Die Ampel ist in Auflösung, und am ehesten erscheint noch die US-Wahl ihre Restlaufzeit zu beeinflussen.
Regierung in der KriseTrump als Retter der Ampel? Tiefer könnte sie nicht sinken
Die Regierungskonsultationen mit Indien sind ein schöner Anschauungsunterricht für Deutschlands neuen Stand in der Welt: Wir verlieren an Vertrauen. Die Probleme der drittgrößten Volkswirtschaft haben sich herumgesprochen: hohe Produktions- und Energiekosten, Fachkräftemangel, Reformstau, zunehmende Ausländerfeindlichkeit – und die Zerwürfnisse der Ampel-Koalition. Das ist wenig anziehend.
Es ist noch nicht lange her, dass Deutschland international als Stabilitätsanker galt und sowohl der US-Präsident als auch Chinas Staatschef in Berlin anriefen, wenn sie Europa sprechen wollten. Aber die Welt geriet aus den Fugen. Donald Trump, Corona, Wladimir Putin, der Nahe Osten und das sich mit großen Schritten wandelnde Klima stehen für gleich mehrere Zeitenwenden. Gewissheit, Sicherheit und Zuversicht sind vielerorts Lügen, Hass und Gewalt gewichen. Gefragt sind werteorientierte Mächte, die dagegenhalten.
Scholz: Deutschland sei „Mittelmacht“
Es zeugte von Weitsicht, dass Bundeskanzler Olaf Scholz schon zu Beginn seiner Amtszeit den aufstrebenden Staaten des sogenannten globalen Südens mehr Respekt versprach. Doch er unterfütterte die neue Solidarität nicht mit altem Selbstbewusstsein, trotzdem mit eigenen Werten und Stärken voranzugehen. Als „Mittelmacht“ stufte er Deutschland ein, auch Vizekanzler Robert Habeck sprach in Neu-Delhi Deutschland eine Führungsrolle in der ersten Reihe aus historischen Gründen ab. Aber Indien prüft inzwischen sehr genau, was es als größte Demokratie der Welt mit 1,4 Milliarden Menschen von einer Mittelmacht hat.
Bei allem, was knirscht in Deutschland: Wir werden beneidet um Frieden, Freiheit, Arbeit, Wasser, Strom, unsere Justiz, unsere Gesundheitsversorgung, unser Sozialsystem. Viele Debatten, ob in der großen Politik oder Zuhause am Küchentisch, enden inzwischen dennoch mit einem Gefühl der Erosion. Werden wir unseren Wohlstand bewahren? Es bräuchte dringend eine Kraft, die die Übersicht behält, die Dinge ordnet und der deprimierten Stimmung im Land Zuversicht entgegensetzt.
Zweifel an Durchhaltefähigkeit der Ampel
Das wäre eigentlich die Aufgabe der Bundesregierung. Scholz kommt aber selbst in Indien in die missliche Situation, wegen des überraschenden Konkurrenz-Wirtschaftsgipfels der FDP zu seinem Industriegipfel an diesem Dienstag vom Ausland aus vor „Theater“ im Inland zu warnen. Und noch auffälliger: Er gibt keine Garantie mehr für die Durchhaltefähigkeit der Ampel ab. Auf die Frage, ob die drei Partner noch gemeinsam Weihnachten feiern werden, vermeidet er ein Ja. Es werde in jedem Fall gefeiert, antwortet er nur.
Schon oft wurde spekuliert, wie lange diese Koalition noch hält, aber derart zugespitzt war die Lage noch nie. Durch die schlechten Wirtschafts- und Steuerprognosen geraten Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) außer Rand und Band. Sie behaupten, es gehe ihnen ums Land. Aber wenn das so wäre, würden sie miteinander und nicht gegeneinander und nicht gleichermaßen gegen Scholz agitieren, der sich seinerseits von beiden absetzt.
Die Koalitionspartner mögen keine Wette mehr eingehen, dass ihr Bündnis die Schlussverhandlungen über den Haushalt im November übersteht. Am ehesten könne sie noch ein Sieg des Möchtegern-Diktators Donald Trump bei der US-Präsidentenwahl am 5. November zusammenschweißen, lautet der Galgenhumor in der Koalition. Denn neben Russlands Krieg gegen die Ukraine und dem Krieg im Nahen Osten wäre die Rückkehr von Trump ins Weiße Haus eine Krise zu viel in der Welt, als dass in Deutschland auch noch die Regierung zusammenbrechen sollte. Hoffnung auf Trump als Retter der Ampel? Tiefer könnte sie nicht sinken.