Wagenknecht vs. BaerbockWer wirklich „keine Zeitung liest“

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Sahra Wagenknecht hat Annalena Baerbock vorgeworfen, „keine Zeitung“ zu lesen und behauptet, Wladimir Putin wolle verhandeln. Derartig realitätsferne Darstellungen haben bei BSW und AfD Methode. (Archivbild)

Sahra Wagenknecht hat Annalena Baerbock vorgeworfen, „keine Zeitung“ zu lesen und behauptet, Wladimir Putin wolle verhandeln. Derartig realitätsferne Darstellungen haben bei BSW und AfD Methode. (Archivbild)

Sahra Wagenknecht verkauft Putins Finten als Friedenswillen und verspottet Annalena Baerbock. Das wird zum Eigentor, hat aber Methode.

Es gehört zu den Konstanten dieses Krieges, dass aus Moskau gelegentlich zu hören ist, Kremlchef Wladimir Putin sei zu Verhandlungen, zu einem Waffenstillstand, zu einem Deal – kurzum zu Frieden bereit. Eine weitere Konstante ist, dass diese Gerüchte und Andeutungen aus dem Kreml im Westen aufgegriffen – und weiterverbreitet werden. Wenigstens darauf kann sich Moskau, wo man sich ja stets vom Westen betrogen fühlt, verlassen.

Die Verstärker in den europäischen Echokammern, einst in der Sowjetunion „nützliche Idioten“ getauft, sind beim Weiterverbreiten russischer Märchen mitunter sogar so eifrig, dass sie mittlerweile auch Geschichten verbreiten, die sogar der Kreml bereits klargestellt hat.

BSW und AfD verbreiten Geschichten, denen sogar der Kreml widerspricht

So geschehen in den letzten Tagen, als sowohl Politiker vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als auch von der Alternative für Deutschland (AfD) eilig eine Reuters-Exklusivmeldung an ihre Gefolgschaft weiterverteilten, wonach Kremlchef Putin nun zu Waffenstillstand und Verhandlungen bereit sei.

Der Haken: An Putins Position hatte sich – mal wieder – überhaupt nichts geändert. Die kolportierten Inhalte erwiesen sich schnell als Nebelkerze. Allzu viel Substanz hatte die Geschichte auch vor einer Klarstellung aus dem Kreml nicht. Auch bei dem dort berichteten Waffenstillstand sollten nach Moskaus Meinung die „heutigen Realitäten anerkannt werden“, also die Annexion ostukrainischer Regionen durch Russland. Die Niederlage der Ukraine blieb das Ziel.

Verhandlungswille bei Wladimir Putin?

Der zweite Haken: Putin höchstpersönlich erklärte nur wenig später, dass es ja in der Ukraine niemanden zum Verhandeln mehr gebe. „Herr Putin betonte, dass die Legitimität von Herrn Selenskyj für Russland vorbei sei“, berichtete die russische Zeitung „Kommersant“ kurz nach Aufkommen der neuerlichen Gerüchte.

Sieht so eine Abkehr von den bekannten russischen Kriegszielen aus, die auch den Sturz der pro-westlichen Regierung in Kiew zum Ziel hat? Nein. Und damit das klar wird, betonte auch Dmitri Peskow es noch einmal. „Der Präsident hat wiederholt erklärt, dass er zu Verhandlungen bereit ist. Aber das sind Verhandlungen, um die Ziele zu erreichen, die wir jetzt durch eine spezielle Militäroperation erreichen“, zitierte die Staatsagentur Ria den Kreml-Sprecher. Russland will diesen Krieg gewinnen, so oder so.

Russland will seine Kriegsziele erreichen – so oder so

Manchen beim BSW und der AfD konnten die klaren Worte aus Moskau allerdings nicht stoppen: „Nach einem Bericht von Reuters ist Putin verhandlungsbereit“, verkündete BSW-Politiker Frederick Broßart bei X. „Sogar Bedingungen wurden genannt“, fügte er an. Dass schnell Zweifel an der angeblichen Gesprächsbereitschaft aufgekommen waren, war Broßart derweil ein Dorn im Auge.

Statt Putins angebliches Angebot „aufzugreifen“, werde darüber gesprochen, „wie der Krieg am Laufen gehalten werden kann“, schrieb Broßart. „Erst beschweren, dass Putin nicht verhandlungsbereit ist und jetzt deutet sich eine Bereitschaft an, wird es von sogenannten Experten zerredet“, hieß es weiter. Damit scheint der Politiker ganz auf Linie mit seiner Parteispitze zu sein. Am Ende muss stets der Westen irgendwie schuld daran sein, dass Putin seine Armee nicht zurückzieht.

Sahra Wagenknecht behauptet: Wladimir Putin will verhandeln

Bereits am Tag vor den neuen Gerüchten aus Moskau hatte Parteiikone Sahra Wagenknecht sich in einem Video zu Wort gemeldet – und sich dort über Annalena Baerbock echauffiert, die zuletzt festgestellt hatte, dass es keine echte Verhandlungsbereitschaft bei Putin gebe. Auch gegen die hohen Kosten für die Unterstützung der Ukraine wetterte Wagenknecht. „Brot statt Kanonen“, schrieb Broßart über das Video.

„Für Waffen, für diesen Krieg, da scheint Geld noch und noch vorhanden zu sein“, erklärt Wagenknecht in der Aufnahme, die sie in schlechter Bildqualität vor grünen Blättern zeigt. Natürlich sei Russlands Krieg „verbrecherisch“, stellt Wagenknecht fest, aber nicht Waffen, sondern „nur Verhandlungen“ könnten ihn beenden.

