Sicherheitsexperten befürchten, dass Terroristen die Fluggeräte zunehmend einsetzen könnten. So gut ist Deutschland darauf vorbereitet.
Bedingt abwehrbereitSo ist Deutschland auf Angriffe von Drohnen gerüstet
Drohnen sind in unserem Alltag längst nichts Ungewöhnliches mehr. Als fliegende Spielzeuge mit einer Kamera kosten sie nicht mehr als ein paar Hundert Euro. Größere Quadrokopter, die mehr Gewicht heben können, gibt es für wenige Tausend. Selbst Laien können die kleinen Fluggeräte mit ein bisschen Übung steuern – mit Fernbedienung und Videobrille, fast wie in einem Computerspiel.
Was die Sicherheitsbehörden besorgt: An solchen Drohnen lässt sich auch Sprengstoff befestigen. Aus Spielzeug oder Fluggeräten für Luftaufnahmen werden so tödliche Waffen. In der Ukraine werden solche Minidrohnen längst an der Front verwendet. Was wäre, wenn Terroristen sie in Deutschland dazu missbrauchten, um Menschen zu töten?
In weniger als zehn Wochen wird in München die Fußball-Europameisterschaft angepfiffen – und die Sicherheitsbehörden sind wegen der anhaltend hohen Gefahr islamistischen Terrors alarmiert. Mehr noch als bei den großen Sportereignissen der vergangenen Jahre sorgen sich Sicherheitsexpertinnen und -experten in diesem Jahr auch vor der zunehmenden Bedrohung aus der Luft.
Wie gut ist Deutschland gegen Drohnenterror gerüstet?
„Die Möglichkeit von Terrorangriffen mit Drohnen bereitet mir Sorgen“, sagt Nicholas Grossman, Professor für Internationale Beziehungen an der University of Illinois in den USA und Autor eines bereits 2019 erschienenen Buchs über Drohnen und Terrorismus. Grossman rät aber davon ab, in Panik zu verfallen.
„Angriffe mit Drohnen lassen sich zwar schwerer stoppen als andere Terroranschläge, haben aber auch eine geringere Durchschlagskraft“, erklärt er. Die Menge an Sprengstoff, die sich an einer handelsüblichen Drohne befestigen lasse, sei immer noch klein im Vergleich zu dem, was sich zum Beispiel in einem Rucksack verstecken lasse.
Auch Ludwig Frühauf warnt vor Panikmache. Der ehemalige Polizist leitet ein Start-up zum Test von Drohnenerkennungs- und -abwehrsystemen. „Natürlich können Drohnen ein Einsatzmittel von Terroristen sein“, sagt er. „Wer wirklich durchsetzungsstarke Drohnen bauen will, braucht allerdings viel Expertise und jahrelange Erfahrung.“ Das mache man nicht mal eben in zwei Stunden an einem Sonntagnachmittag.
„Szenarien wie den Schutz von Stadien bei der Fußballeuropameisterschaft hat die Polizei selbstverständlich trainiert, ist vorbereitet und verfügt über die notwendigen Abwehrmittel“, sagt Frühauf. „Wenn Sie während eines Spiels versuchen, mit einer Drohne über ein Stadion zu fliegen, werden sowohl die Drohne als auch Ihr Standort elektronisch erkannt werden. Man wird die Drohne stoppen, bevor sie das Stadion erreicht, und die Polizei wird schnell vor Ihnen stehen und Sie fragen, was Sie da tun“, erklärt er.
Spezialisten testen Waffensysteme, die Drohnen abwehren
Drohnen sind in der Regel per Funk mit einer Fernsteuerung verbunden, schicken außerdem ein Videosignal „nach Hause“. Diese Signale können mit Drohnenerkennungssystemen nicht nur erkannt werden. Gut entwickelte Systeme können auch den Drohnentyp identifizieren und den Standort des Piloten orten.
Sobald eine potenziell gefährliche Drohne erkannt wurde, gibt es verschiedene Wege, sie zu stoppen. Gängig sind sogenannte Jammer, die die Funkverbindung der Drohne unterbrechen und sie dadurch am Weiterflug hindern. Gerade im militärischen Bereich kommen auch Waffensysteme zum Einsatz, die Drohnen abschießen.
Wie gut solche Systeme in der Praxis funktionieren, testet Ludwig Frühauf mit seinem Team. Die Spezialistinnen und Spezialisten versuchen, ihre Drohnen an der Abwehr einer Behörde, eines Flughafens oder eines Unternehmens vorbeizufliegen. Die Gegenseite versucht wiederum, sie zu stoppen. „Und ich kann Ihnen sagen: Es ist wirklich schwer, da durchzukommen“, bekräftigt Frühauf.
