsverletzungen in Putins Unrechtsstaat offenzulegen war ihm wichtiger als sein eigenes Leben.“
Nawalny sei für ihn „einer der wichtigsten Menschenrechtler der vergangenen Jahrzehnte“, so Wallraff. Sein Tod zeige „einmal mehr, dass Putin ein Berufsmörder ist, der jeden aus dem Weg räumen kann, der seine Macht infrage stellt“. Dass Nawalny „in der Zelle regelmäßig Häftlinge mit Seuchen wie Tuberkulose zugeführt wurden, haben seine Anwälte dokumentiert. Er ist vielfach willkürlich in Isolationshaft gesteckt worden und hat nicht die Medikamente bekommen, die er brauchte. Putin hat Alexej Nawalny auf dem Gewissen.“
Alexej Nawalny: Europäische Union macht „russisches Regime“ für Tod verantwortlich
Nawalny hatte im Jahr 2023 den Günter-Wallraff-Preis für Menschenrechte und Pressefreiheit erhalten. „Anlässlich der Preisverleihung ließ er mir ausrichten, dass er ‚Putins Gastfreundschaft‘ wohl noch lange ich Anspruch nehmen werde“, erinnert sich Wallraff. „Er hatte seine Courage und Ironie auch in Isolations-Haft unter menschenunwürdigsten Bedingungen nicht verloren.“
Die Europäische Union (EU) macht unterdessen das „russische Regime“ verantwortlich für den Tod des Oppositionellen Alexej Nawalny. Nawalny habe „für seine Ideale das ultimative Opfer“ gebracht, erklärte am Freitag EU-Ratspräsident Charles Michel im Onlinedienst X. „Die EU hält das russische Regime für alleinverantwortlich für diesen tragischen Tod.“
Lettland spricht von „brutalem Mord vom Kreml“
Lettlands Präsident wählte unterdessen noch drastischere Worte. Nawalny sei „brutal vom Kreml ermordet“ worden, erklärte Edgars Rinkēvičs bei X. „Das ist ein Fakt und etwas, was man wissen sollte über den wahren Charakter des gegenwärtigen russischen Regimes.“ Auch Norwegen erhob schwere Vorwürfe gegen den Kreml. Die russische Regierung trage eine „starke Verantwortung“ für den Tod Nawalnys, schrieb Außenminister Espen Barth Eide auf X.
Während seiner Haftzeit hatte es immer wieder Berichte über Nawalnys schlechten Gesundheitszustand gegeben. Im vergangenen Dezember hatten seine Vertrauten bereits gewarnt, das Leben des Putin-Kritikers sei „in großer Gefahr“, zuvor hatte es unbestätigte Berichte über einen „schwerwiegenden Gesundheitsvorfall“ bei Nawalny gegeben.
Nawalny machte sich im Januar über Putin und seine Propagandisten lustig
Zuletzt hatte Nawalny von sich Reden gemacht, als er sich bei einem Gerichtstermin über Putins Propagandisten in Moskau und deren Empörung über eine freizügige Promi-Party in Moskau lustig gemacht hatte. „Hattest du eine Party?“, hatte Nawalny damals einen Beamten der Gefängnisbehörde während einer Videokonferenz vor Gericht gefragt. „Du hattest wahrscheinlich auch eine Nacktparty wie Iwlejewa?“, fügte Nawalny gut gelaunt an. Instagram-Influencerin und TV-Moderatorin Anastasia Iwlejewa hatte zu der „Fast-Nackt“-Party in Moskau geladen.
Mit Wladimir Kara-Mursa ist ein weiterer Kritiker des Kremls und Wladimir Putins ebenfalls derzeit in Russland inhaftiert, der Politiker und Journalist war im Sommer zu 25 Jahren Haft wegen „Hochverrats“ verurteilt worden. In Russland versteht man darunter die öffentliche Kritik an dem Krieg gegen die Ukraine.
Wie auch das Urteil gegen Nawalny löste das Vorgehen gegen Kara-Mursa internationale Empörung aus. Kremlchef Wladimir Putin tritt bei den kommenden „Wahlen“ in Russland ohne ernstzunehmende Konkurrenz an. (mit dpa/afp)