Unter Putin wird der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen eingeschränkt. Die Ukraine würde Kirill gerne im Gefängnis sehen.
Patriarch Kirill auf FahndungslistePutins Kampf gegen Frauenrechte: „Bleib’ zu Hause und gebäre Soldaten“
Russlands Patriarch Kirill hat aus seiner Sicht die Lösung für das Problem der schrumpfenden Bevölkerung gefunden: Wenn Schwangerschaftsabbrüche aufhörten, würde die Bevölkerung „wie mit einem Zauberstab“ wieder wachsen. Und seine Einstellung hat Folgen für die Frauen Russlands.
In einigen Regionen werden bereits Abtreibungen in privaten Kliniken und der Zugang zur sogenannten „Pille danach“ eingeschränkt. Gesundheitsbehörden drängen Ärzte an staatlichen Kliniken dazu, Frauen vom Schwangerschaftsabbruch abzuhalten.
Kreml nähert sich Anti-Abtreibungslinie der orthodoxen Kirche an
Die demografische Krise in Russland wird durch die enormen Verluste der russischen Armee in der Ukraine weiter verschärft. Mehr als 300.000 Russen sollen westlichen Geheimdiensten zufolge bereits im Kampf getötet oder verwundet worden sein.
Aktivisten sehen dies als Teil einer großangelegten Kampagne. „Wenn ein Land sich im Krieg befindet, führt das üblicherweise zu dieser Art von Gesetzgebung“, sagte die russische Feministin Leda Garina, die in Georgien im Exil lebt. Diese Maßnahmen vermittelten Frauen eine eindeutige Botschaft: „Bleib’ zu Hause und gebäre mehr Soldaten.“
Putin im Kampf gegen die Moderne
Auch gegen Homosexuelle und die LGBTQI-Bewegung war der Kreml zuletzt mit einem Verbot vorgegangen. Es folgten Razzien in Kneipen und Clubs für Homosexuelle in russischen Großstädten.
Die Sowjetunion war 1920 das erste Land der Welt, das Abtreibung entkriminalisierte. Der Kreml nähert sich jetzt aber Schritt für Schritt der Anti-Abtreibungslinie der orthodoxen Kirche an. Russland versucht, seine demografische Krise, weiter verschärft durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg, zu bewältigen, indem das Recht auf Schwangerschaftsabbruch infrage gestellt wird.
Wladimir Putin als Verfechter der Großfamilie
Präsident Wladimir Putin selbst hat sich zum Verfechter der Großfamilie ernannt – im Namen traditioneller und patriotischer Werte. Er sei dagegen, Abtreibungen ganz zu verbieten, aber Schwangerschaftsabbrüche seien gegen das Interesse des Staates, sagte Putin in der vergangenen Woche. Er wolle, dass schwangere Frauen „das Leben des Kindes schützen“, um „das demografische Problem zu lösen“.
Seit Jahren versucht der Präsident seine Landsleute durch finanzielle Anreize zum Kinderkriegen zu motivieren, da Russlands Bevölkerung seit den 1990er Jahren schrumpft. Durch den Ukraine-Krieg hat das Problem eine neue Dimension bekommen.
Putins Wunsch: Acht Kinder pro Familie für tausendjähriges Russland
Zuletzt hatte Putin gefordert, die Tradition der „kinderreichen Familie“ dürfe nicht verloren gehen. Russische Familien sollten wieder acht Kinder haben, erklärte Putin, der betonte, so könne die Zukunft eines „tausendjährigen“ Russlands gesichert werden. Putin selbst hat unterdessen „nur“ zwei Kinder.
Der Kreml sehe dies „als Frage des nationalen Überlebens“, sagt die Politologin Tatiana Stanovaya vom Carnegie Russia Eurasia Center. Jeglicher Widerstand gegen Positionen der Regierung in sozialen Fragen sei für Putin ein westliches Komplott. „Das betrifft jetzt auch Abtreibungen. Sie glauben, dass es der Plan des Westens ist, Frauen vom Schwangerschaftsabbruch zu überzeugen und so Russlands demografisches Problem zu verschlimmern.“
Patriarch Kirill fordert Erschwerung von Schwangerschaftsabbruch
Im vergangenen Monat hatte das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, die Behörden aufgefordert, Schwangerschaftsabbrüche zu erschweren. So könne die Bevölkerung wie „mit einem Zauberstab“ wieder wachsen. Seither haben mehr als ein Dutzend Regionen angefangen, Abtreibungen in Privatkliniken zu unterbinden oder zumindest einzuschränken. Privatkliniken verabreichen vor allem die Abtreibungspille und stellen weniger Fragen, sagt die Demografin Viktoria Sakjewitsch.
Staatliche Kliniken haben vor Jahren Beratungsgespräche mit Schwangeren eingeführt, in denen sie versuchen, die Frauen zu überzeugen, nicht abzutreiben. Aber die jüngsten Empfehlungen des Gesundheitsministeriums an die Ärzteschaft gehen weiter. Es gehe darum, Frauen „davon abzuhalten, sie unter Druck zu setzen, ihnen Angst zu machen“, sagt Sakjewitsch. Manche Regionen haben sogar einen Bonus für Ärzte ausgeschrieben, die Frauen vom Schwangerschaftsabbruch abhalten.
Rückschritt in Russland: „Wir müssen uns auf mehr Verbote, mehr Beschränkungen einstellen“
Beobachter fürchten, die jüngste Entwicklung könnte erst der Anfang sein. „Wir müssen uns auf mehr Verbote, mehr Beschränkungen einstellen“, betont Sergej Sacharow, russischer Demograf an der Universität Straßburg. Schwangerschaftsabbrüche könnten zum Beispiel aus der staatlichen Krankenversicherung herausgenommen werden, wie die Kirche fordert.
Patriarch Kirill gilt als glühender Unterstützer des russischen Kriegs gegen die Ukraine und von Kremlchef Wladimir Putin. Beide wähnen Russland auch im Kampf gegen freiheitliche Werte und eine moderne westliche Gesellschaft. Russland müsse vor „westlichen Pseudowissenschaften“ geschützt werden, forderte Putin unlängst. Kirill hat sich zudem mehrfach homophob über westliche Gesellschaften geäußert.
Ukraine fahndet nach Patriarch Kirill
Wegen seiner Unterstützung für Putin und den Angriffskrieg hat die Ukraine den Kirchenführer mittlerweile zur Fahndung ausgeschrieben. Das Innenministerium der Ukraine in Kiew setzte Kirill, der mit bürgerlichem Namen Wladimir Gundjajew heißt, auf die Liste gesuchter Personen. Als Aufenthaltsort wurde Moskau angegeben. Gundjajew werde vom ukrainischen Geheimdienst SBU gesucht, hieß es. (mit afp)