„Aber wahrscheinlich liest Frau Baerbock keine Zeitung“

„Das fordert der Papst, das will China vermitteln, dafür hat sich die Türkei angeboten und viele andere Länder mehr“, sagt die Parteigründerin und raunt dann: „Aber uns wird erzählt: ‚Ja, Putin, der will doch nicht verhandeln!‘ Ach so?“ Schließlich folgen Screenshots von Medienberichten, in denen Moskau seine „Verhandlungsbereitschaft“ signalisiert oder „Gespräche nie abgelehnt“ hat, ehe Wagenknecht triumphal erklärt: „Tja, die Schlagzeilen in der deutschen Presse sahen anders aus. Aber wahrscheinlich liest Frau Baerbock keine Zeitung.“

Sahra Wagenknecht zusammen mit Oskar Lafontaine beim Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht. (Archivbild)

Sahra Wagenknecht zusammen mit Oskar Lafontaine beim Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht. (Archivbild)

Nur Schlagzeilen gelesen hatte man derweil auch bei der AfD. Dort forderte die Bundestagsfraktion noch am Samstag „ernsthafte Verhandlungen“ aufzunehmen, obwohl bereits klargestellt worden war, dass sich an Moskaus Motiven rein gar nichts geändert hatte.

AfD meldet sich ebenfalls nach Nebelkerze aus Moskau zu Wort

„Wir begrüßen die aufgezeigte Bereitschaft zu einem Waffenstillstand und erwarten, dass es nun schnell und von beiden Seiten zu konkreten Handlungen in dieser Richtung kommen wird“, erklärte der außenpolitische Sprecher Matthias Moosdorf. „Es wäre fatal, wenn erneut die Chance zu einem Verhandlungsfrieden leichtfertig vertan würde“, bekräftigte auch sein Vertreter Joachim Wundrak.

Ob bei der AfD oder dem BSW: Bei beiden Parteien klingt es am Ende oftmals, als hätte der Westen ein russisches Angebot ausgeschlagen. Und das mittlerweile sogar, während Moskau versichert, überhaupt kein Angebot gemacht zu haben.

ISW: „Putin hat kein Interesse an sinnvollen Verhandlungen“

Als die Russlandexperten bei der AfD von Waffenstillständen und Verhandlungen sprachen, ließ der russische Botschafter in den USA zeitgleich überhaupt keine Zweifel mehr aufkommen. Gegenüber dem US-Magazin „Newsweek“ bestritt Anatoli Antonow jegliche Legitimität Selenskyjs als ukrainischer Präsident und unterstrich, dass Moskau jegliches Friedensabkommen ablehnen werde, bei dem ein Abzug russischer Truppen aus der Ukraine vorgesehen sei.

„Offizielle russische Stellungnahmen stützen weiterhin die Einschätzung, dass Putin kein Interesse an sinnvollen Verhandlungen und einem Friedensabkommen hat“, lautete angesichts dieser Aussagen die nüchterne Schlussfolgerung der Analysten des amerikanischen Instituts für Kriegsstudien (ISW).

BSW attackiert Anton Hofreiter: Westliche Waffen gegen Russland? 

Und so stellt sich am Ende die Frage, ob es wirklich Annalena Baerbock ist, die „keine Zeitung“ liest – oder ob das nicht eher in den Reihen von AfD und BSW der Fall ist. Am Sonntag stürzten sich Wagenknecht-Politiker in sozialen Nerzwerken nämlich bereits eilig auf die nächste Schlagzeile, die berichtete, dass man in Washington darüber nachdenkt, der Ukraine Angriffe auf russisches Territorium mit amerikanischen Waffen zu erlauben. Großbritannien hat diese „rote Linie“ bereits aufgelöst.

Dass der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sich prompt für grünes Licht für Kiew aussprach, ließ schließlich auch BSW-Chefin Amira Mohamed Ali lospoltern: „Die Radikalisierung einiger Grüner in der Kriegsfrage ist erschütternd und eine Gefahr für den Frieden“, schoss sie bei X gegen Hofreiter. „Wer einen Angriff auf russisches Staatsgebiet für sinnvoll hält, ist als Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag ungeeignet“, fügte sie an, während einer ihrer Parteikollegen Hofreiter prompt „ins Gefängnis“ wünschte.

BSW schreibt lieber über „Panzer Toni“ als über Putins Terror

Es gab zuletzt jedoch nicht nur Meldungen über die angebliche Gesprächsbereitschaft in Moskau oder die offenbar wackelnden roten Linien in den USA, sondern auch eine viel wichtigere. Auch bei der ging es um den Angriff auf ein Ziel in einem anderen Land. Also um das, was die Ukraine – wenn es nach dem BSW geht – nicht dürfen sollte. Während Kiew militärische Ziele angreifen will, handelte es sich hierbei allerdings um eine Attacke auf Zivilisten, die gerade einkaufen wollten.

„Mindestens 16 Tote bei Angriff auf Baumarkt in ukrainischer Stadt Charkiw“, lautete die Schlagzeile. Bei der AfD und in den Reihen der Wagenknecht-Partei suchte man vergeblich nach empörten Worten oder gar Verurteilungen von Putins jüngstem Terroranschlag. Beim BSW wetterte man auch am Montag lieber weiter gegen „Panzer Toni“ und die Nato, die uns alle in einen Atomkrieg führen werde – und tat Putin damit bereits den nächsten Gefallen. Auch das ist eine Konstante in diesem Krieg.

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