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Ukrainische Offensive in KurskFriendly Fire, eingekesselte Truppen, Wut auf Putin – Russland in „Bedrängnis“

Lesezeit 5 Minuten
Ein zerstörter russischer Panzer steht am Straßenrand in der Nähe der Stadt Sudscha in Kursk. Die Ukraine rückt weiter im russischen Grenzgebiet vor.

Ein zerstörter russischer Panzer steht am Straßenrand in der Nähe der Stadt Sudscha in Kursk. Die Ukraine rückt weiter im russischen Grenzgebiet vor.

Während Kiew Erfolge verkündet, mehren sich für Russland die Hiobsbotschaften aus Kursk. Häme gibt es noch dazu.

Die negativen Nachrichten für Kremlchef Wladimir Putin nehmen kein Ende: Die Ukraine setzt ihre Gegenoffensive in der russischen Grenzregion Kursk weiter fort – und meldet Fortschritte. Der für den Kreml peinliche Angriff auf eigenem Territorium läuft unbeirrt weiter – zuletzt meldete die Ukraine die Zerstörung von drei wichtigen Brücken in der Region. Mehrere hundert russische Soldaten säßen dadurch nun in der Falle, heißt es in unbestätigten Berichten. Die russische Armee scheint bisher kein wirksames Mittel gegen den ukrainischen Vorstoß zu finden.

Im Gegenteil, es mehren sich die Hiobsbotschaften für Putins Armee. So kursierten zuletzt Videos in den sozialen Netzwerken, die einen Angriff der russischen Luftwaffe auf eine Militärkolonne zeigen sollen. Dabei soll es sich ukrainischen Berichten zufolge jedoch nicht um ukrainische Einheiten gehandelt haben.

Russland findet keine Antwort: „Friendly Fire“ und zerstörte Brücken

Die Häme für Putins Truppen ist groß: „Nur ein Detail: Es war ihr eigener Konvoi“, amüsierte sich mancher im Netz über den Fehlschlag. Es ist nicht der einzige Fall von „Friendly Fire“, über den in den vergangenen Tagen berichtet worden war.

Ein Satellitenfoto zeigt eine zerstörte Brücke über den Fluss Seim bei der Stadt Gluschkowo in der russischen Region Kursk.

Ein Satellitenfoto zeigt eine zerstörte Brücke über den Fluss Seim bei der Stadt Gluschkowo in der russischen Region Kursk.

Auch die westlichen Partner der Ukraine können sich unterdessen eine gewisse Süffisanz angesichts der Offensive in Kursk offenbar nicht mehr verkneifen. „Die Ukrainer mussten die Dynamik des Krieges schnell ändern oder die Konsequenzen tragen – und jetzt haben sie aufgehört, mit einer Hand auf dem Rücken gefesselt zu kämpfen“, zitierte der Journalist Vladislav Davidzon im „Tablet“-Magazin zuletzt eine hochrangige Quelle innerhalb der britischen Regierung.

„Das Schauspiel, dass Russland die eigenen Städte bombardiert“

„Jetzt haben wir also das Schauspiel, dass die russische Luftwaffe ihre eigenen Städte bombardiert“, fügte die Quelle nicht ohne Schadenfreude hinzu. In London sei man mit der Operation zufrieden – auch weil Kiew sich damit von dem „vorsichtigeren amerikanischen Ansatz“ gelöst habe und nun eher das britische Mantra „Angriff ist die beste Verteidigung“ beherzigt werde.

Entsprechend reservierter fallen die Kommentare aus Washington derzeit aus. Es gebe Anzeichen dafür, dass Moskau eine kleine Zahl an Einheiten nach Kursk verlege, sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder. „Generell würde ich aber sagen, dass Russland sich wirklich schwer damit tut, zu reagieren.“ Die Ukraine habe ihren Gegner „eindeutig in Bedrängnis gebracht“, betonte der Sprecher – die Streitkräfte Kiews rücken auch nach US-Angaben weiter vor.

