Das Weiße Haus hat eine gerichtliche Anordnung zum Abbruch der Massenabschiebung missachtet. Der Richter zweifelt die Begründung an.
Verfassungskrise drohtTrump ignoriert „korrupten“ Richterspruch – und macht Kampfansage an die Justiz

Mehr als 200 mutmaßlich kriminelle Venezolanern wurden in ein Terrorismus-Gefängnis nach El Salvador abgeschoben.
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Mit kahlem Schädel und kräftigem Bizeps wirkt Donald Trumps bulliger Grenz-Beauftragter Tom Homan schon äußerlich wie die perfekte Verkörperung der rücksichtslosen Ausländerpolitik seines Chefs. Am Montag bot der Ex-Polizist auch die entsprechende Rhetorik: „Mich interessiert nicht, was die Richter denken. Mich interessiert nicht, was die Linken denken. Wir kommen“, drohte der Ex-Polizist beim rechten Sender Fox News.
Homans Worte sind die bislang klarste Kampfansage der amerikanischen Regierung an die Justiz. Seit längerem rätseln Beobachter in Washington, ob sich der Präsident wohl an Gerichtsurteile halten wird, die von ihm ausgestellte Dekrete für rechtswidrig erklären. Der seit dem Wochenende dramatisch eskalierende Streit über die Abschiebung von mehr als 200 mutmaßlich kriminellen Venezolanern nach El Salvador liefert nun eine erste, höchst beunruhigende Antwort.
Trump hatte am Freitag zunächst nicht-öffentlich ein Dekret unterzeichnet, in dem er ein mehr als 200 Jahre altes Gesetz für die außergerichtliche Abschiebung der mutmaßlichen Mitglieder des venezolanischen Verbrecherkartells Tren de Aragua bemühte. Der „Alien Enemies Act“ von 1798 erlaubt es, Ausländer unter Umgehung üblicher gerichtlicher Verfahren zu inhaftieren und abzuschieben, wenn diese aus einer „feindlichen Nation“ stammen. Das Gesetz wurde zuletzt benutzt, um Deutsche und Japaner im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu inhaftieren. Trump behauptet nun, Tren de Aragua stecke mit der venezolanischen Regierung unter einer Decke und führe eine „Invasion“ der USA durch.
„Uuuuups... zu spät“, postet der Präsident von El Salvador
Nachdem die Abschiebungen am Samstag bekannt wurden, reichte die Bürgerrechtsgruppe American Civil Liberties Union eine Klage ein. Um 18.48 Uhr entschied der Washingtoner Bundesrichter James Boasberg, dass das Gesetz in dem Fall nicht einschlägig sei und ordnete mündlich die Rückkehr der drei Flugzeuge mit den mutmaßlichen Kriminellen an. Doch am Sonntagmorgen um 7.46 Uhr postete der Präsident von El Salvador, Nayib Bukele, der von den USA sechs Millionen Dollar für das Wegsperren der Venezolaner erhält: „Uuuups... zu spät.“
Auch die US-Regierung behauptete zunächst, die Flugzeuge seien bereits in El Salvador gewesen, als das Urteil fiel. Außenminister Marco Rubio verbreitete triumphierend ein Video von Bukele, das die Ankunft der Abgeschobenen und ihre Überführung in ein Hochsicherheitsgefängnis zeigen soll. Auch Trump postete die Aufnahmen und schrieb dazu: „Das sind die Monster.“
Doch nach Recherchen der „New York Times“ befanden sich zwei der drei Flugzeuge zum Zeitpunkt des Richterspruchs noch über Mexiko beziehungsweise dem Golf von Mexiko, den die Trump-Regierung neuerdings „Golf von Amerika“ nennt. Sie hätten also sehr wohl umdrehen können. Die dritte Maschine soll sogar erst eine Stunde nach dem Urteil von Texas aus gestartet sein.
„Ein beispielloses Maß an Widerstand“
Es spricht also viel dafür, dass die Trump-Regierung den Richterspruch bewusst missachtete. „Das ist ein beispielloses Maß an Widerstand gegen gerichtliche Anordnungen zu Lasten der Bundesregierung“, sagte der renommierte Jura-Professor Steve Vladeck der „Washington Post“: Wenn die Regierung der Meinung sei, dass der Richterspruch falsch sei, müsse sie ihn anfechten, sie könne ihn aber nicht einfach missachten. Auch das konservative „Wall Street Journal“, dem man kaum Sympathien für Verbrecherkartelle unterstellen kann, fragte besorgt: „Befinden wir uns in einer verfassungsrechtlichen Sackgasse, wenn die Regierung glaubt, Gerichtsbeschlüsse ignorieren zu können?“
Die Trump-Regierung denkt nicht ans Einlenken. Im Gegenteil: Präsidentensprecherin Karoline Leavitt behauptete zunächst: „Ein einzelner Richter in einer einzigen Stadt kann nicht über die Bewegung eines Flugzeugs entscheiden, das ausländische Terroristen aus der USA ausfliegt.“ Später bezweifelte sie, dass ein mündlicher Richterspruch dieselbe Verbindlichkeit habe wie ein schriftliches Urteil. Die eine Stunde später zugestellte schriftliche Entscheidung des Richters enthielt nämlich keine explizite Aufforderung zur Rückkehr der Flugzeuge.
„Das ist eine Überdehnung“, wies Boasberg diese Relativierung seines Urteils ausdrücklich zurück. Er bestellte die Vertreter der Regierung für Montagabend zu einer Anhörung ein. Doch der Anwalt des Justizministeriums gab sich wortkarg. Er beteuerte, das Weiße Haus habe nicht gegen den Richterspruch verstoßen. Ansonsten verweigerte er unter Hinweis auf angebliche nationale Sicherheitsinteressen die Beantwortung vieler Fragen.
Dafür meldete sich am Dienstag der Präsident persönlich auf seinem Propagandakanal „Truth Social“ zu Wort. Trump beschimpfte Richter Boasberg, der vor 23 Jahren unter dem republikanischen Präsidenten George W. Bush zum Richter ernannt und später von Barack Obama an das Washingtoner Bezirksgericht berufen worden war, als „radikal-linken Verrückten“ und nannte ihn einen „Unruhestifter und Agitator“. Die Abschiebungen entsprächen dem Willen seiner Wähler, argumentierte Trump: „Dieser korrupte Richter sollte des Amtes enthoben werden.“