China errichtet in aller Welt neue Häfen oder kauft sich in Terminals ein – wie zuletzt vor wenigen Tagen in Peru. Welche Folgen hat dieser Expansionsdrang?
China und die neue SeidenstraßeSo baut Peking seine Macht in den Häfen der Welt aus
Von der Eröffnung des neuen Superhafens blieben nicht die Bilder der marineblauen Hafenkräne hängen, sondern ein buntes Schauspiel: Ein Dutzend Darsteller ließ zwei rote chinesische Drachen an Perus Küste zu zeremonieller Musik tanzen. Die Botschaft war eindeutig: Dort, wo die sagenumwobenen Inka einst regierten, hat nun eine andere jahrtausendealte Kultur das Sagen.
Zumindest im neuen Hafen von Chancay, einer Fischerstadt nördlich von Lima, wo China für 3,5 Milliarden Dollar eine Anlaufstelle für die größten Containerschiffe der Welt ans Wasser gebaut hat. Zu 60 Prozent gehört der Hafen Pekings Reedereiriese Cosco, zu 40 Prozent einem peruanischen Unternehmen. Das exklusive Nutzungsrecht ließ sich Cosco per Gesetz genehmigen, es gilt für 30 Jahre.
China hat sich seit 2013 an 129 Häfen weltweit beteiligt oder in diese investiert
Mit dem ersten von China protegierten Hafen in Südamerika baut Präsident Xi Jinping seinen Einfluss auf den Welthandel weiter aus. Nimmt man Peru nun hinzu, hat sich China im Zuge der 2013 begonnenen Investitionsoffensive „Neue Seidenstraße“ an 129 Häfen weltweit beteiligt oder in diese investiert.
Welche Ziele verfolgt Peking mit dieser Strategie? Welche politischen Folgen hat der Expansionshunger? Und warum setzt Europa dem Machtstreben nichts entgegen?
Spitzenreiter Angola: Handelsplätze und Rohstoffe fern vom US‑Kosmos
Für sein Prestigeprojekt wählte Xi Jinping einen geschichtsträchtigen Namen: Vor Tausenden von Jahren verband die Seidenstraße China mit dem Mittelmeer. Die Neuauflage soll in vielfacher Dimension daran anknüpfen: Neue Handelsrouten über alle Kontinente hinweg, möglich gemacht durch Investitionen in Häfen, Autobahnen, Eisenbahnlinien, Staudämme oder Brücken. Fast zwei Billionen Dollar hat man dafür bisher nach eigenen Angaben ausgegeben.
China sichert sich dadurch Zugang zu wichtigen Rohstoffen, wie etwa nun in Südamerika. Statt wie bisher rund 40 Tage braucht Cosco von Peru aus jetzt weniger als 30 Tage nach Shanghai, um beispielsweise die chinesische Techindustrie mit Lithium zu versorgen. Früher waren dafür Umwege über Häfen in Mexiko oder die USA nötig.
Gleichzeitig soll Chancay zum Umschlagplatz für asiatische Elektronik und Textilwaren für den südamerikanischen Markt werden. Eine Kettenreaktion könnte sich in Gang setzen: Fachleute gehen davon aus, dass beispielsweise Brasilien in Straßen oder Bahnlinien nach Peru investieren wird.
Das sind glänzende Aussichten für China, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, die rund 95 Prozent ihres internationalen Handels über Seerouten abwickelt. US‑Analysten zufolge hat sich Peking bereits an zwei Drittel der 50 größten Containerterminals weltweit beteiligt oder kontrolliert diese.
Wie nun in Peru legt Peking seinen Investitionsschwerpunkt auf infrastrukturarme Nationen. Nach der Statistik des US‑amerikanischen Council on Foreign Relations unterstützt China am meisten Hafenprojekte im westafrikanischen Angola, hier sind es insgesamt fünf. So baute man zum Beispiel den Hafen Lobito für 1,2 Milliarden Dollar aus und errichtete zudem eine neue Eisenbahnstrecke, über die Kupfer und Kobalt aus Kongo und Sambia nach Lobito transportiert werden können. Gleichzeitig hat sich China fast alle Schürfkonzessionen für beide Rohstoffe in den zwei Ländern gesichert.
Insgesamt unterstützt China rund 50 Hafenprojekte auf dem Kontinent und investierte dafür allein in Tansania mehr als 10 Milliarden Dollar, so viel wie in keinem anderen Land. Der Fokus auf den globalen Süden hat zudem noch einen anderen Effekt: Indem Peking Länder in Afrika oder Südamerika, aber auch kleinere asiatische Staaten wie Sri Lanka unter anderem mit Krediten an sich bindet, entzieht China sie zugleich dem Einfluss des großen Handels- und Systemrivalen USA.
Sündenfall Piräus: Erkauft China sich politischen Einfluss?
Auch in Europa hat sich China über Cosco und seine Schwesterunternehmen bereits in 14 Häfen eingekauft. Darunter sind Schwergewichte wie Rotterdam oder Antwerpen, aber auch andere wichtige Knotenpunkte wie Valencia, Genua oder Marseille.
