Tödliche PolizeischüsseHätte ein Psychologe das Drama verhindern können?
Dortmund – Hätte der Einsatz eines Psychologen das Leben eines 16-jährigen Asylbewerbers retten können, der in Dortmund bei einem Polizeieinsatz erschossen wurde? „Es hätte hilfreich sein können, wenn die Polizei versucht hätte, den Jugendlichen durch Gespräche zu ermüden“, sagte Elisabeth Müller-Witt, Innenexpertin der SPD-Landtagfraktion, am Mittwoch vor Journalisten in Düsseldorf.
Wenn es durch die Einbeziehung von psychologisch geschultem Personal gelungen wäre, die Situation „einzufrieren“, wäre die Eskalation womöglich vermeidbar gewesen, so die Abgeordnete.
Die SPD will jetzt im Landtag über den tragischen Polizeieinsatz diskutieren und hat eine Sondersitzung des Hauptausschusses beantragt. Dabei soll vor allem die Polizeitaktik unter die Lupe genommen werden. So will die SPD wissen, ob Sonderkräfte angefordert wurden. „Bislang wissen wir nur, dass Streifenbeamte beteiligt waren“, so Müller-Witt.
Bei dem Polizeieinsatz auf dem Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung war der 16-Jährige von der Polizei erschossen worden. Die Beamten waren gerufen worden, weil der Asylbewerber gedroht hatte, sich umzubringen. Schließlich ging er allerdings mit einem Messer auf einen Beamten los, der vergeblich versucht hat, ihn mit einem Taser außer Gefecht zu setzen. Der Asylbewerber wurde durch fünf Schüsse aus einer Maschinenpistole getötet, von denen einer den Kopf traf.
Die SPD will jetzt wissen, ob die Schüsse einzeln abgegeben wurden - oder ob die Waffe auf „Automatik“ eingestellt war. Für diese Vermutung spreche die breite Streuung der Treffer, hieß es. Auch die Anzahl der Schüsse soll hinterfragt werden „Welche Erkenntnisse liegen vor, ob die Abgabe von sechs Schüssen erforderlich war“, heißt es in dem Antrag der SPD zur Beantragung der Sondersitzung.
In Sicherheitskreisen hält man es für nahezu ausgeschlossen, dass der Todesschütze die Waffe „aus Versehen“ auf Dauerfeuer eingestellt hatte. Dagegen sei die Maschinenpistole doppelt gesichert, hieß es. Bei einem Feuerstoß gehe zudem der Vorteil gegenüber der normalen Pistole, präziser Treffen zu können, verloren. An dem Einsatz waren insgesamt zwölf Beamte beteiligt. Nur der Polizist mit der Maschinenpistole hatte geschossen.
Waren Psycho-Probleme bekannt?
Bei der Aufarbeitung des Falls wird auch eine Rolle spielen, ob die Beamten über die psychischen Probleme des 16-Jährigen informiert waren. Der hatte am Tag vor dem Einsatz noch eine Fachklinik aufgesucht, war dort aber nicht festgehalten worden.
Nach der Alarmierung durch die Jugendhilfeeinrichtung hatten offenbar zunächst zwei Polizisten in Zivil versucht, den Jugendlichen zu beruhigen. Dies war aber wohl auch aufgrund von Verständigungsproblemen nicht möglich. Schließlich traf auch der zuständige Dienstgruppenleiter (DGL) der Polizei ein und koordinierte das Vorgehen der nach und nach eintreffenden Streifenwagenbesatzungen.
Todesschütze sollte sichern
Offenbar war den Beteiligten klar, dass es nicht nur galt, den angekündigten Suizid zu verhindern, sondern dass auch mit einem Angriff auf die Beamten zu rechnen war. Den Erkenntnissen zu Folge wurden insgesamt drei Beamte eingeteilt, die den jungen Mann aus dem Senegal ins Visier nahmen, um die Kollegen vor einer Messerattacke zu schützen – darunter der Polizist mit der MP und zwei weitere mit Handfeuerwaffen.
Dann nahm die Tragödie ihren Lauf. Der Jugendliche ließ sich weder durch den Einsatz von Pfefferspray entwaffnen, noch zeigten Elektroschocker Wirkung. Beim zweiten Versuch, den 16-Jährigen mit einem Taser außer Gefecht zu setzen, stürmte der Senegalese mit dem Messer auf den Polizisten mit dem Taser zu. Daraufhin fielen die Schüsse.
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In den Jahren 2020 und 2021 kam es in NRW in insgesamt 111 Fällen zu Messerattacken auf Polizeibeamte. Im gleichen Zeitraum starben sieben Menschen durch Polizeikugeln. Gegen den MP-Schützen ermittelt die Staatsanwaltschaft jetzt wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge. Sollte sich herausstellen, dass es sich bei der Schussabgabe um eine geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Nothilfe handelte, wird das Verfahren gegen ihn eingestellt.