Eine Diskussion an der Universität zu Köln zeigt idealtypisch die Konfliktlinien im Streit über den Paragrafen 218.
Recht auf SchwangerschaftsabbruchDiskussion an Kölner Uni zeigt unversöhnliche ideologische Gegensätze auf
Die wissenschaftlichen Kontrahenten einer Diskussionsrunde an der Kölner Uni haben ihre Argumente für und gegen den Paragrafen 218 noch nicht ganz ausgetauscht, da packt schon einer der Zuhörer – er stellt sich als Arzt vor - den Elefanten in Aula II am Rüssel: Das Grundgesetz – von älteren Männern geschrieben. Das Bundesverfassungsgericht – bei seinen Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch von älteren Männern dominiert. Das Strafrecht – auch von älteren Männern gemacht. Und dann kommt auch die katholische Kirche mit ihrer restriktiven Haltung zur Abtreibung daher. Ausgerechnet. „Gerade in Köln“ sei diese Kirche so „diskreditiert“, dass sie „in keiner Weise anderen ihre Vorstellungen“ andienen, aufdrängen oder gar aufzwingen solle.
Die professoralen Blicke auf dem Podium gehen ein bisschen ins Leere, das überwiegend studentische Publikum applaudiert – zum ersten Mal an diesem Abend lebhaft. Der Beitrag – formuliert übrigens ebenfalls von einem älteren Mann – illustriert, was die Kriminalwissenschaftlerin Susanne Beck aus Hannover zuvor als ein ideologisches Versteckspiel in der jahrzehntelangen Diskussion über das Verbot von Abtreibungen und über deren strafrechtliche Ahndung bezeichnet hat: Weltanschauliche Divergenzen würden „hinter der Verfassung“ versteckt.
Die gebietet unstrittig den Schutz des Lebens. Aber ab wann und in welcher Form kommt dieser Schutz auch dem Fötus, dem ungeborenen Leben zu? Faktisch gibt es da offensichtlich keine Gleichstellung, argumentiert Beck und zieht einen Vergleich zum (erlaubten) Umgang mit menschlichen Embryonen: „Stellen Sie sich vor, ein lebender, geborener Mensch würde auf immer im Kühlschrank landen…“
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Valentina Chiofalo vom Deutschen Juristinnenbund (djb) vertritt aus frauenrechtlicher Perspektive einen denkbar liberalen Standpunkt: Der Paragraf 218 müsse komplett aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Nachdem das 2022 nun schon mit dem Werbeverbot für Abtreibungen im Paragrafen 219a geschehen sei, gehe es jetzt mit dem 218 weiter. Und – damit verbunden – auch mit der Beratungspflicht für abtreibungswillige Schwangere. Diese ist nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 zur Strafbarkeit von Abtreibungen im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt.
Um das Leben des Ungeborenen zu schützen, greife der Staat in die Intimsphäre der Schwangeren ein, argumentiert Chiofalo. „Die Rechtspflicht zur Austragung ist eine Gebärpflicht.“ Es finde „keine echte Abwägung mit den Grundrechten der Schwangeren“ statt, und statt die Autonomie der Frau und die höchstpersönliche Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft zu respektieren, werde ihr eine Beratung zugemutet, die – so Chiofalo – „nicht auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau zielt“.
Sie zweifle nicht an den Rechten des ungeborenen Lebens, betont die Juristin dann auch noch. Aber dafür brauche es Regelungen außerhalb des Strafrechts. Das klingt sehr ähnlich zu dem, was Familienministerin Lisa Paus (Grüne) propagiert und womit die Ampel-Koalition die besagte jahrzehntelange Diskussion neu befeuert hat.