Stadien bei der Fußball-EM sind gegen Drohnenangriffe gut geschützt
Ein solch engmaschiger Schutz vor Drohnenangriffen dürfte während der Fußball-EM also zumindest in den Stadien und bei großen Fanmeilen bestehen. „Auch den Schutz anderer Großveranstaltungen und Volksfeste bereitet die Polizei bundesweit mit entsprechenden Übungsszenarien vor“, sagt Frühauf.
Doch nicht jede Kirmes oder jeder Weihnachtsmarkt lassen sich gegen Drohnenangriffe schützen – zumal die Bundesländer sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) teilten sechs Länder mit, dass sie über Systeme zur Erkennung und Abwehr von Drohnen verfügen, fünf Bundesländer wollten aus taktischen Gründen keine Angaben machen, fünf weitere erklärten, keine eigenen Erkennungs- und Abwehrsysteme zu haben.
Dass die Bundesländer unterschiedlich gut aufgestellt sind und sich untereinander unterstützen, sei völlig normal, bestätigt Drohnenabwehrexperte Frühauf. „Ein großes Land wie NRW hat ganz andere Ressourcen als das Saarland. Sie müssen nicht nur die Gerätschaften kaufen, Sie brauchen auch trainiertes Personal.“ In jedem Landkreis eine massive Drohnenabwehr vorzuhalten sei eine illusorische Vorstellung. Die Polizei könne in der Fläche nicht jeden möglichen Angriff mit einer Drohne verhindern, „so wie sie auch nicht jeden Messerangriff verhindern kann“.
Drohnen als „Game Changer“: Kann die Bundeswehr Drohnenkrieg?
Nicht nur im zivilen Leben, auch für Armeen werden Drohnen zu einer immer größeren Gefahr. Im Krieg der Zukunft sind sie eine der wichtigsten Waffen – und dieser Krieg wird in der Ukraine längst gekämpft. In keinem anderen bewaffneten Konflikt haben Drohnen bislang eine so wichtige Rolle gespielt. „Drohnen sind in diesem Krieg ein Game Changer“, sagt der ukrainische Rüstungsminister Alexander Kamyshin. Sowohl die Ukraine als auch Russland entwickeln ihre Drohnen und ihre Drohnenabwehr in rasantem Tempo, neue Technik kann sofort an der Front erprobt werden.
Im Ukraine-Krieg kommen verschiedene unbemannte Systeme zum Einsatz: Mit Langstreckendrohnen greifen Russland und die Ukraine aus der Luft Ziele im jeweils anderen Land an. Mit Seedrohnen hat die Ukraine die russische Schwarzmeerflotte empfindlich getroffen. Am Boden setzt die Ukraine Roboter ein, die Minen verlegen können. An der Front steigen kleine Quadrokopter auf, die Ziele für die Artillerie aufklären oder selbst angreifen können – indem sie entweder Sprengsätze abwerfen oder als Kamikazedrohnen beim Aufprall explodieren.
Kamikazedrohnen treffen nicht nur viel genauer als herkömmliche Artillerie, sondern sind auch bedeutend billiger. Während eine Artilleriegranate mit 2800 bis 3200 Euro zu Buche schlägt, kosten die kleinen Fluggeräte nach ukrainischen Angaben pro Stück umgerechnet nur noch rund 370 Euro – und eine davon kann einen mehrere Millionen Euro teuren Kampfpanzer außer Gefecht setzen.
Kein Kamikazedrohnen: Bundeswehr hinkt hinterher
Die Bundeswehr verfügt zwar über Kampfpanzer, nicht aber über Kamikazedrohnen. Nach jahrelanger Diskussion hat der Bundestag vor rund zwei Jahren immerhin den Weg dafür freigemacht, dass die Bundeswehr überhaupt eine bewaffnete Drohne einsetzen kann. Es handelt sich um die israelische Heron TP, ein größeres unbemanntes Flugzeug. Wie schwerfällig Prozesse bei Organisationen wie der Bundeswehr sind, zeigt sich auch daran, dass die Heron TP noch immer nicht von der Truppe genutzt wird, in diesem Jahr erst soll der Übungsbetrieb beginnen.
Bei der Bundeswehr hat man die wachsende militärische Bedeutung von Drohnen erkannt – und eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagt: „Für den kurzfristigen Erkenntnis- und Fähigkeitsaufbau hinsichtlich ‚Klein- und Kleinstdrohnen‘ wurde eine Task Force Drohne aufgestellt.“ Sie solle „schnell notwendige Schlüsse für die Fähigkeitsentwicklung der Streitkräfte“ ziehen.
