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Stichwahlen in NRW„Wuppertal verkauft sich seit Jahren unter Wert“

Lesezeit 6 Minuten
Schneidewind

Uwe Schneidewind will als Kandidat der Grünen und der CDU am kommenden Sonntag in der Stichwahl Oberbürgermeister von Wuppertal werden.

  1. Uwe Schneidewind arbeitete lange beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie und zählt zu den einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftlern in Deutschland.
  2. Doch im Frühjahr entschied er sich, als Kandidat von Grünen und CDU für das Amt des Oberbürgermeisters der bergischen Stadt zu kandidieren.
  3. Im ersten Wahlgang schaffte er es, mehr Stimmen als Amtsinhaber Andreas Mucke (SPD) auf sich zu vereinen. Ein Porträt.

Wuppertal – Die Frage ist: Warum tut er sich das an? Es war doch so angenehm heimelig im Elfenbeinturm der Wissenschaft. Nachdenken über Transformationsprozesse. Vorträge halten. Visionen entwickeln für den gesellschaftlichen Wandel. Aber nein.

Im April kündigt Uwe Schneidewind, einer der 100 einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland, nach zehn Jahren seinen Job im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, verzichtet auf das Präsidentenamt und auf all die Annehmlichkeiten, die Wissenschaft und Forschung auf diesem Niveau mit sich bringen.Und das alles, um Oberbürgermeister zu werden.

In Wuppertal, einer Stadt, die nicht einmal seine Heimat ist. Und die zu denen zählt, von denen man eher wohlwollend sagen kann, dass sie auch schöne Ecken habe.

An einem Septembermorgen zwischen zwei Wahl-Sonntagen sitzt der sportlich-schlanke Mittfünfziger mit Stoppelhaarschnitt und einem Lächeln, das seine Begeisterung widerspiegelt, in seinem improvisierten Wahlkampfbüro, das vorher eines von vielen leerstehenden Ladenlokalen in Wuppertal war. Schneidewind entschuldigt sich, weil er zu spät ist. Es tue ihm leid, aber am Kreisverkehr sei er von der Polizei angehalten worden, weil er das Blinken vergessen habe.

Am ersten Wahltag überraschend vor dem Amtsinhaber gelandet

„Wuppertal verdient den Aufbruch“ – das ist der wichtigste Slogan seiner Kampagne für die Stichwahl am kommenden Sonntag, die er als gemeinsamer Kandidat von CDU und Grünen etwas überraschend aus der Pole Position antritt. 40,8 Prozent hat er im ersten Wahlgang geholt und damit den SPD-Amtsinhaber Andreas Mucke (37,0 Prozent) hinter sich gelassen.

Noch ist nichts entschieden, aber die Chancen, dass Uwe Schneidewind in der Stadt von Johannes Rau ab kommenden Sonntag einen neuen Politik-Ansatz ausprobieren könnte, stehen gut.Die CDU habe ihn angefragt, ob er sich vorstellen könne, für sie zu kandidieren. Zweimal.

Beim ersten Mal sei wohl nicht allen klar gewesen, dass er Mitglied der Grünen sei. „Ich hatte durch meine Tätigkeiten als Wissenschaftler am Wuppertal-Institut und zuvor an der Uni Oldenburg eine politische Neutralitätspflicht. Deshalb war ich auch nie parteipolitisch aktiv und bin auch Mitglied im Kreisverband Köln geblieben, um Interessenskonflikte von vorn herein zu vermeiden.“

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Die erste Anfrage habe er noch abgelehnt, doch beim zweiten Angebot im März sei die Lage anders gewesen. Die CDU hatte zwei Jahre zuvor nach parteiinternen Querelen das Bündnis mit der SPD aufgekündigt und im Stadtrat ein schwarz-grünes Experiment gewagt. Bei der Europawahl im Mai 2019 wurden die Grünen auch in Wuppertal zur stärksten Kraft und damit ein ernstzunehmender Partner. Diesen Anspruch haben sie mit 19,6 Prozent bei der Kommunalwahl am 13. September untermauert.

Als Chef des Wuppertal Instituts habe er sich „in den letzten zehn Jahren immer in die Veränderungsprozess in Wuppertal eingebracht“ und Impulse setzen wollen. „Der externe Anstoß für meine Entscheidung war, dass da politische Profis auf mich zugekommen sind und gesagt haben: »Herr Schneidewind, wir trauen Ihnen das zu.« Das habe ich als Zeichen verstanden.“ Oberbürgermeister sei eine der dankbarsten Aufgaben, „wenn man Politik machen und bleibende Akzente setzen will.“

Mit der Mobilitätswende stößt er auch auf Gegenwehr

Natürlich sei die Kandidatur in beiden Lagern, bei CDU und Grünen, nicht auf ungeteilte Begeisterung gestoßen. Beim Thema Mobilitätswende werde das besonders deutlich. „Das ist in einer autogerechten Stadt hoch emotional und wird wohl auch wahlentscheidend sein“, sagt Schneidewind.

