Der Kremlchef unterstreicht beim „Direkten Draht“ seine Pläne. Frieden soll es erst geben, wenn Russland seine Ziele erreicht habe, so Putin. Die Ziele hätten sich seit Kriegsbeginn nicht geändert, sagt der Historiker Matthäus Wehowski.
Vierstündige Propaganda-ShowPutin will keinen Frieden – und spricht mit Doppelgänger
Wladimir Putin hat bei seiner großen Pressekonferenz am Donnerstag bekräftigt, dass Russland keine Verhandlungen über die Ukraine anstrebt. Alle bisherigen Ziele für den illegalen Angriffskrieg seien weiter in Kraft, erklärte Putin, der sich erstmals seit Beginn des Kriegs wieder bei dem medialen Großereignis präsentiert.
Bedingung für einen Frieden sei der neutrale Status des Landes – also der Verzicht auf die Nato-Mitgliedschaft – und die Entmilitarisierung des Nachbarlandes, sagte Putin am Donnerstag bei einer großen Pressekonferenz in Moskau.
Wladimir Putin: „Frieden kommt, wenn wir unsere Ziele erreicht haben“
„Der Frieden kommt dann, wenn wir unsere Ziele erreicht haben“, sagte Putin und sprach von einem „Bürgerkrieg zwischen Brüdern“. Der Kremlchef unterstrich zudem, dass es ihm nicht nur um die bereits von Russland besetzten Gebiete in der Ostukraine geht. „Odessa ist eine russische Stadt“, erklärte Putin.
Die ukrainische Gegenoffensive habe „nirgendwo“ Erfolg gehabt, behauptete Putin zudem und warf Kiew ironischerweise vor, bei den jüngsten Angriffen auf das Ostufer des Dnipro „Menschen zur Vernichtung“ zu schicken. Genau das wird allerdings den russischen Streitkräften (auch von Deserteuren) immer wieder vorgeworfen.
Wladimir Putin ignoriert extreme russische Verluste: „Sie kämpfen ausgezeichnet“
Insbesondere in der Schlacht um Bachmut und im weiterhin andauernden Kampf um Awdijiwka fanden im Rahmen der sogenannten „Fleischwolf“-Taktik Tausende russische Soldaten den Tod. Zuletzt hatten US-Geheimdienste die russischen Verluste seit Kriegsbeginn auf mehr als 315.000 getötete oder verwundete Soldaten beziffert. Die hohen Verluste der eigenen Armee thematisierte der Kremlchef nicht.
Zugleich sagte Putin, dass für den Krieg keine neue Teilmobilmachung nötig sei. Die Zahl der Freiwilligen werde bis Jahresende bei einer halben Million Vertragssoldaten liegen, täglich kämen 1500 hinzu. Putin lobte indes, dass die nach der umstrittenen Teilmobilmachung im vergangenen Jahr eingezogenen 300.000 Soldaten hervorragende Ergebnisse hervorbrächten. „Sie kämpfen ausgezeichnet“, sagte der 71-Jährige. Laut US-Geheimdiensten hat Russland mittlerweile 87 Prozent der Truppen verloren, die vor Kriegsbeginn einsatzbereit waren.
Putin will nicht verhandeln: „Es gibt keinerlei Bewegung, was die Ziele der ‚Spezialoperation‘ angeht“
Einmal mehr sprach Putin auch vom Ziel einer „Entnazifizierung“ der Ukraine. Als Beispiele nannte Putin die Verehrung für den Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera und den Fall eines Ukrainers, der im Zweiten Weltkrieg aufseiten der Nazis gekämpft hatte und im kanadischen Parlament im Beisein von Präsident Wolodymyr Selenskyj mit stehenden Ovationen bedacht wurde. Der Parlamentspräsident in Kanada musste danach zurücktreten.
„Putin mauert weiterhin“, ordnet der Historiker Matthäus Wehowski den Auftritt des Kremlchefs am Donnerstag gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein. „Es gibt seit Kriegsbeginn keinerlei Bewegung, was die Ziele der ‚Spezialoperation‘ angeht.“ Der Kremlchef fordere weiterhin die „vollständige Kapitulation der Ukraine“, so Wehowski.
Putin spricht beim „Direkten Draht“ mit seinem „Doppelgänger“
Putin hielt nach einer kriegsbedingten Pause im Vorjahr erstmals wieder eine große Pressekonferenz ab. Die Fragerunde für Journalisten wurde als Medienspektakel des Staatsfernsehens mit der TV-Show „Der direkte Draht“, bei der Bürger ihre Probleme schildern können, zur Sendung „Ergebnisse des Jahres“ verknüpft.