„Hybride oder moderne Kriegsführung bedeutet nicht nur, mit Panzern auf dem Schlachtfeld stehen zu können, sondern eben auch auf unterschiedlichen Ebenen gut gewappnet zu sein“, sagt die CDU-Verteidigungsexpertin, die Bundestagsabgeordnete Serap Güler. „Und wenn wir uns die Lage unserer kritischen Infrastruktur anschauen, dann haben wir hier genauso Defizite wie eben die Tatsache, dass wir auf einen Drohnenkrieg nicht vorbereitet sind.“
Nicht nur in Auslandseinsätzen, auch in Deutschland stellen Drohnen die Bundeswehr vor Probleme, die sie bislang zu oft nicht lösen kann. Mehrere Hundert Mal wurden in den vergangenen Jahren Drohnen über Bundeswehrstandorten in Deutschland gesichtet – teilweise sogar über Truppenübungsplätzen, auf denen ukrainische Soldaten ausgebildet wurden. Es braucht wenig Fantasie, um auf die Idee zu kommen, dass es sich zumindest bei einem Teil der Überflüge um Spionageversuche russischer Geheimdienste handelt. Nachweisen lässt sich das jedoch nicht, weil es der Bundeswehr nur in wenigen Einzelfällen gelang, die Drohnenpiloten zu orten und festzusetzen.
Deutsche Firma entwickelt Kamikazedrohnen für die Ukraine
Stefan Thumann ist Geschäftsführer von Donaustahl. Die Firma trat 2020 an, um Sportschützen auszurüsten, wandelte sich im Zuge des Ukraine-Krieges aber zu einem Rüstungs- und Technologieunternehmen. „Donaustahl ist meines Wissens das erste und einzige deutsche Unternehmen, das reine Kampfdrohnen entwickelt und jetzt in Kürze zur Serienfertigung übergeht“, sagt Thumann. Der Name der Kamikazedrohne: Maus. Sie ist nicht für die Bundeswehr gedacht, sondern für die Ukraine.
Die Bundeswehr sei viel zu bürokratisch, um auf die schnellen Entwicklungen im Drohnenbereich zu reagieren. „Für uns ist es momentan deswegen nicht relevant, unsere Produkte in Deutschland für die Bundeswehr zuzulassen“, sagt Thumann.
„Es tut mir im Herzen weh, aber mit ihren Strukturen wird die Bundeswehr meine Produkte wahrscheinlich auf absehbare Zeit nicht bekommen. Ich müsste so viel Geld für Bürokratie ausgeben, damit baue ich 5000 Drohnen.“ Thumann verweist etwa auf die „Bereichsvorschrift“ zur „Genehmigung von Luftfahrtbetrieben zur Bearbeitung von Luftfahrzeugen und Luftfahrtgerät der Bundeswehr im Regelverfahren“, die allein 67 Seiten umfasst.
Thumann: „So dramatisch ist die Lage“
Deutschland habe den Anbruch des Drohnenkrieg-Zeitalters bislang „ganz klipp und klar“ verschlafen, sagt Thumann. „Auch wenn die Bundeswehrführung das noch nicht so richtig wahrhaben möchte. Denn dann müsste man ja eigene Fehler eingestehen.“ Daher beliefere er die Streitkräfte, „die mir nicht irgendwelche Knüppel zwischen die Beine werfen. Dann gebe ich meine Drohnen lieber den Ukrainern, weil die momentan als Einzige effektiv dafür sorgen, dass der Russe nicht morgen wieder irgendwo in Warschau oder Berlin steht.“
Thumann hält die Bundeswehr im Drohnenkrieg nicht für abwehrbereit. Das gilt aus seiner Sicht nach jetzigem Stand auch für die deutsche Brigade, die in den kommenden Jahren dauerhaft in Litauen stationiert werden soll. Sollten russische Streitkräfte im Baltikum angreifen, „dann gehe ich davon aus, dass diese Brigade innerhalb von weniger als einem halben Tag kampfunfähig wäre, wenn sich bis dahin in den offensiven und defensiven Fähigkeiten nichts geändert hat“, sagt er.
„So dramatisch ist die Lage. Das heißt nicht zwangsläufig, dass alle deutschen Soldaten tot sind, aber dann ist kein funktionierendes Gerät mehr da. Jeder Panzer, jedes gepanzerte Fahrzeug ist dann einfach nicht mehr einsatzbereit, weil die Soldaten kaum Abwehrmöglichkeiten gegen die russischen Drohnen haben.“