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Lügen entlarvtWarum glauben so viele Menschen Donald Trumps Unwahrheiten?

Lesezeit 6 Minuten
Donald Trump bei einer Wahlkampf-Veranstaltung in Arizona.

Donald Trump lügt im US-Wahlkampf offensichtlich und in jeder Gelegenheit. Trotzdem scheint ihm das nicht zu schaden.

Allein bei zwei von Trumps jüngsten Wahlkampfreden in Pennsylvania zählten Fact-Checker des Senders CNN 40 Lügen. Warum schadet ihm das nicht?

Wie erkennt man, dass Donald Trump lügt? Antwort: Wenn er anfängt, die Lippen zu bewegen.

Dieses hässliche Bonmot begleitet den früheren und möglicherweise künftigen Präsidenten der USA seit Jahrzehnten. In diesen Tagen gewinnt es neue Aktualität. Trumps jüngste Wahlkampfauftritte in den Städten Reading und Scranton in Pennsylvania wurden, wie der US‑Fernsehsender CNN berichtet, zu einer wahren „Lügentour“: Zusammengerechnet habe Trump seinem Publikum in nur zwei Reden gleich an 40 verschiedenen Stellen Unwahrheiten aufgetischt. Einige Beispiele:

Trump lügt über Fluthilfen und Transgenderkinder

Zum Thema Fluthilfe sagte Trump wahrheitswidrig, die Federal Emergency Management Agency (FEMA) sei pleite und könne amerikanischen Flutopfern nicht helfen: „Sie haben kein Geld. Wissen Sie, wo sie das Geld hingegeben haben? An illegale Einwanderer …“ Trump fügte hinzu, die FEMA habe „keine Arbeiter, sie haben gar nichts.“ Tatsächlich verfügt die FEMA über ein zweistelliges Milliardenbudget und mehr als 20.000 Mitarbeiter.Zum Thema Transgenderkinder fabulierte Trump über Schulen in den USA, die angeblich hinter dem Rücken der Eltern geschlechtsangleichende Operationen durchführen: „Ihr Kind geht zur Schule … Es war ein ‚er‘ und kommt als ‚sie‘ zurück. Die tun das … oft ohne die Zustimmung der Eltern.“ Tatsächlich gibt es keine Beweise, dass so etwas je geschehen ist.Über seine Gegenkandidatin Kamala Harris sagte Trump: „Sie gibt keine Interviews.“ Tatsächlich hat Harris gerade in den letzten Wochen mehrere Interviews gegeben, unter anderem in der Late-Night-Show von Stephen Colbert (NBC), in der Radiotalkshow von Howard Stern und im Podcast „Call her Daddy“. Kurios erscheint Trumps Vorwurf vor allem angesichts der Tatsache, dass Harris in der CBS-Interviewsendung „60 Minutes“ Rede und Antwort stand, während Trump ein ursprünglich geplantes „60 Minutes“-Interview absagte.

Trump geht es nur um die Stimmung innerhalb seiner Blase

Die Abgebrühtheit des Lügners Trump verblüfft mittlerweile politische Laien und Fachleute gleichermaßen. Warum, fragen viele, verbreitet Trump auch Lügen, die schnell dementiert werden können? Nach der Überschwemmung in North Carolina etwa behauptete er, Präsident Joe Biden sei in seinem Weißen Haus für Hilferufe aus der Region nicht erreichbar gewesen – regionale Verantwortungsträger aus North Carolina dementierten. Doch das war Trump egal. Er will seinen Anhängern auf der Wahlkampfbühne liefern, was die gern hören.

Eine Verpflichtung zur Wahrheit hat Trump ohnehin nie gelten lassen. Schon als Baulöwe in New York beschubste er Kunden und Banken. In seiner Amtszeit als Präsident machte er laut „Washington Post“ 30.573 falsche oder irreführende Angaben. Warum sollte er ausgerechnet jetzt, in einem Wahlkampf, die Wahrheit verkünden? Ihm geht es um die Stimmung innerhalb seiner Blase. Und die hat sich daran, dass ihm außerhalb der Blase oft streng widersprochen wird, längst gewöhnt.

Barack Obama bebt vor Zorn

Also lügt Trump ungerührt weiter. Der FEMA wirft er unter anderem vor, amerikanische Hochwasseropfer könnten mit höchstens 750 Dollar pro Familie rechnen – „dabei sind oft das gesamte Vermögen und das gesamte Leben dieser Menschen zerstört“. In Wirklichkeit wurden und werden die 750 Dollar immer nur als Soforthilfe gewährt, ungeachtet weiterer, möglicherweise deutlich höherer Ansprüche auf staatliche Unterstützung.

Die Kaltschnäuzigkeit der Fluthilfelügen lässt manche Trump-Kritiker emotional werden vor Zorn. Der frühere Präsident Barack Obama bat bei einem Auftritt in Pittsburgh, Pennsylvania, sein Publikum, sich das charakterlich Niedere des Vorgehens von Trump vor Augen zu führen. Da habe jemand „die Idee, Menschen in ihren verzweifeltsten und verletzlichsten Momenten absichtlich zu täuschen“, um politisch Punkte zu sammeln.

