5 Jahre „Wir schaffen das“So geht es 4 Geflüchteten in Deutschland inzwischen
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Fünf Jahre nach dem Höhepunkt der Asylkrise haben wir uns umgeschaut, wie es Menschen inzwischen ergangen ist, die aus unterschiedlichen Ländern zu uns nach Deutschland geflüchtet sind.
Abdulrahman Fayoumi: Zwischen Freude und Angst
Abdul hat einen Ausbildungsplatz zum Pharmazeutisch-Technischen Assistenten ergattert. Der Einstieg in den Arbeitsmarkt. Endlich. Nach fast fünf Jahren.Ende November 2015 kommt Abdulrahman Fayoumi in Deutschland an. Da ist er 19 Jahre alt. Über die Türkei und den Balkan gelangt der Syrer nach Deutschland. Er ist allein. Seine Mutter und seinen Bruder hat er in Damaskus zurückgelassen.
Er wohnt zunächst in einer Sammelunterkunft auf dem Gelände des Ledenhofs, einem Heilpädagogischen Zentrum des Landschaftsverbandes Rheinland in Bonn. Abduls schwarze Haare sind akkurat frisiert. Sein Blick ist offen. Er will, wie er sagt, irgendwann gut Geld verdienen, wenn möglich, als Chef arbeiten. Es mangelt noch an Selbstbewusstsein, er findet, dass er zu schmächtig ist.
Abdul hat den meisten seiner Landsleute bei seiner Ankunft etwas voraus. Er spricht ein bisschen Englisch. Über Youtube-Videos habe er sich die Sprache angeeignet. So kann er bei den Treffen in einem Kennenlern-Café als Dolmetscher helfen. Und er kann sagen, was er will. An der Uni in Damaskus hatte er ein paar Semester Biologie studiert. Das will er in Bonn fortsetzen.
Doch bevor er studieren kann, muss er die Sprache lernen. Die Schrift. Neue Buchstaben. Er belegt Kurse in einer privaten Sprachschule. Täglich telefoniert er mit seiner Mutter, die ihm fehlt, lange lässt er sich morgens per Telefon von ihr wecken. „Ich hätte sie gern auch nach Deutschland geholt, aber sie durfte nicht kommen, weil ich schon erwachsen war, als ich hier ankam“, sagt Abdul. Auch die Predigten des Imams der Gemeinde, in der früher ehrenamtlich arbeitete, hört er sich auf Youtube an. Der Geistliche ermutigt ihn, sich in seiner neuen Heimat Anschluss zu suchen.
Deutsch zu lernen stellt sich als schwieriger dar als Abdul dachte. Den Vorsatz, Biologie zu studieren, gibt er auf, orientiert sich 2018 mit Hilfe einer Expertin des Migrationsdienstes der Arbeiterwohlfahrt um. Neues Ziel: Chemisch-technischer oder pharmazeutisch-technischer Laborant. Die Uniklinik Bonn hat dazu ein Programm aufgelegt für junge Migranten. Voraussetzung: Deutsch auf Sprachniveau B2. Er scheitert zunächst.
Eines Tages, inzwischen hat er sich eine eigene kleine Wohnung in Bonn organisiert, spricht er auf der Straße eine südkoreanische Gaststudentin an. Die beiden finden Gefallen aneinander, und als Mingkyung für ihr Innenarchitektur-Studium nach Hamburg zieht, besucht er sie dort. Doch dann bricht die Pandemie aus, Mingkyung beschließt, nach Seoul zurückzufliegen.