Los ging es mit Piräus, dem bisher spektakulärsten Zukauf in Europa. 2016 verscherbelte das damals finanziell ruinierte Griechenland den Hafen für 280 Millionen Euro an China. Bevor Cosco die Kontrolle übernahm, schaffte Piräus es gerade noch so auf die Liste der 100 größten Häfen weltweit. Inzwischen gehört Piräus zu den Top 40 und liegt als größter Mittelmeerhafen im europaweiten Ranking auf Platz fünf.
Die Entwicklung zeigt, was nach dem Einstieg der Staatsreederei möglich ist: mehr Container, mehr internationale Bedeutung. China wiederum profitiert von der Schlüsselstellung im Mittelmeer, da vor allem Schiffen aus Asien die längere Fahrt zu den nordeuropäischen Häfen erspart wird. Piräus wiederum wurde zu einem wichtigen Umschlagplatz für chinesische Güter in Europa. Xi Jinping bezeichnete das Vorzeigeprojekt als „Kopf des Drachen“.
In Europa gilt Piräus dagegen als abschreckendes Beispiel dafür, wie der Westen an Souveränität einbüßt. Als Mehrheitseigner kann Cosco die Preise diktieren und darüber bestimmen, welche Schiffe anlegen dürfen – und europäische Reedereien theoretisch von der hiesigen Infrastruktur ausschließen. Doch auch darüber hinaus fürchten Beobachter Einflussnahmen: So kritisierte der frühere EU‑Kommissar und Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, 2021 im „Tagesspiegel“, dass sich Griechenland in der Rolle gefalle, „Resolutionen gegen China zu verzögern und zu verwässern. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“
Entsprechend umkämpft verlief deshalb auch der Einstieg Coscos im Hamburger Hafen, wo die Reederei ursprünglich 35 Prozent an einem Terminal übernehmen wollte. Auf Geheiß des Wirtschaftsministeriums wurde die Beteiligung auf 24,99 Prozent heruntergestutzt. Ein Zwiespalt: Während die Politik deutsche Interessen schützen will, begrüßt die Hafenwirtschaft solche Einstiege, weil sie mehr Umschlag bedeuten. China ist der wichtigste Handelspartner von Deutschlands größtem Hafen.
Doch gerade in ärmeren Staaten ist der Widerstand viel geringer: Es sei unzweifelhaft, „dass Chinas Engagement in Entwicklungsländern dazu führt, dass es zum Beispiel auch bei Sitzungen der UN mit der Unterstützung seiner Partner rechnen kann“, sagte etwa der US‑Wirtschaftsanalyst Eric Farnsworth gegenüber dem „Weltspiegel“.
„Das Singapur Südamerikas“ – China lässt die Kleinen träumen, an Europa verzweifeln sie
Während China sich durch die breite Streuung der Investments geopolitisch unabhängiger macht, wirkt Europa behäbig. Seit 20 Jahren scheitert die EU etwa daran, ein Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbündnis Mercosur abzuschließen. Eine große Rolle spielt der Klimaschutz, aus Sicht von Brüssel soll zukünftig so wenig Regenwald wie möglich zerstört werden – trotzdem bezeichnen Umweltschutzverbände wie Greenpeace das geplante Abkommen als „Giftvertrag“ und leisten Widerstand.
Im Gegensatz dazu verdoppelte sich das Handelsvolumen zwischen China und Peru seit der Unterzeichnung eines bilateralen Freihandelsabkommens 2009 auf zuletzt 33 Milliarden US‑Dollar. In den vergangenen zehn Jahren investierte Peking rund 24 Milliarden Dollar in peruanische Bergbau- und Energieprojekte.
Den Hafenbau in Chancay in Rekordzeit nimmt das Land wie einen Ritterschlag wahr: „Unser Ziel ist es, das Singapur Lateinamerikas zu werden“, sagte etwa Perus Verkehrsminister. Andere auf dem Kontinent sprechen dagegen davon, „dass China keinen Hafen für die Peruaner baut, sondern einen chinesischen Hafen in Peru“, wie der argentinische Logistikexperte Agustín Barletti. Trotzdem fühlen sich gerade Staaten aus der zweiten oder dritten Reihe durch die chinesische Zuwendung respektiert.
Die brachialen Bauprojekte, wie sie China in Peru oder anderswo innerhalb von wenigen Jahren hochzieht, kämen für westliche Mächte schon aus arbeitsrechtlichen und Naturschutzgründen kaum infrage. China setzt sich in seinem Expansionshunger und Handelseifer ohne Bedenken darüber hinweg. Das gilt auch für andere Felder. So ist die Volksrepublik inzwischen Hauptimporteur von südamerikanischem Soja, das häufig auf gerodeten Regenwaldäckern angebaut wird. Über Perus neuen Superhafen wird es künftig noch schneller nach China gelangen.