„Meine Frage ist, seit wann ist das in Ordnung?“, sagte Obama. Den aufkommenden Beifall bremste der ehemalige Präsident. „Ich will jetzt keinen Applaus!“, sagte er mit bebender Stimme und fragte dann wieder: „Seit wann ist das in Ordnung? Warum sollten wir das mitmachen?“

Die Lüge ist widerlegt, aber noch wirksam

Trumps Lügen jedoch fanden viel Verbreitung. Dabei halfen nicht nur böse Trolle in den Social Networks, sondern auch kritische Journalistinnen und Journalisten in Amerikas Mainstreammedien. Ihr Dilemma: Bevor sie die Lüge zu entkräften suchten, mussten sie sie erst mal zitieren.

„Lara, ich muss sie jetzt einfach mal stoppen“, hob CNN-Moderatorin Dana Bash an, als Trumps Schwiegertochter Lara Trump dieser Tage in einem Liveinterview loslegte mit der FEMA-Lüge, die Bundesregierung in Washington habe für amerikanische Familien in Not nicht mehr genug Geld, weil sie zu viel an Ausländer verteilt habe.

Bash wusste, dass man das so nicht stehen lassen konnte in ihrer Sendung. Doch einmal mehr ging ein Versuch schief, im Fernsehen mal eben den Trumpismus zu widerlegen. Als Bash in strengem Ton klarzustellen versuchte, dass die FEMA-Etats nicht berührt sind, wechselte Lara Trump nur ein wenig die Ebenen und die Themen: „In New York City werden Migranten in Luxushotels untergebracht. Auch dieses Geld könnte man besser an die betroffenen Bürger North Carolinas umleiten.“

Sender wie Fox News wiederholen Trumps Falschaussagen

Die FEMA-Lüge also ist einerseits längst widerlegt. Andererseits bleibt sie noch immer politisch wirksam im Sinne Trumps. Denn sie half ihm erstens, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und zweitens, seine generellen ausländerfeindlichen Impulse zu verstärken.

Lügt sich Trump auf diese Art am Ende noch zum Wahlsieg am 5. November? Im Fall von Behauptung und Gegenbehauptung neigen viele Menschen reflexhaft zu der Ansicht, die Wahrheit werde wohl irgendwo in der Mitte liegen. Doch das tut sie keineswegs immer. Allzu oft gibt das Publikum dem Lügner Honorar.

Was, wenn Fernsehsender wie Fox und Newsmax in den kommenden vier Wochen immer neue Trump-Lügen wiederholen? Was, wenn beliebige Falschaussagen auf X fröhlich verbreitet werden, einem Netzwerk, dessen Eigentümer Elon Musk bei einer Veranstaltung der Republikaner in Butler, Pennsylvania, buchstäblich bizarre Luftsprünge machte vor lauter Begeisterung über seine neue Nähe zu dem Altpräsidenten?

Demokratie kann Kombination aus Geld und Desinformation nicht standhalten

„Die Demokratie“, orakelt der amerikanische Politikwissenschaftler Ian Bremmer, „ist nicht dafür geschaffen, dieser Kombination aus Geld und Desinformation standzuhalten.“

Besiegt im 21. Jahrhundert am Ende gar eine neue Kultur der Lüge die Aufklärung? Der deutsche Psychologieprofessor Borwin Bandelow, Angstforscher aus Göttingen und Bestsellerautor, sieht bereits einen unheilvollen weltweiten Trend – und verweist auch auf die jüngsten Erfolge von Rechtspopulisten in Deutschland und Österreich.

„Man darf leider den Anteil von Menschen nicht überschätzen, die noch in klassischer Weise daran interessiert sind, zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden“, sagt Bandelow. Derzeit wachse bei den wenig Gebildeten der Bedarf an einfachen Kompletterklärungen der Welt. Da könne als Politiker profitieren, wer die Realitäten zurechtbiege und auch Verschwörungstheorien anbiete. Im modernen Publikum gebe es mittlerweile viele, denen der Wahrheitsgehalt bestimmter Aussagen „völlig egal“ ist, solange aus ihrer Sicht die grobe Richtung stimmt.

Experte verweist auf Erfolge der Rechtspopulisten in Deutschland und Österreich

Trump, sagt der Psychiater, kommuniziere auf seine ganz eigene Art mit den Leuten, in sehr einfacher Sprache. Seine Botschaften zielten auf Hirnregionen, die man als das „Steinzeithirn“ beschreiben könne: Areale, in denen aufgrund von Vererbung frühzeitliche Verhaltensmuster hinterlegt sind, von der prinzipiellen Ablehnung alles Fremden bis zur Neigung zum Herdentrieb in Gefahrensituationen.

Angst, sagt Bandelow, steigere die Nachfrage nach dem Simplen. Für viele Menschen gelte: Je unübersichtlicher die Welt ringsherum werde, umso willkommener sei ihnen der Lügner mit seinen einfachen Lösungen und Kursbestimmungen. Dem ängstlichen Teil des Publikums sei wichtig, wohin der Redner wolle. Weniger wichtig sei, ob er bei all seinen Begründungen die Wahrheit sage.

Aus diesem Grund hat es Trump laut Bandelow nicht geschadet, dass er die urbane Legende von Haitianern wiedergab, die angeblich in Springfield, Ohio, „die Katzen und Hunde“ amerikanischer Familien gegessen hätten. „Trumps Anhänger sagen jetzt: Okay, da hat er vielleicht ein bisschen übertrieben, aber im Kern setzt er sich ja für das Richtige ein, nämlich dass diese Leute aus unserem Land verschwinden.“ (rnd)