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Kreml setzt auf Wagner-„Fleischwolf“Russlands Sturm auf Awdijiwka: „Sie wurden einfach komplett ausgelöscht“

Lesezeit 4 Minuten
Ein ukrainischer Mannschaftstransportwagen feuert auf russische Stellungen nahe der ostukrainischen Stadt Awdijiwka. (Archivbild)

Ein ukrainischer Mannschaftstransportwagen feuert auf russische Stellungen nahe der ostukrainischen Stadt Awdijiwka. (Archivbild)

Seit Wochen gibt es heftige Gefechte um Awdijiwka. Russland erleidet dabei offenbar enorme Verluste, auch wegen einer alten Wagner-Taktik.

Lange war die ukrainische Stadt Bachmut ein zentraler Schauplatz der Gefechte in der Ukraine: Nun scheint die Stadt Awdijiwka auf ähnliche Weise in den Fokus zu rücken – und erneut scheinen die russischen Streitkräfte dabei auf eine als „Fleischwolf“ bekannt gewordene Taktik zu setzen, inklusive der entsprechenden Verluste.

Der Kreml habe vermutlich Teile von bis zu acht Brigaden in das Gebiet geschickt – und diese Kräfte hätten wahrscheinlich einige von Russlands bislang höchsten Verlustraten in diesem Jahr erlitten, teilte das britische Verteidigungsministerium am Wochenende in seinem Geheimdienst-Update mit. Die schweren, aber ergebnislosen Kämpfe rund um Awdijiwka hätten sich in der vergangenen Woche fortgesetzt, schrieben die Briten.

Gefechte rund um Awdijiwka: Erhebliche Verluste für Russland

Auch zu Wochenbeginn finden sich erneut Berichte über Gefechte rund um die ukrainische Stadt in den sozialen Netzwerken. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Doch der britische Lagebericht passt zu bisherigen Analysen zu den Gefechten in Awdijiwka.

Ähnlich wie damals die Wagner-Söldner von Jewgeni Prigoschin in Bachmut, scheint Russland nun erneut erhebliche Verluste in Kauf zu nehmen. So hatte auch der US-Amerikaner Ryan O’Leary, der freiwillig für die Ukraine kämpft, von „enormen Verlusten“ auf russischer Seite berichtet – und an die Fleischwolf-Taktik in Bachmut erinnert.

Die Bezeichnung hatte sich für das Vorgehen der Wagner-Gruppe entwickelt. Die Söldner schickten ungeachtet aller Verluste immer weiter unausgebildete Infanterie-Einheiten, meist bestehend aus ehemaligen Häftlingen, in Richtung ukrainischer Stellungen, obwohl diese keine gute Angriffsposition hatten. So sollten die ukrainischen Truppen mürbe gemacht werden – ehe die Wagner-Gruppe schließlich mit gut ausgebildeten Truppen angriff.

„Fleischwolf“-Taktik wie in Bachmut: „Sie wurden einfach komplett ausgelöscht“

„Es gibt einige russische Einheiten, die nicht mehr wirklich existieren, sie wurden einfach komplett ausgelöscht“, sagte O'Leary dem Kyiv Independent nun zum russischen Vorgehen in Awdijiwka. Anders als in Bachmut, wo vor allem Sträflingseinheiten geopfert worden seien, schicke Russland jetzt Vertragssoldaten in den Tod. „Es sind menschliche Wellen, aber mit ihren ausgebildeten Leuten“, so O'Leary. „Nichts davon ergibt irgendeinen Sinn.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj behauptete am vergangenen Freitag, Russland habe in Awdijiwka mindestens eine Brigade verloren. Laut Angaben der ukrainischen Streitkräfte hat Moskau seit Kriegsbeginn bereits knapp 300.000 Soldaten verloren. Überprüfbar sind allerdings auch diese Angaben nicht. Zuletzt berichtete Kiew am vergangenen Samstag von 740 getöteten russischen Soldaten an einem Tag.

Analysten: Bis zu 40.000 russische Soldaten rund um Awdijiwka positioniert

Auch US-Analysten vom Thinktank „Institue for the Study of War“ gehen von erheblichen russischen Verlusten in den letzten Wochen aus. Laut den US-Analysten hat Russland mittlerweile einen „beträchtlichen Teil seiner Kampfkraft“ um die ostukrainische Stadt herum konzentriert. Bis zu 40.000 russische Soldaten sollen rund um Awdijiwka positioniert sein.

Laut dem britischen Geheimdienst deutet das darauf hin, dass der Druck auf Moskau weiter steigt. „Politische Führer fordern die Eroberung weiterer Gebiete, das Militär kann jedoch keine wirksamen Offensivmaßnahmen durchführen“, berichten die Briten. Demnach habe das zuletzt erneut zu Wut unter nationalistischen russischen Militärbloggern geführt.

„Unfähigkeit“ der Streitkräfte sorgt für Frust in Russland

Tatsächlich haben die Gefechte in Awdijiwka immer wieder für kritische Stimmen in der russischen Militärszene provoziert. Die „scheinbare Unfähigkeit“ der eigenen Truppen werde von den Militärbloggern nun erneut „gegeißelt“, heißt es aus London.

Es ist nicht das erste Mal im Verlauf des Krieges, dass Russland auf eine Taktik setzt, bei der hohe menschliche Verluste in Kauf genommen werden. Bereits in den Gefechten rund um Bachmut hatte die Wagner-Gruppe den sogenannten „Meatgrinder“ (Fleischwolf) etabliert – und heftige Verluste erlitten, Bachmut aber schließlich doch eingenommen.

„Fleischwolf“ wie in Bachmut: Wagner-Kämpfer an Gefechten in Awdijiwka beteiligt

Nun sind einem Bericht der Kyiv Post zufolge erneut ehemalige Wagner-Kämpfer an den Gefechten in Awdijiwka beteiligt. Auch die US-Analysten gehen davon aus, dass ehemalige Söldner mit „direkten Militärverträgen“ an den Gefechten rund um die Stadt beteiligt sind, die bereits 2014 die Frontlinie zu den von Moskau unterstützten Separatisten bildete.

Nach dem ungeklärten Tod von Söldner-Chef Jewgeni Prigoschin hatte der Kreml die ehemaligen Wagner-Kämpfer dazu gedrängt, sich den regulären russischen Streitkräften anzuschließen. Einige sind diesem Ruf Wladimir Putins offenbar gefolgt – und erleben in Awdijiwka nun erneut Prigoschins Fleischwolf, den sie aus Bachmut bereits kennen. Letzten Berichten zufolge sollen sich noch rund 1.400 Zivilisten in der ukrainischen Stadt befinden.