Die EU-Kommission hat die Visafreiheit für Türken in Aussicht gestellt.
Die Entscheidung liegt bei den EU-Staaten und dem Europaparlament.
Berlin – In der Union gibt es große Vorbehalte gegen die von der EU-Kommission in Aussicht gestellte Visafreiheit für Türken. „Ich kann nach wie vor nur dringend vor einer Visumfreiheit für die Türkei warnen“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann dieser Zeitung. „Ich erinnere an die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken am Ostersonntag in Aschaffenburg.“ Dort hatten Ende März Kurden eine Demonstration nationalistischer Türken angegriffen. „Wir wollen solche Konflikte nicht in unserem Land haben. Mit einer Visumfreiheit würden wir innertürkische Konflikte zu uns importieren“, so der CSU-Politiker. „Außerdem konnten wir schon bei den Balkanstaaten erleben, dass mit der Einführung der Visafreiheit die Asylantragszahlen aus diesen Ländern in die Höhe geschnellt sind.“
Der CSU-Politiker betonte, er habe nichts gegen Visaerleichterungen für türkische Geschäftsleute. Schon jetzt werde kein türkischer Geschäftsmann daran gehindert, einen Visumantrag zu stellen. Umgekehrt benötige aber auch jeder Deutsche, der in die USA reise, ein Visum. Das tangiere die deutsch-amerikanische Freundschaft nicht. Ähnlich äußerte sich der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer. „Alle Voraussetzungen müssen lückenlos erfüllt sein“, mahnte er. „Da darf es keinen Rabatt geben, trotz der gegenseitigen Abhängigkeit in der Flüchtlingskrise. Es geht ja auch um andere Länder, die Visumfreiheit beantragen, beispielsweise um die Ukraine.“
CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach erklärte dieser Zeitung: „Ich halte die Visafreiheit für problematisch. Denn ich befürchte, dass es zu einer Zunahme der irregulären Migration kommen könnte, insbesondere wegen der schwierigen Lage in den Kurdengebieten. Deshalb brauchen wir dringend ein Ein- und Ausreiseregister, damit wir überhaupt feststellen können, wann jemand einreist und ob er wieder ausreist.“ Zur Not müsse man die Notbremse ziehen.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, sagte hingegen: „Die Visafreiheit ist Teil des Flüchtlings-Abkommens mit der Türkei. Und an Abkommen sollte man sich halten.“ Befürchtungen, die Visafreiheit könne massenhaft missbraucht werden, hätten ohnehin „mit der Realität wenig zu tun“. Nur zehn Prozent der Türken hätten derzeit überhaupt einen Reisepass, der Voraussetzung für ein Visum sei. Die Aufregung sei auch von daher sehr übertrieben. Regierungssprecher Steffen Seibert befand, die Brüsseler Vorschläge wiesen in die richtige Richtung.
Grünen-Chef Cem Özdemir erklärte dieser Zeitung: „Solange die Türkei tatsächlich und glaubwürdig die noch ausstehenden fünf Bedingungen erfüllt, sollte der Visaliberalisierung auch nichts im Wege stehen. Wichtig ist, dass die EU die gleichen Maßstäbe anlegt wie bei ähnlichen Vereinbarungen mit anderen Drittstaaten. Wir kritisieren aber, dass Frau Merkel erst durch den Druck in der Flüchtlingsdebatte bereit war, diesen Schritt zu gehen.“