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Fragen und AntwortenHaftbefehl gegen den Kremlchef: Muss Putin ins Gefängnis?

Lesezeit 4 Minuten
Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen. (Archivbild)

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen. (Archivbild)

Seit über einem Jahr lässt Putin die Ukraine mit Tod und Verderben überziehen. Jetzt hat das Weltstrafgericht Haftbefehl gegen ihn erlassen. Doch was bedeutet das konkret?

Es war ein Paukenschlag. Der Internationale Strafgerichtshof hat wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen. Was das bedeutet, erklären wir hier:

Was wird Wladimir Putin vorgeworfen?

Das Gericht in Den Haag wirft Putin vor, mutmaßlich verantwortlich für die Deportation ukrainischer Kinder aus besetzten Gebieten nach Russland zu sein. Ein weiterer Haftbefehl wurde gegen die russische Beauftragte für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa, erlassen. Putin soll als Befehlshaber zur Verantwortung gerufen werden. Er habe seine zivilen oder militärische Untergebenen unzureichend kontrolliert, wird der Verdacht begründet. Der genaue Text der Haftbefehle wird nicht veröffentlicht, um Opfer und Zeugen zu schützen, wie das Gericht mitteilte.

Was ist über die Verschleppungen von Kindern bekannt?

Seit Kriegsbeginn gab es immer wieder Berichte über die Verschleppung von ukrainischen Kindern nach Russland. Laut eines Berichts des Humanitarian Research Lab der US-Universität Stanford sollen mindestens 6.000 Kindern aus der Ukraine von russischen Truppen verschleppt worden sein. Die Forscher weisen darauf hin, dass die Gesamtzahl der Kinder nicht bekannt und vermutlich „bedeutend höher“ sei.

Im Dezember sprach die ukrainische Regierung bereits von 13.000 verschleppten Kindern, mittlerweile nennt man in Kiew eine Zahl von 16.000 verschleppten Kindern. Bereits vor dem Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 sollen demnach Kinder verschleppt worden sein.

Die russische Beauftrage für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa, hatte bei einem Treffen mit Wladimir Putin im Februar noch selbst freimütig verkündet, ein ukrainisches Kind „adoptiert“ zu haben – und Putin für diese Gelegenheit gedankt. Der Kremlchef nahm die Aussagen mit Wohlwollen zur Kenntnis.

Wird Wladimir Putin nun verhaftet und verurteilt?

Vermutlich nicht. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Putin tatsächlich auch in Haft genommen und in eine der Zellen des Gerichts im Nordseebad Scheveningen eingesperrt werden kann. Das Gericht mit Sitz in Den Haag verfügt über keine eigene Polizeimacht, die den Präsidenten festnehmen könnte. Es ist derzeit auch illusorisch zu denken, dass Russland seinen eigenen Präsidenten dem Gericht ausliefern würde.

Der internationale Haftbefehl schränkt allerdings Putins Bewegungsfreiheit weiter ein. Sobald er in ein Land reist, das den Grundlagenvertrag des Gerichts ratifiziert hat, droht ihm die Festnahme. Denn alle Vertragsstaaten sind verpflichtet, die Haftbefehle auszuführen. Momentan scheint ein Prozess gegen den russischen Präsidenten in Den Haag aber ausgeschlossen.

Was sagt Russland zu dem Haftbefehl?

Moskau hat den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) als „bedeutungslos“ bezeichnet. „Die Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs sind für unser Land bedeutungslos, auch aus rechtlicher Sicht“, teilte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa am Freitag im Online-Dienst Telegram mit, ohne Putin namentlich zu nennen. Moskau werde „nicht mit dem Gericht kooperieren“. Russland sei „kein Vertragspartner“ des IStGH und habe ihm gegenüber „keine Verpflichtungen“.

Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew verglich den Haftbefehl aus Den Haag unterdessen mit Toilettenpapier. „Der Internationale Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen. Es muss nicht erklärt werden, wo dieses Papier verwendet werden soll“, schrieb er im Kurzbotschaftendienst Twitter auf Englisch neben einem Toilettenpapier-Emoticon.

Was sagt die Ukraine zur Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs?

Die ukrainische Führung hat die Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die Kinderbeauftragte Maria Lwowa-Belowa als „historisch“ begrüßt. „Das bedeutet, dass sie jetzt auf dem Gebiet der Länder festgenommen werden können, die das Römische Statut unterzeichnet haben“, erläuterte der Chef des Präsidentenbüros in Kiew, Andrij Jermak, im Nachrichtenkanal Telegram. Er betonte, dass Kiew systematisch mit dem Gerichtshof zusammenarbeite.

Der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin lobte die Entscheidung als Signal für die Welt, dass das „russische Regime“ verbrecherisch sei. „Die Führer der Welt werden jetzt dreimal überlegen, bevor sie ihm (Putin) die Hand geben oder sich mit ihm an den Verhandlungstisch setzen“, teilte er mit.

Der ukrainische Außenminister, Dymtro Kuleba, begrüßte die Entscheidung ebenfalls. „Die Räder der Justiz drehen sich“, schrieb er bei Twitter. „Internationale Kriminelle werden für den Diebstahl von Kindern und andere internationale Verbrechen zur Rechenschaft gezogen.“ Präsident Wolodymyr Selenskyj hat unterdessen noch nicht zur Entscheidung in Den Haag Stellung genommen.

Was sagt die Bundesregierung zum Haftbefehl gegen Wladimir Putin?

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich am Freitagabend noch nicht zu der Entscheidung aus Den Haag geäußert, andere Politiker der Ampel-Regierung kommentierten die Vorgänge jedoch bereits. So nahm die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), auf Twitter Stellung zum Haftbefehl gegen Putin und nannte die Entscheidung einen „mehr als richtigen Schritt“. Wer den russischen Krieg weiter relativiere, „stützt nun auch offiziell einen Kriegsverbrecher“, führte sie aus.

Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt (Grüne) meldete sich ebenfalls zu Wort. „Der Haftbefehl gegen Putin lenkt das Augenmerk auch auf die Tausenden verschleppten ukrainischen Kinder. Kindern ihre Eltern und Herkunft zu nehmen, ist brutal. Wichtig bleibt: Die Kriegsverbrechen müssen dokumentiert, die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“ SPD-Politiker Michael Roth nannte die Entscheidung in Den Haag unterdessen einen „ersten Erfolg der juristischen Aufarbeitung der russischen Verbrechen“. Er hoffe, „dass am Ende das Recht und Gerechtigkeit siegen werden“, erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. (mit afp/dpa)