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Schreien im Schlaf, SuizidversucheWie das Kölner Therapiezentrum Folteropfern hilft

Lesezeit 7 Minuten

Danesh E. während einer Therapiesitzung.

  1. Wenn Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, kommen sie in Deutschland oft mit einer schweren Bürde an.
  2. Psychologen können ihnen dabei helfen, ihre grauenvollen Erlebnisse zu verarbeiten, die zu Selbstverletzungen, Ohnmachtsgefühlen, Depressionen und Angststörungen führen. Wie gehen sie dabei vor?
  3. Ein Besuch im Therapiezentrum für Folteropfer in der Kölner Innenstadt.

Als Danesh E. (Name von der Redaktion geändert) zum ersten Mal in das Therapiezentrum für Folteropfer kam, rief die Mitarbeiterin über die Arztnotrufzentrale einen Krankenwagen. Es ging ihm so schlecht, dass sie um sein Leben fürchtete. Sie wusste, in so einem Zustand helfen nur Medikamente und ein stationärer Klinikaufenthalt. Beides bekam er in der LVR-Klinik in Köln-Merheim.

Seitdem sind etwas mehr als zwei Jahre vergangen. Danesh E. erhält inzwischen eine Einzeltherapie bei der Psychotherapeutin Maria Dapper, nachdem sein Name auf einer Warteliste vorwärtsgerückt war, und er in dieser Zeit die Treffen der Männergruppe wahrgenommen hatte. Während Danesh E. uns seine Geschichte schildert, dankt er immer wieder den Mitarbeiterinnen des Therapiezentrums in der Spiesergasse, zählt jeden Namen auf und sagt: „Ich weiß nicht, was ich ohne sie sonst gemacht hätte.“

Der aus Kundus, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Nordosten Afghanistans stammende, 31 Jahre alte Mann ist einer von über einhundert Personen, die psychotherapeutisch von der am Rand des Gerling-Quartiers gelegenen Caritas-Einrichtung betreut werden. Vor 35 Jahren wurde sie von der früheren langjährigen Leiterin Brigitte Brand-Wilhelmy gegründet und beschäftigt neben acht nach verschiedenen psychotherapeutischen Methoden arbeitenden Psychologen auch zwei Sozialarbeiterinnen, eine Heilpädagogin und zwei Mitarbeiter in der Verwaltung. Die Klientel des Zentrums sind Menschen, die in ihrem Heimatland Verfolgung, Krieg, Gewalt und Folter erlebt und am Ende eine Flucht voller Gefahren überstanden haben oder, wie es bei der Seenotrettung geschieht, den Tod von Familienangehörigen oder Bekannten mit ansehen mussten.

Claudia Schedlich leitet das Therapiezentrum.

„Wir behandeln traumatisierte Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, aus Krisengebieten, die aufgrund dieser schwerwiegenden Lebenserfahrungen psychische Folgestörungen entwickelt haben“, erzählt die Leiterin Claudia Schedlich. Danesh E. hatte Alpträume, weinte, schrie im Schlaf und sah keine Perspektive mehr für sein Leben.

Die Autobahnbrücke in der Nähe der Erstaufnahmeeinrichtung an der Herkulesstraße, wo er damals wohnte, suchte er einige Male auf, um sich herabzustürzen. „Aber ich habe an die Leute im Auto gedacht“, erzählt er. Eines Tages sagte sein iranischer Mitbewohner, es gebe da so eine Stelle, „da können wir zusammen hingehen, da wird dir geholfen“.

Menschen wie Danesh E. haben eine Posttraumatische Belastungsstörung. Das ist neben Depressionen, Angststörungen, Somatisierungsstörungen, das heißt körperlichen Beschwerden ohne organisch fassbaren Befund, eine der Diagnosen, die die Psychologen hier stellen. Jeder, der die Einrichtung aufsucht, wird in einem sogenannten Clearing angehört, der Situation, die für Danesh E. glücklicherweise mit einer Einweisung in eine Klinik endete. Nach diesem ersten Anhören wird in wöchentlichen Teamsitzungen aller Kollegen besprochen, wer wie aufgenommen oder auf die unvermeidliche Warteliste gesetzt wird.

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Hilfesuchende sind Frauen, Männer, Familien, Kinder, Jugendliche, der jüngste Klient ist 13, der älteste 70 Jahre alt. Sie kommen aus Syrien, dem Iran, Irak, Afghanistan, dem arabischen Raum, aus Afrika, aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, aus Jugoslawien, Kosovo, China, Sri Lanka – die Liste ist lang und ebenso die der Sprachen. Für 35 bis 40 Fremdsprachen stehen Sprach- und Kulturmittler, wie sie Schedlich nennt, zur Verfügung, deren Übersetzungen strengen Regeln unterliegen. Sie müssen genau das übersetzen, was gesagt wurde, dürfen nichts weggelassen oder hinzufügen. Sollten sie eine Verständnisfrage haben, müssen sie das rückmelden. Oberste Gebote für sie wie für die Therapeuten: Sie müssen die Schweigepflicht einhalten und dürfen außerhalb der therapeutischen Situation keinerlei Kontakt zu den Klienten pflegen.

Über die Einrichtung

Das Therapiezentrum für Folteropfer in der Spiesergasse 12 in Köln existiert seit 1985 und ist für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in Deutschland Schutz suchen und auf ihrer Flucht aus ihren unsicheren Herkunftsländern, durch Kriegs- und Krisengebiete hindurch oft Schreckliches erleben, eine wichtige Anlaufstelle. Die vertraulichen, kostenlosen Angebote der psychologischen und sozialen Beratung, Psychotherapie und Vermittlung in weiterführende Hilfen werden auch durch Spenden gesichert.