Ukraine: 93 Ortschaften bei Offensive in Kursk erobert

Mittlerweile habe man die Kontrolle über 1263 Quadratkilometer in Russland, hieß es zuletzt von der ukrainischen Armee. 93 Ortschaften seien seit Beginn der Offensive erobert worden, erklärte Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj. Der ukrainische Diplomat Olexander Scherba berichtete unterdessen bei X über weitere Gefangennahmen von russischen Soldaten in der Region.

Welche Ziele die Ukraine konkret mit der Offensive verfolgt, bleibt derweil weiter überwiegend unklar. Zuletzt hatte der ukrainische Präsident erklärt, eine „Pufferzone“ in Kursk zu errichten, sei eines der Ziele. Andere ukrainische Beamte sprachen derweil von einem Plan, der „mehrere Etappen“ vorsehe – ohne auszuführen, was sich dahinter verbergen könnte.

Russland in der Ostukraine weiter auf dem Vormarsch

Einen möglichen Hinweis lieferten jedoch russische Kriegsblogger am Dienstagabend. Die Ukraine habe in Saporischschja einen neuen Vorstoß gestartet, nach dem der Kreml zuvor seine Truppen aus der Stadt in der Ostukraine teilweise abgezogen und nach Kursk geschickt hatte, hieß es dort in den russischen Telegram-Kanälen. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben derzeit allerdings nicht. Von anderen Kriegsschauplätzen in der Ostukraine wurden zuletzt Geländegewinne für die russischen Truppen gemeldet.

Ebenfalls unbestätigt sind bisher kursierende Berichte über russische Truppen, die südlich des Flusses Sejm nach der Zerstörung wichtiger Brücken „in der Falle“ sitzen sollen. So zitierte das ukrainische Boulevard-Blatt „Expres“ den Militärexperten Oleg Schdanow, der von einem „Kessel“ sprach, in dem sich bis zu 700 russische Soldaten nun befinden könnten. Genaue Daten dazu gebe es bisher jedoch nicht, erklärte Schdanow.

Sitzen hunderte russische Soldaten in Kursk in der Falle?

Der Sejm werde zu einer wichtigen Trennlinie zwischen ukrainischen und russischen Truppen werden, prognostizierte der Militärexperte. Die Ukraine werde in dem Gebiet „Verteidigungshochburgen“ errichten, hieß es weiter.

Auch neue Informationen über die Vorbereitungsphase der ukrainischen Überraschungsoffensive kommen mittlerweile ans Tageslicht. Die westlichen Partner seien über das Vorhaben ganz bewusst nicht vorab informiert worden, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag.

Warum, erklärte dann eine „hochrangige Quelle“ innerhalb der ukrainischen Regierung: „Die Amerikaner im Dunkeln zu lassen, war der Schlüssel dazu, dass sich die russischen Geheimdienste und die Armee nicht vorbereiten konnten“, zitierte Journalist Davidzon aus Kiews Regierungsebene. „Wir haben aus den Ereignissen der letzten Gegenoffensive einige sehr harte Lektionen gelernt.“ Nun habe man sich in Kiew ein Beispiel an israelischen Militäroperationen genommen. Erst handeln, dann erklären, sei dort die Devise, berichtete die Quelle weiter.

Putins Propagandisten wollen in Kursk alles in „Schutt und Asche“ legen

In Russland sorgt die Offensive in Kursk unterdessen weiter für Unruhe. Zuletzt hatte es wütende Stimmen der Bewohner der Grenzregion gegenüber Wladimir Putin gegeben. Der Kremlchef habe sie einfach in Kursk zurückgelassen, klagten einige der Kursker gegenüber Reportern. Dass Moskau auch Wehrpflichtige zur neuen Front auf eigenem Territorium schickt, sorgte zuletzt ebenfalls für Gegenwind.

In den Moskauer TV-Studios plädieren manche von Putins Propagandisten unterdessen für radikale Gegenmaßnahmen, auch auf eigenem Boden. „Wir sollten sie umzingeln und dann alles mit Flächenbombardements in Schutt und Asche legen“, forderte die russische Historikerin Natalija Narotschnizkaja angesichts der bedrohlichen Lage in Kursk im Staatsfernsehen. Die Bewohner in Kursk werden auch diese Botschaft aus Moskau vernommen haben.