Abdul hat zu diesem Zeitpunkt immerhin den Deutschtest bestanden. Er bewirbt sich bei den Bernd-Blindow-Schulen, um die Ausbildung zum Pharmazeutisch-Technischen Assistenten und wird angenommen. Am 1. September geht es los. „Ich freue mich darauf, aber ich habe auch ein bisschen Angst“, sagt Abdul. Ob er glaubt, dass er es schaffen kann? – „Doch, das glaube ich.“ (ps)
Farid Haji: Glück in Waldbröhl
Farid Haji (28) stammt aus der Stadt Dohuk im Norden des Irak. Heute lebt er mit seiner Familie in Waldbröl: „Hier ist meine Heimat, Waldbröl ist meine Heimat. Wir sind am 12. November 2015 angekommen. Meine Frau, meine drei Kinder – vier, sechs und neun Jahre alt – von Anfang an sehr herzlich aufgenommen worden. Ich habe schnell Deutsch gelernt, eine Ausbildung gemacht und arbeite seit August in einem neu eröffneten Friseursalon – es ist mein zweiter Job, ich habe ein tolles Angebot bekommen. Schon im Irak habe ich als Friseur gearbeitet. Wir sind glücklich – meine Kinder können ohne Gefahr draußen spielen und zur Schule gehen. Sie lernen fleißig und ich weiß, dass sie hier eine Zukunft haben. Im Irak hätten sie das nicht.“ (höh)
Anuar Abo Harb: Zukunft ungewiss
Anuar Abo Harb (21) kam im Herbst 2015 aus Damaskus. Sie war Praktikantin in der Siegburger Redaktion, heute macht sie eine Ausbildung zur Arzthelferin in einer kardiologischen Praxis.
„Wir sind bei Nacht geflohen, weil wir nicht mehr in Syrien leben konnten. Erst in den Libanon und dann in die Türkei, danach mit dem Boot nach Griechenland. Am Anfang war es sehr schwer, ich fühlte, dass ich fremd bin. Jetzt läuft alles sehr gut: Ich habe eine Ausbildung gefunden, habe Kollegen, die mich sehr unterstützen. Bis jetzt habe ich dort auch niemanden erlebt, der mich fragt: Warum trägst du ein Kopftuch? Schwierig ist mein begrenzter Aufenthalt: Ich mache eine Ausbildung, und meinen Führerschein. Aber ich weiß nicht, ob ich hier bleiben kann. Das ist echt schwer.“ (dk)
Reem Sahwil: Start zum Abitur
Vor einem Monat wechselte Reem Sahwil aufs Gymnasium. Nach einem erfolgreichen Realschulabschluss startete die 20-Jährige in Rostock mit dem Abitur. In zwei Jahren will sie Sozialpädagogik studieren. Reem Sahwil hat in Deutschland Fuß gefasst, fühlt sich hier angekommen und gut integriert. Das ist aber alles andere als selbstverständlich.
Lange Zeit war für Reem Sahwil die Zukunft ungewiss. Im Juli 2015 brach das einstige Flüchtlingsmädchen in einem Bürgerdialog nach den Worten von Angela Merkel in Tränen aus. Sie hatte gefragt, ob sich der unsichere Aufenthaltsstatus ihrer Familie verbessern ließe. Die Kanzlerin antwortete, dass sehr viele Menschen Asyl beantragen und manche Asylbewerber auch zurückgehen müssten.
Ein Jahr später lud Merkel sie zu einem Privatgespräch ins Kanzleramt ein. Im September 2017 erhielt Sahwil eine Niederlassungserlaubnis, sodass sie dauerhaft in Deutschland bleiben kann.
Die Zeit nach der TV-Szene war schwierig für sie, erzählte Sahwil der „Zeit“: „Manche Leute haben mich angeschrien. Sie haben mit dem Finger auf mich gezeigt und gerufen: Die muss raus!“
In einem Buch mit dem Titel „Ich habe einen Traum. Als Flüchtlingskind in Deutschland“ hat Reem Sahil ihre Geschichte festgehalten. Reem kam im palästinensischen Flüchtlingsviertel Wavel im Libanon zur Welt. Sie hat von Geburt an einen Gehfehler und saß lange Zeit im Rollstuhl. Nach Deutschland kam sie für eine medizinischen Behandlung. Trotz vieler Rückschläge kämpft sie für ihre Zukunft in Deutschland: „Ich möchte mit meiner Familie hier leben und eine eigene gründen.“ (mp)