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Krieg an zwei FrontenSelenskyj kämpft vor US-Wahl gegen den amerikanischen Isolationismus

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Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, bei einem Besuch in New York

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, bei einem Besuch in New York

Kriegsängste, Flüchtlinge, Energiepreise: Die von Putin geschaffene Polykrise nagt an der Unterstützung für die Ukraine.

55 Prozent der Wählerinnen und Wähler in den USA sind gegen zusätzliche Hilfen für die Ukraine. In Kiew schlug diese Nachricht über eine Umfrage, die der Sender CNN im August in Auftrag gegeben hatte, mit größerer Wucht ein als manche russische Fliegerbombe.

Ist dies bereits eine Zeitenwende in der Zeitenwende? Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj jedenfalls findet sich inzwischen in zwei dramatischen Kämpfen gleichzeitig wieder: einem militärischen, gegen den russischen Imperialismus, und einem politischen, gegen den amerikanischen Isolationismus.

Im November 2024 wird in den USA gewählt. Der frühere und möglicherweise auch künftige republikanische Präsident Donald Trump hat seine Linie bereits vollmundig beschrieben: „Binnen 24 Stunden“ werde er das Ukraine-Problem lösen. Geplant sind offenbar großzügige Gebietsabtretungen an Wladimir Putin.

Selenskyj hat Gefahr erkannt, aber nicht gebannt

Für die Ukraine ist das ein Alptraum. Ausgerechnet ihr militärisch mächtigster Verbündeter könnte sich als der am politisch am wenigsten verlässliche entpuppen.

Selenskyj hat die Gefahr nicht gebannt, aber immerhin erkannt. Der ukrainische Präsident ahnt: Seine USA-Reise, erst zu den Vereinten Nationen in New York, am Donnerstag zum US-Kongress in Washington, könnte möglicherweise über Sein oder Nichtsein seines Landes entscheiden.

Unter den Anhängern der Republikaner sind laut CNN sogar 71 Prozent gegen weitere Hilfen für die Ukraine. Damit droht jetzt eine unheilvolle Verselbständigung des Themas - als machtpolitisches Instrument im innerparteilichen Gerangel um die Spitzenkandidatur im kommenden Jahr. Floridas Gouverneur Ron DeSantis und der Bio-Tech-Unternehmer Vivek Ramaswamy sind bereits zu einem populistischen Überbietungswettbewerb zu Lasten der Ukraine übergegangen. Ramaswamy rief dazu auf, die amerikanischen Ressourcen „lieber zum Schutz unserer eigenen Grenzen einzusetzen, als sie im Ausland zu verbrauchen.“

Wie aber soll Selenskyj sich gegen eine solche Welle außenpolitischen Unverstands stemmen? In einem Interview mit dem Fernsehsender CBS verglich der ukrainische Präsident Putin mit Hitler, er hatte es gerade nicht kleiner. So etwas hört sich erstmal bemerkenswert an, kann aber nach hinten losgehen. Bei manchen Amerikanern wird Selenskyj damit noch den Widerwillen verstärken, erneut hineingezogen zu werden in einen blutigen Konflikt im fernen Europa.

Putin siegt, wenn EU und Nato zerfallen

Die Sache ist komplexer. Putin, gelernter KGB-Offizier, setzt auf allmähliche psychische Zermürbung der modernen westlichen Gesellschaften. Nichts nagt schon jetzt in Europa und den USA so sehr an der Unterstützung für die Ukraine wie die vom Kriegsherrn im Kreml selbst geschaffene Polykrise, mit Kriegsängsten, steigenden Flüchtlingszahlen und Energie- und Lebensmittelpreisen auf Rekordniveau. Putin hofft, dass viele bald entnervt dicht machen, sich zurückziehen ins Nationale – und Trump wählen, AfD oder LePen. Gewonnen hat er, wenn EU und Nato zerfallen. Lachender Dritter wäre Xi Jinping. Diese Strategie fürs 21. Jahrhundert gilt es bloßzulegen, nicht irgendwelche Parallelen zu Hitler.

Durchkreuzen kann der Westen Putins Pläne nur, wenn er selbst eine auf lange Sicht ausgerichtete Strategie entwickelt. Dazu gehört, wie es in Ramstein soeben bekräftigt wurde, ein kluges Zusammenrücken des Westens bei der Waffen- und Munitionsproduktion. Dazu gehört aber auch eine – vielleicht auch für einige russische Militärs und Wirtschaftsführer interessante – politische Vision einer besseren Zukunft für EU und Russland in einer Zeit nach Putin. Gefragt sind jetzt Festigkeit und ein Denken weit über den Tag hinaus. Nur dann kann Selenskyj beide Kämpfe gewinnen. (RND)