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Schreckgespenst Viktor OrbánBrüssel hat genug von Ungarns Blockaden

Lesezeit 5 Minuten
ARCHIV - 26.10.2023, Belgien, Brüssel: Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn, trifft zu einem EU-Gipfel im Gebäude des Europäischen Rates ein und spricht mit Medien. (zu dpa: "EVP-Chef Weber warnt vor zu viel Einfluss von Orban in Brüssel") Foto: Virginia Mayo/AP +++ dpa-Bildfunk +++

Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn, trifft zu einem EU-Gipfel im Gebäude des Europäischen Rates ein und spricht mit Medien.

Für Viktor Orbán hat das Arbeiten gegen die EU System. Im Parlament gibt es zwei Initiativen, um seinen ständigen Vetos ein Ende zu setzen.

Vor dem Orbán-Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel herrscht am Donnerstagmorgen reges Treiben. Die Büros für Forschung und Innovation sind hier angesiedelt, gleich neben dem Orbán-Park mit einer steinernen Orbán-Statue. Benannt sind sie alle aber nicht nach dem ungarischen Premier Viktor Orbán, der seit Jahren Brüssel in Atem hält, sondern nach dem ehemaligen belgischen Premierminister Walthère Frère-Orbán. Dass seinen Namensvetter aus Ungarn in Brüssel eines Tages ebenfalls ein Denkmal erhält, ist heute unwahrscheinlicher denn je.

„Regierungschef Viktor Orbán nimmt sein Land in Geiselhaft, um seinen Traum vom autoritären Gesellschaftsumbau voranzutreiben, den Rechtsstaat tritt er mit Füßen, die Europäische Union missbraucht er als Goldesel“, sagt die Ko-Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Terry Reintke, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Im Europaparlament ist man vor allem die ständigen Vetos leid, mit denen der Rechtspopulist weitere Hilfen der EU für die Ukraine blockiert. Es geht um 50 Milliarden Euro über mehrere Jahre für die Ukraine, die Teil des überarbeiteten EU-Haushalts sind. Orbán habe sich in den vergangenen Jahren keineswegs als Partner der anderen EU-Staaten erwiesen, sagt EVP-Fraktions- und Parteichef Manfred Weber dem RND. „Er agiert mehr als Verbündeter Putins, denn als EU-Mitglied.“

Europaparlament gegen die Vetos von Ungarns Premierminister Orbán

Orbáns Zustimmung im Europäischen Rat zu neuen Hilfsgeldern ist aber zwingend notwendig, damit der Ukraine nicht in wenigen Wochen der Staatsbankrott droht. Im EU-Parlament gibt es nun gleich zwei Initiativen, um dem ungarischen Präsidenten das Stimmrecht zu entziehen. Der finnische Konservative Petri Sarvamaa hat eine Petition gestartet, wonach sich die EU-Kommission bei den Staats- und Regierungschefs für einen Stimmrechtsentzug einsetzen soll. Es gehe für die EU um alles oder nichts. Zur Begründung heißt es, Ungarn achte europäische Werte wie Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schon lange nicht mehr.

Eine weitere Initiative wird voraussichtlich am Mittwoch im EU-Parlament verabschiedet. Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley (SPD) will bei der Vorstellung ihres Berichts zur Lage der Grundrechte in Ungarn den Entzug der Stimmrechte fordern, ebenfalls wegen Missachtung europäischer Werte. Gleichzeitig will das EU-Parlament den Druck auf Orbán erhöhen, der immer noch auf die Freigabe von 12 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt und milliardenschweren Corona-Hilfen wartet. Wegen Defiziten bei der Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsvorwürfen war die Auszahlung gestoppt worden. Das Parlament hat nun kurzfristig Orbán auf seine Tagesordnung für die kommende Woche gesetzt und will erreichen, dass die eingefrorenen EU-Mittel weiter blockiert bleiben.

Am Ende entscheiden die Staats- und Regierungschefs, ob sie Orbán das Stimmrecht im Rat entziehen. Mindestens 72 Prozent der Mitgliedstaaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen, müssen zustimmen. Ob es tatsächlich dazu kommt? In Brüssel sind viele skeptisch, denn es wäre ein Präzedenzfall. Umso wahrscheinlicher ist es, dass Orbán beim eigens für ihn einberufenen Sondergipfel am 1. Februar erneut einen gesichtswahrenden Ausweg bekommt. Schon jetzt laufen im Hintergrund Verhandlungen für neue Ukraine Hilfen und den Fall, dass der Rechtspopulist einlenkt. Sollte Orbán sein Veto nicht zurücknehmen, will die EU-Kommission mehrere Alternativen vorlegen. Die 26 EU-Mitglieder – ohne Ungarn – könnten die 50 Milliarden Euro etwa in einen eigenen Ukrainefonds anlegen.

Orbán das Stimmrecht im Rat entziehen?

Vor einer Woche hatte Ungarn einen Kompromissvorschlag unterbreitet, wonach jedes Jahr aufs Neue über die Ukraine Hilfen abgestimmt werden sollen. Doch die Angst ist groß, dass Orbán bei jedem neuen Hilfspaket mit einem Veto droht und Gelder für sich freipressen will. Das Parlament würde einen solchen Kompromiss jedenfalls nicht mittragen.

Und noch eine Sorge treibt Brüssel um: Wenn EU-Ratspräsident Charles Michel im Sommer bei den Europawahlen antritt und voraussichtlich ins Parlament wechselt, könnte Orbán vorübergehend dessen Aufgaben übernehmen. Denn sollten sich die Staats- und Regierungschefs nicht rechtzeitig auf einen Nachfolger für Michel einigen, würde das Land, das die halbjährlich wechselnde Ratspräsidentschaft innehat, vorübergehend übernehmen – Ungarn. Der ungarische Europaskeptiker würde dann den EU-Gipfel im Juli leiten, könnte weitere Gipfel einberufen und wäre für die Vermittlung zwischen den Mitgliedsstaaten zuständig. Sogar die EU-Politik der nächsten fünf Jahre könnte Orbán beeinflussen, befürchtet Reintke. „In den Wochen nach den Europawahlen finden wesentliche Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission über die inhaltlichen Prioritäten der nächsten Legislaturperiode statt, und Viktor Orbán sollte daher so wenig Einfluss wie möglich bekommen“, sagte sie dem RND.

EVP-Chef Weber sieht in der ungarischen Ratspräsidentschaft eine noch nie dagewesene Herausforderung für die Einigkeit in der EU und fordert: „Jede Entscheidung im Zusammenhang mit der Unterstützung der Ukraine sollte nicht von Orbán koordiniert werden.“ Dies gelte auch für alle anderen sensiblen Bereiche, wie Verteidigung oder Finanzen. Zwar könne Orbán die Ratspräsidentschaft auch nutzen, um sich wieder als verlässlich zu präsentieren. Doch Weber hat nur wenig Hoffnung.

Orbans Einfluss in Brüssel ist inzwischen so groß wie noch nie. Das zeigt er auch gerne. Nur einen Katzensprung von EU-Kommission und Parlament entfernt, in der Rue de la Loi 9, hat Ungarn einen imposanten Palast gekauft. Das „Ungarische Haus“ soll bis zum Sommer, wenn das Land die Ratspräsidentschaft übernimmt, renoviert und eröffnet werden. Im Herzen des EU-Viertels will Orbán dann mehr denn je ungarisches Flair versprühen. (dpa)