Bei der Propaganda-Show waren die russischen Staatsmedien sogar zu Scherzen aufgelegt. Die Frage eines Studenten über die Gefahren der Künstlichen Intelligenz wurde von einem täuschend echt aussehenden Putin in einem Video mit der Stimme des Kremlchefs gestellt. Putin wirkte kurz überrascht, erklärte dann jedoch: „Das ist übrigens mein erster Doppelgänger.“ Immer wieder gibt es Gerüchte über Doubles des russischen Präsidenten. Zuletzt sah sich der Kreml sogar zu einer Klarstellung genötigt.
Im Vorfeld des „Direkten Draht“ hatte das unabhängige russische Meinungsforschungsinstitut Lewada unterdessen berichtet, dass die Russen sich bei ihren Fragen vor allem für die „Spezialoperation“ interessieren würden. So muss der Krieg gegen die Ukraine in Russland auf Geheiß Putins eigentlich genannt werden. Beim „Direkten Draht“ hielten sich jedoch nicht alle Anrufer daran.
„Dass einige der Anrufer recht offen von Krieg sprechen, ist interessant“, so Wehowski. „Das ist eigentlich verboten und kann mit 15 Jahren Haft bestraft werden – je nachdem, wer es sagt“, erklärt der Historiker im Gespräch mit dieser Zeitung.
Wladimir Putin sorgt mit angeblichem Bismarck-Zitat für Verwirrung
Für Verwirrung sorgte Putin unterdessen mit einem angeblichen Zitat von Otto von Bismarck. Bereits der ehemalige deutsche Reichskanzler habe gewusst, dass „nicht Generäle, sondern Lehrer und Pfarrer Kriege gewinnen“, erklärte der Kremlchef. Ob Bismarck diesen Satz tatsächlich gesagt hat, bleibt jedoch zunächst unklar. In vielen russischsprachigen Medien wird das Zitat dem deutschen Reichskanzler zugeschrieben.
„Ich kenne das Zitat nicht“, erklärte unterdessen Historiker Wehowski. Der Kiewer Regierungsberater Anton Geraschtschenko reagierte ebenfalls auf die Worte Putins und schrieb in seinem Telegram-Kanal, Putin habe sich „erneut mit einem falschen Zitat blamiert“. Der Ausspruch gehe nicht auf Bismarck, sondern auf den Leipziger Geografieprofessor Oskar Peschel zurück, so der Ukrainer.
Auch „Spiegel“-Journalist Christian Esch schrieb im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter) von einem „Fake-Bismarck-Zitat“. Es sei „beliebt in Russland, Bismarck falsch zu zitieren“, fügte er an.
Ungeachtet der Authentizität des Zitats unterstrich Putin damit jedoch seinen Kurs, die Indoktrinierung der russischen Jugend mit „Erziehungsprogrammen“ weiter voranzutreiben. So hatte der Politologe Thomas Jäger im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zuvor bereits den fortschreitenden Umbau Russlands unter Putin zu einem faschistischen Staat beschrieben. Auch „Kindererziehung“ und „Schulerziehung“ seien mittlerweile darauf ausgerichtet, so Jäger.
Kirche und Schule spielen große Rolle: Putin macht aus Russland einen faschistischen Staat
Die russisch-orthodoxe Kirche spielt in Putins Narrativen ebenfalls eine erhebliche Rolle und stützt den Kremlchef in seinem Kampf gegen eine liberale und moderne Gesellschaft. Zuletzt hatte Moskau die „LGBTQI“-Bewegung in Russland verboten. Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill hatte den Schutz vor „Gay-Paraden“ in der Vergangenheit bereits als Kriegsgrund genannt.
Die Aufmerksamkeit für Putins mediales Großereignis ist nicht nur wegen des vernichtenden Angriffskrieges gegen die Ukraine groß. Es ist das erste Mal seit Beginn der Invasion, dass Putin sich in einem solchen TV-Format äußert. Der Kremlchef will am 17. März auch zum fünften Mal zum Präsidenten gewählt werden.
Dafür hatte Putin eigens die Verfassung ändern lassen. Seine Wahl gilt als Formsache, ernsthafte politische Konkurrenz lässt der Kreml nicht zu. Mehrere oppositionelle Politiker kamen unter ungeklärten Umständen in den letzten Jahren zu Tode oder wurden wie Alexej Nawalny unter vorgeschobenen Gründen inhaftiert.