Susanne Beck und auch die Gastgeberin und Moderatorin des Abends, die Kölner Strafrechtlerin Frauke Rostalski, haben damit ein Problem. Eine über die Jahre eingetretene gesellschaftliche Befriedung sei womöglich dahin, wenn nun erneut Hand an den Paragrafen 218 gelegt werde. „Wir müssen über politische Klugheit sprechen“, sagt Beck, wittert „Machtfragen“ und bevölkerungspolitische Ziele hinter der Debatte über das Abtreibungsverbot und empfiehlt: „Nicht dran rühren, aus Sorge, was sonst herauskommt.“
Das könnte ihr Nebenmann, der Tübinger Moraltheologe Franz-Josef Bormann, „aus Klugheit“ genau so gesagt haben – allerdings mit entgegengesetztem Packende: Beck befürchtet noch strengere Regeln als die derzeit geltenden. Bormann hingegen, der sich in der Runde der Juristinnen selbstironisch-sympathieheischend als „moralheologischer Exot“ vorstellt und dabei übergeht, dass er auch Priester ist, warnt eindringlich, den „prekären Schutz des ungeborenen Lebens nicht noch weiter zu schwächen“.
Er argumentiere nicht religiös, beteuert er, sondern rein vernunftbestimmt. Vom Begriff der Gerechtigkeit her kommend, tritt er vehement für das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ein, an dem die Freiheit der Mutter ihre Grenze finde. Alles andere wäre eine „totalitäre Verfügung über die Selbstbestimmung des ungeborenen Kinds“. Zudem dürfe es keine „willkürliche Selbstbegünstigung“ der heute Lebenden geben, die doch selbst vor ihrer Geburt jenen Schutz genossen hätten, den sie nun für die potenziell Nachgeborenen zur Disposition stellen wollten.
Und was die Autonomie der Frau betrifft: Die seien doch auch „aus eigener Entscheidung schwanger geworden“. Da rumort es hörbar, was Bormann zu dem erklärenden Zusatz veranlasst, Abtreibungen infolge einer Vergewaltigung seien statistisch die absolute Ausnahme.
Angesichts solch strikt gegensätzlicher Positionierungen mutet die einvernehmliche Klage aller über gesellschaftspolitische Missstände dann fast schon überraschend an. Man müsse daran arbeiten, dass Frauen ihr Kind unbeschwert und unbeschadet gebären und aufziehen können, sagen alle Diskutierenden. Chiofalo nennt Maßnahmen gegen häusliche Gewalt und für mehr ökonomische Sicherheit. Kinder dürften kein Armutsrisiko sein, sagt Bormann und hält eine Zahl von 100.000 Abtreibungen pro Jahr „aus sozialen Gründen“ für ein „Unding in einem der reichsten Länder der Erde.“ Mit der Freiheit der schwangeren Frau sei es nicht sonderlich weit her, wenn sie „in einer so prekären Situation“ wechselndem Druck des Partners, der Familie und des Arbeitgebers ausgesetzt sei, argumentiert Rostalski.
Wäre da halt nur nicht dieser vermaledeite Paragraf 218. An dem scheiden sich am Ende dann doch bleibend die Geister. Rostalski und Bormann sowieso heben mit unterschiedlichen Nuancen auf den Sinn einer Strafnorm ab. Der Theologe sieht sie als Teil eines „wirksamen Grundrechtsschutzes gerade für die schwächsten Mitglieder unserer Rechtsgemeinschaft“. Die Strafnorm nehme „die Gesellschaft in die Pflicht, etwas dafür zu tun, dass Frauen Kinder zur Welt bringen können“, findet Rostalski.
Beck kommt auf die weltanschaulichen Prämissen beim Schutz des ungeborenen Lebens zurück. Die rhetorische Frage, „darf ich meine Wahrheit anderen aufzwingen?“ beantwortet sie erwartbar mit „Nein“ und fordert demokratische Aushandlungsprozesse. Chiofalo sieht im Paragrafen 218 „ein Symbol der Vorstellungen, was von der Weiblichkeit verlangt werden und welche Rechtspflichten der Staat Frauen auferlegen kann“. Den Frauen vertrauen – das sei das einzig Gebotene.