Ein Aktivist hat russische Lehrkräfte zu absurden Bildern verleitet. Was Umberto Eco mit der „unglaublichen Geschichte“ zu tun hat.
Kein KarnevalskostümRussische Lehrkräfte basteln mit Schülern Aluhüte gegen böse „Nato-Strahlung“
Es sind keine Karnevalskostüme: Der belarussische Dissident und Aktivist Wladyslaw Bochan hat russische Lehrkräfte offenbar dazu gebracht, Hüte aus Alufolie herzustellen, um sich damit vor vermeintlicher „Strahlung von Nato-Satelliten“ zu schützen. Bochan veröffentlichte entsprechende Aufnahmen am Wochenende auf einem Youtube-Kanal. Die Bilder verbreiteten sich daraufhin rasant in den sozialen Netzwerken. Dort sorgte die „unglaubliche Geschichte“ für reichlich Belustigung.
Nach eigenen Angaben war es dem Aktivisten zuvor offenbar gelungen, sich erfolgreich als Vertreter der russischen Regierungspartei Einiges Russland auszugeben und Lehrpersonal an mehreren russischen Schulen davon zu überzeugen, dass im Rahmen einer „patriotischen Aktion“ die Herstellung von Aluhüten geübt werden müsse. Mit diesen „Helmen des Vaterlandes“ könnten Lehrkräfte und Schüler sich vor „feindlicher Strahlung von Nato-Satelliten“ schützen, lautete der Auftrag des belarussischen „Pranksters“, also professionellen Witzbolds.
Prankster stellt Putins Lehrer bloß: Aluhüte gegen Nato-Strahlung
Der Plan des Aktivisten ging auf: Von Schulen in der westrussischen Region Woronesch erhielt Bochan nach seiner Aufforderung offenbar entsprechend kuriose Aufnahmen von Lehrkräften, die mit Aluhüten und Russland-Fähnchen posierten. Insgesamt, so schildert es Bochan, seien sieben russische Schulen dem absurden Aufruf gefolgt.
„Das Basteln von Aluhüten ist nicht nur eine interessante und kreative Aktivität, sondern auch eine wichtige patriotische Tat, die die Bereitschaft symbolisiert, unser Heimatland vor äußeren Bedrohungen zu verteidigen“, erklärte ein Lehrer in einem der skurrilen Videos. „Lassen Sie unsere Hüte zu einem Symbol der Einheit und Widerstandskraft werden.“
Keine Zweifel an Aluhüten in Russland: „Eine patriotische Tat“
Zweifel kamen den Lehrkräften angesichts der Aktion offenbar nicht. Dass „Aluhüte“ bereits seit Jahren international als ein Symbol für Verschwörungstheorien etabliert sind, störte die Pädagogen nicht. Oftmals sind Nutzer von Aluhüten von geheimen Mächten oder der Anwesenheit außerirdischen Lebens überzeugt, auch bei „Querdenkern“ waren die Hüte zeitweise beliebt, um sich gegen angeblich schädliche Strahlung zu schützen.
Mit dem Scherz wolle er aufzeigen, in welchem Ausmaß die russische Bevölkerung darauf „konditioniert“ sei, jeglichen Anweisungen des Kremls und von Präsident Wladimir Putin zu gehorchen – egal wie „lächerlich“ die offiziellen Anordnungen auch seien, erklärte Bochan. Der „Prankster“ zeigte sich dennoch überrascht, dass der Scherz funktioniert hat.
Schulen in Russland: „Gehirnwäsche und Unterdrückung“
„Ich dachte, ich hätte den Gipfel der Absurdität erreicht – bis zu dem Tag, an dem ich ein Meme über Aluhüte Wirklichkeit werden ließ“, erklärte Bochan. Über den Erfolg sei er „erfreut und schockiert zugleich“, seine These über die tiefgreifende staatliche Manipulation der Bürger in Russland sieht Bochan bestätigt.
Die Aktion des Belarussen soll jedoch nicht nur der Belustigung dienen. Es gehe auch darum, die Absurdität der staatlichen russischen Propaganda aufzuzeigen. „Schulen haben sich in Institutionen der Gehirnwäsche und Unterdrückung verwandelt“, wies Bochan auf das Ausmaß der staatlichen Desinformation in Russland hin.
Belarusse will russischen Faschismus zeigen und sieht „Nazi-Ideologie“
Tatsächlich gibt es seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine immer mehr Berichte über die Indoktrinierung russischer Schülerinnen und Schüler. Schulbücher wurden angepasst, um den illegalen Angriff zu rechtfertigen, Schüler werden auf den Dienst in der Armee vorbereitet.
„Russland ist ein Imperium, das seine Nachbarvölker unterdrückt“, befindet der belarussische Dissident. Es ähnele der „Nazi-Ideologie“, dass Moskau das „Selbstbestimmungsrecht der Nationen und das Existenzrecht von Ländern infrage stellt“, lautet Bochans Urteil, der mit Aktionen wie dem Aluhut-Scherz auf den russischen Faschismus aufmerksam machen will.
Wladyslaw Bochan: Mit Umberto Eco gegen Wladimir Putin
Die Aluhut-Aktion diene als Beleg für die Verschwörungsbesessenheit der Russen, erklärte der Aktivist in seinem Telegram-Kanal. Bochan will sich mit weiteren Aktionen den 14 Merkmalen des Ur-Faschismus widmen, die der italienische Gelehrte und Schriftsteller Umberto Eco in einem Essay 1995 veröffentlicht hatte. Ecos Merkmale dienen seitdem oftmals der groben Identifikation faschistischer Regime.
In Russland seien von den 14 Merkmalen alle erfüllt, hatte der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits 2023 erklärt. Mit „Erziehungsprogrammen“ schreite auch in den Schulen der Umbau zu einem faschistischen Staat unter Putins Herrschaft voran, so der Politikwissenschaftler.
Für einen „ausgewachsenen faschistischen Staat“ fehle in Russland nur noch eine „umfassende Massenbewegung“, warnte Jäger damals. „Die Begeisterung für den Krieg, das suggerieren die Berichte, ist noch nicht so groß“, erklärte der Professor – und fügte an: „Ich sage bewusst noch nicht, denn Russland ist auf dem Weg dahin.“ Ein Jahr später posieren nun russische Lehrer mit Aluhüten gegen Nato-Strahlung.