Für ihn sei es „hochspannend, die progressiven Positionen der Grünen mit einer CDU und ihrer starken Verankerung im bürgerlichen Klientel und ihrer Zurückhaltung gegenüber radikalen Lösungen in Einklang zu bringen. Wenn so ein Bündnis zu Lösungen für eine Verkehrswende kommt, kann das weit über Wuppertal hinaus strahlen.“

Schneidewind sieht die Rolle des Oberbürgermeisters weniger in der des obersten Kümmerers, der immer eingreift, wenn irgendetwas nicht geklappt hat. „Der Oberbürgermeister muss jemand sein, der eine übergeordnete Idee verfolgt, sie nach draußen verkauft und Strukturen aufbaut, dass entlang dieser Idee konkrete Umsetzungen passieren können.“

Ideen für Wuppertal hat er zur Genüge. Schneidewind will eine neue Führung und Kultur in der Stadtverwaltung etablieren, eine Investitionsoffensive starten, die private Unternehmen und öffentliche Institutionen gleichermaßen umfasse, und vor allem an der Außenwahrnehmung arbeiten. Die Stadt verkaufe sich seit Jahren weit unter Wert.

Das sei dramatisch, „weil das Vertrauen von Investoren und die Attraktivität für Fachkräfte fehlt“, sagt er. Wer geht schon freiwillig nach Wuppertal? „Bei denen, die sich viel mit Stadtentwicklung auseinandersetzen, fällt oft die Formel vom Leipzig des Westens“, sagt Schneidewind. „Leipzig war vor der Wende völlig heruntergewirtschaftet. Dort hat man die Potenziale erkannt.“

Der eigentliche Reiz des Oberbürgermeister-Jobs sei, dass sich damit die Chance biete, all die Ideen und Lösungsansätze, die man über Jahrzehnte mit vielen Vorreitern entwickelt hat, auf die Straße zu bringen. In einem Bündnis für ein Modernisierungsprojekt, „das die alte und die neue Mitte zusammenbringt“. Kaum eine Stadt sei besser dazu geeignet als Wuppertal, sagt der 54-Jährige. Für ein paar Minuten kommt der Wissenschaftler in ihm durch. Eine Großstadt als Politlabor.

„Diese Stadt war vor mehr als 100 Jahren eines der Zentren vieler technologischer, industrieller und auch sozialer Umbrüche. Das spürt man am Stadtbild, in der Gebäudestruktur. Da ist diese alte Kraft noch eingebrannt. Bis ins Schwebebahngerüst. Das ist die Grundlage, sie mit einem anderen Selbstanspruch zu positionieren“, sagt Schneidewind.

Was Wuppertal im Kern auszeichne sei die Tatsache, dass der Stadt nie etwas geschenkt wurde. „Sie war nie Bischofssitz, nie Verwaltungssitz. Sie hatte einen Unternehmergeist und diese Lust, mit Erfindungsreichtum neue Dinge anzugehen.“ Das habe sie vorangebracht.

Schwebebahn_in_Wuppertal

Die Schwebebahn in Wuppertal fährt wegen technischer Probleme aktuell nur an den Wochenenden.

„Dieser Esprit, wir trauen uns groß zu denken und auch zu machen, manifestiert sich in der Schwebebahn. Auf diese völlig abgefahrene Idee zu kommen, das ist hier alles schon so dicht bebaut, wir brauchen jetzt ein öffentliches Massenverkehrsmittel. Bauen wir einfach so ein Eisengerüst über die Wupper mit dieser erfrischenden Ineffizienz, jeden Mäander mitzunehmen.“ Man hätte damals unendliche Tonnen an Eisen sparen können. „Aber nein. Wir legen einfach einen geschwungenen Eiffelturm quer.“

Wenn 120 Jahre Elektromobilität so durchgehend funktionieren, sei das ein Identitätskern, „der weit über das äußere Symbol hinausgeht.“Das hören die Wuppertaler gern, die sich zu großen Teilen abgefunden haben mit dem schleichenden Abstieg, der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, weil die Stadt zwischen der prosperierenden Rheinschiene und dem Ruhrgebiet zerrieben wurde.

Wuppertal soll das Mekka für Pedelecs werden

Und jetzt kommt jemand, der das nicht mehr will. Der Wuppertal allein wegen seiner Topographie zur deutschen Pedelec-Hauptstadt machen will. Der extrem gut vernetzt ist und für den die Polit-Prominenz im 24-Stunden-Takt nach Wuppertal kommt: Cem Özdemir, Robert Habeck, Armin Laschet.

Und der sagt, die Stadt dürfe sich nicht länger mit Remscheid und Solingen vergleichen, sondern mit Köln und Düsseldorf. Weil sie vor deren Haustür liegt und das zu bieten habe, was es dort kaum noch gibt: bezahlbaren Wohnraum, kreative Menschen, innovative Unternehmen.

Und der Wuppertaler weiß, ein Schneidewind sagt das nicht bloß, der hat auch das Renommee, die Verbindungen, kann vielleicht ein Türöffner sein. Das ist ungefähr so, als würde Hansi Flick sich freiwillig von den Bayern verabschieden, um den Wuppertaler SV zu trainieren.