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Zuckerbrot und PeitscheSäuberung im Militärapparat und plötzliche Volksnähe – der neue Kurs des Wladimir Putin

Lesezeit 4 Minuten
Der russische Präsident Wladimir Putin während eines Besuchs der Festung Naryn-Kala in Derbent in der russischen Republik Dagestan am 28. Juni 2023.

Der russische Präsident Wladimir Putin während eines Besuchs der Festung Naryn-Kala in Derbent in der russischen Republik Dagestan am 28. Juni 2023.

Das Staatsfernsehen zeigt Wladimir Putin, wie er Küsschen und Selfies gibt, militärisch setzt er auf volle Härte. Was hat es mit dem neuen Kurs auf sich?

Seit dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine im Februar 2022 verzichtet der russische Präsident Wladimir Putin fast komplett auf Auslandsreisen, selbst innerhalb von Russland bewegt er sich nur selten. Seit der Rebellion von Jewgeni Prigoschin und dessen Wagner-Truppen scheint Putin nun plötzlich die Reiselust gepackt zu haben.

In den vergangenen Tagen tritt der russische Präsident erstaunlich oft öffentlich auf, zum Beispiel in Dagestan. Doch nicht nur das: Der 70-Jährige zeigt sich ungewohnt volksnah, umarmt Bürgerinnen und Bürger, lässt sich für Selfies ablichten und küsst sogar ihm mutmaßlich fremde Menschen.

Wladimir Putin gibt sich volksnah – Präsident mit neuem Kurs

Dieses für Wladimir Putin höchst ungewöhnliche Verhalten, nährte einmal mehr Spekulationen über einen möglichen Doppelgänger: „Es ist schwer, die angeblichen Verhaltensunterschiede zwischen den angeblichen Doppelgängern nicht zu bemerken“, urteilt etwa Anton Gerashchenko, ehemaliger stellvertretender Innenminister der Ukraine.

Der russische Präsident Wladimir Putin geht während seiner Arbeitsreise in die russische Republik Dagestan am 28. Juni 2023 mit Einwohnern von Derbent auf Tuchfühlung.

Der russische Präsident Wladimir Putin geht während seiner Arbeitsreise in die russische Republik Dagestan am 28. Juni 2023 mit Einwohnern von Derbent auf Tuchfühlung.

Er spekuliert über die Gründe, warum der Kreml seiner Meinung nach Putin-Doubles einsetze. „Soll der Doppelgänger, der in die Menge geht, umgebracht werden, damit der echte Putin in ein weit entferntes Land ziehen und sich zur Ruhe setzen kann?“ Beweise für einen Doppelgänger gibt es indes nicht.

Wladimir Putin: Was sind die Gründe für seinen Kuschelkurs

Am Donnerstag machen erneut Aufnahmen des russischen Präsidenten in den sozialen Medien die Runde. Sie zeigen Wladimir Putin dabei, wie er – offenbar spontan – ein Bild auf ein Chart malt. Im Netz wird wild spekuliert, worum es sich bei seinem künstlerischen Werk handeln könnte. Viele Nutzerinnen und Nutzer mutmaßen darüber, wessen Gesicht er wohl habe malen wollen.

Aufgelöst werden kann dieses Rätsel nicht, klar scheint indes: Im Kreml ist man offenbar der Meinung, Putins Unterstützung in der Bevölkerung habe durch den gescheiterten Aufstand der Wagner-Söldner sowie dem Machtstreit mit dessen Anführer, Jewgeni Prigoschin, gelitten. Setzt der Kreml etwa aus Angst vor schwindendem Rückhalt für den Präsidenten auf die unerwartete Volksnähe?

Ist Wladimir Putin innenpolitisch geschwächt?

Experten vermuten jedenfalls, dass Putin Bilder wie aus Dagestan derzeit dringend nötig habe. Sie sollen die Beliebtheit des Staatsführers illustrieren – und insbesondere politischen Gegner zeigen, dass sich an der Popularität des Präsidenten nichts geändert habe. Ob das tatsächlich stimmt, ist fraglich. Deutliche Risse im auf Putin zugeschnittenen Machtgefüge der russischen Eliten vermuten Beobachter wie der Kölner Politikwissenschaftler Carlo Masala.

Wladimir Putin gehe in „mehrfacher Hinsicht geschwächt“ aus den Vorfällen am Wochenende heraus, analysierte der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch, bei „Maischberger“. Prigoschin hätte den Russen „die Wahrheit gesagt. Das kann Putin nicht mehr zurückdrehen. Russland hat die Wahrheit gehört!“

Wladimir Putin sieht sich offenbar zu Säuberung im Militärapparat veranlasst

Die Propaganda-Kanäle laufen auf Hochtouren, parallel findet wohl eine Säuberung im Militärapparat statt, erklärt Sicherheitsexperte und Russland-Experte Joachim Weber von der Uni Bonn im n-tv-Interview. Diese Woche wurde bekannt, dass der stellvertretende Oberbefehlshaber der russischen Invasionstruppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, verhaftet und verhört worden sein soll. Wie er könnten auch weitere Generäle vom Aufstand Prigoschins gewusst haben.

„Putin hat gerade den schwersten Putsch, den man sich denken könnte, überstanden“, so Weber, der die Debatte um einen geschwächten Putin für überzogen hält. Dennoch meint auch er, dass der Staatsmann nun positive Publicity braucht. „Seine Propaganda läuft auf vollen Touren, alles ist am laufen, um der Bevölkerung eine Narration aufzutischen, sodass man das irgendwie glauben kann, auch wenn für uns die Widersprüche evident sind.“

Propaganda-Maschinerie des Kreml läuft auf Hochtouren

„Die russische Propagandamaschinerie hat damit begonnen, Putins Image als mächtiger und starker Führer, der für die Sicherheit des Landes sorgt, wiederherzustellen. Früher wurde in russischen Propagandasendungen oder kremlfreundlichen Blogs Putins Macht nur angedeutet, aber nicht gepriesen. Nach dem Aufstand von Prigoschin scheint jeder, den der Kreml erreichen kann (einschließlich Schulen, Beamte usw.), ein Loblied auf den großen Zaren zu singen“, so Anton Gerashchenko auf Twitter.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nannte die Aufnahmen aus Dagestan am Donnerstag „ein unglaubliches Zeichen der Unterstützung“ der Bevölkerung. Von einer Schwächung Putins will man im Kreml nichts wissen. „Auf der einen Seite gibt es den Rat der Spezialisten“, sagte Putins Sprecher vor Reportern in Anspielung auf Putins plötzlich demonstrierte Volksnähe. „Auf der anderen Seite gibt es den nachdrücklichen Willen des Präsidenten, sich den Menschen nicht zu verweigern.“

Während er innenpolitisch Kuschelkurs mit den Bürgerinnen und Bürgern demonstriert, setzt er militärisch derweil auf volle Härte. Putin will auch auf dem Schlachtfeld seine Macht beweisen. Der Militärschlag auf ein Restaurant in Kramatorsk, in dem auch internationale Gäste verkehrten und bei dem viele Menschen starben, kann als Zeichen gewertet werden. Putins Botschaft an den Westen: Der Krieg geht weiter – und zwar uneingeschränkt wie bisher. Die Verbündeten der Ukraine sollen nicht glauben, dass der Mann im Kreml wackelt.