Danesh E. spricht Dari, eine der vielen Sprachen in dem Vielvölkerland Afghanistan, wo er nach einer Ausbildung auf einer Militärakademie als Polizist gearbeitet hatte. Er war mit einem knappen Dutzend anderer zum Sicherheitsschutz der Zivilbevölkerung abgestellt. „In diesem Gebiet waren die Taliban ständig da“, erzählt er. Sie hatten Wege vermint, „ganz normale Leute umgebracht“. In einer Nacht hörte er plötzlich einen Knall, „wie von einer Rakete, und dann 60 bis 70 Leute sehr laut „Allahu Akbar“ rufen.

Der 31 Jahre alte Mann kann nur noch stockend von dieser Nacht berichten. Denn zu seinem Bericht gehören die Ermordung aller seiner Kollegen, das Anzünden und Verbrennen ihrer Leichen – und das vor seinen Augen. Danesh E. entkam mit einem Sprung in ein Erdloch. Plötzlich wirft er im Gespräch seinen Oberkörper nach vorn, als müsste er sich ducken, erhebt sich sofort wieder und sagt, „solche Sachen passieren mir oft“.

Das Therapiezentrum liegt am Rand des Gerling-Quartiers in der Kölner Innenstadt.

Der junge Mann durchlebte einen Flashback, eine unwillkürliche, an eine Erinnerung gekoppelte Handlung. „Trauma bedeutet Kontrollverlust“, erklärt Claudia Schedlich. Traumatische Erfahrungen seien von Hilflosigkeit, Schmerz, Ohnmacht geprägt, und „dieser Kontrollverlust erfasst dann auch das eigene Erleben“. Äußere, für andere harmlose Reize können die Erinnerungen an das bedrohliche Erlebnis wieder hervorrufen, ein Geruch, ein Geräusch oder der Anblick Uniformierter etwa, und die Betroffenen werden auf der Stelle von ihren schrecklichen Erinnerungen überflutet. „Traumaassoziierte Trigger sind fernab des Logischen, docken im Gehirn an, und der gesamte Organismus fährt in Alarmbereitschaft hoch“, erklärt Schedlich. Bei Danesh E. ist es nicht nur die Erinnerung an das Erlebnis mit den Taliban, die seine Rede stocken lassen. Danach, als es ihm gelungen war, sich zu seinen Vorgesetzten durchzukämpfen, beschuldigten ihn diese, mit den Terroristen zusammengearbeitet zu haben, nahmen ihn als Gefangenen, setzten Gewalt ein, um ein Geständnis von ihm zu erzwingen. „Sie fingen an, mich brutal zu schlagen, mit der Waffe auf den Kopf, überallhin schlugen sie mich“, sagt er.

Nach vier Tagen konnte er fliehen, und für Danesh E., der zuerst gehofft hatte, im Iran bleiben zu können, was aber nicht klappte, weil das Land Flüchtlinge aus Afghanistan zurückschickt, begab sich auf den langen Treck nach Deutschland. Nach vier Wochen erreichte er im Dezember 2015 Köln. „Wenn man bei Schleppern landet“, sagt er über diese Flucht, „hat man keine weitere Chance. Sie tun, was sie wollen, und man fühlt sich wie verkauft.“

Psychotherapie für Menschen mit Foltererfahrung, mit intendiertem, das heißt gezieltem Einsatz von Gewalt durch Menschen, beinhaltet wie jede Psychotherapie drei Phasen: Stabilisieren, Durcharbeiten, Integrieren.

Für Danesh E. hieß das erst einmal, durchschlafen zu können und die Selbstverletzungen, er ritzte sich mit scharfen Gegenständen die Haut, zu stoppen. Durcharbeiten bedeutet, „überhaupt erst einmal Worte zu finden“, erklärt Schedlich. „Sprachlosigkeit hat mit der neurophysiologischen Verarbeitung von Traumata zu tun.“

Trauma als Teil des Lebens

Gelingt es aber, eine Geschichte zu erzählen, „hat man auch einen zeitlichen Rahmen. Man benennt etwas, was vor dem Schrecken passiert ist, man ordnet die schrecklichen Dinge in einen zeitlichen Verlauf ein und man konkretisiert deren Ende“. Integrieren heißt, „das Trauma als Teil des Lebens zu begreifen“, erläutert die Leiterin.

Danesh E. weiß inzwischen, dass seine Alpträume, das plötzliche Erwachen und Durchgeschwitztsein unbewusst passieren: „Man befindet sich in der Vergangenheit und sieht alles, was man in dieser Zeit erlebt hat.“ Es gehe ihm inzwischen viel besser als vor zwei Jahren, er bereite sich mit einem Vorkurs auf einen Realschulbesuch vor und würde später gern eine Ausbildung für eine Büroarbeit beginnen.

Danesh E. hat Pläne. Das ist gut, er denkt positiv an die Zukunft, obwohl sein Aufenthaltsstatus in Deutschland nicht gesichert ist, und er selbst hier, 7000 Kilometer von seiner Heimat entfernt, Angst vor den Taliban hat. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt, und das Klageverfahren dauert an. Claudia Schedlich sagt: „Viele der Menschen, die wir hier behandeln, sind nicht in Sicherheit.“