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Prognosen fehlerhaftUmwelthilfe klagt – Bundesregierung muss Umweltprogramm nachbessern

Lesezeit 4 Minuten
Windräder stehen auf einem Feld.Im Hintergrund rauchen Schornsteine eines Industriegebiets, umgeben von einer Stromtrasse.

Die Regierung wurde von der Deutschen Umwelthilfe verklagt – und muss nun am Umweltprogramm nachbessern. (Symbolbild)

Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert, dass die Bundesregierung die Maßnahmen im Umweltprogramm nicht ausreichend umsetze.

Die Deutsche Umwelthilfe fordert von der Bundesregierung mehr Anstrengungen für das Klima und saubere Luft. Dafür zieht sie immer wieder vor Gericht. Und wieder einmal mit Erfolg.

Die Bundesregierung muss ihr Nationales Luftreinhalteprogramm nachschärfen. Das hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden. Die bisher aufgelisteten Maßnahmen reichten nicht in allen Punkten aus, um die europäischen Ziele bei der Reduzierung des Ausstoßes von Luftschadstoffen zu erreichen, so die Richter.

Deutsche Umwelthilfe erneut mit Klage gegen Regierung erfolgreich

Die dem Programm zugrunde liegenden Prognosen seien teilweise fehlerhaft, weil etwa nicht die aktuellsten Daten berücksichtigt worden seien, erklärte die Vorsitzende Richterin Ariane Holle. (Az.: 11 A 16.20)

Damit hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erneut – zumindest teilweise – erfolgreich gegen die Bundesregierung geklagt. Erst Mitte Mai hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) entschieden, dass die Bundesregierung ihr Klimaschutzprogramm nachschärfen muss, die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig.

Umwelthilfe: „Guter Tag für die saubere Luft in Deutschland“

„Das ist ein wirklich guter Tag für die saubere Luft in Deutschland“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch nach der Urteilsbegründung. „Zum ersten Mal wurde die Bundesregierung dazu verurteilt, wirklich wirksame zusätzliche Maßnahmen für die Reduktion von fünf Luftschadstoffen zu beschließen und umzusetzen – und zwar schon für das Jahr 2025.“

Auch diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung ließen die Richter eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu. Resch äußerte jedoch die Hoffnung, dass es bald zu Gesprächen mit den Bundesministerien für Verkehr, Bauen und Umwelt kommt. Um kurzfristig den Ausstoß von Stickstoffoxid deutlich zu reduzieren, sei ein Tempo-Limit auf den Autobahnen nötig.

Aktuelles Verfahren läuft schon seit 2020

Die Umwelthilfe geht mit diversen Klagen gegen die Klima- und Umweltpolitik der Bundesregierung vor. Im aktuellen Fall ging es um das 2019 beschlossene und im Mai 2024 aktualisierte Programm mit zahlreichen Maßnahmen, mit denen Deutschland die europäischen Ziele bei der Reduzierung des Ausstoßes von Luftschadstoffen erreichen will. Dabei geht es um Ammoniak, Feinstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffoxid.

Die Klage der Organisation ist bereits aus dem Jahr 2020 anhängig und bezog sich damit auf das nationale Luftreinhalteprogramm 2019. Im Verlauf des Gerichtsverfahrens hat es die Bundesregierung angepasst. Aus Sicht der Umwelthilfe reicht das aber nicht aus. Das aktuelle Programm basiere auf Emissionsprognosen von 2021. Es seien Maßnahmen einbezogen worden, die dann abgesagt oder abgeschwächt wurden.

Durch die fehlende Maßnahmenumsetzung in der Luftreinhaltepolitik werde den Menschen in Deutschland seit Jahren ihr Recht auf saubere Luft verwehrt, kritisiert die DUH. Allein in Deutschland stürben jährlich fast 28.000 Menschen vorzeitig wegen Luftschadstoffen wie Stickstoffdioxid und knapp 68.000 Menschen aufgrund von Feinstaubbelastung.

Gericht folgt Argumentatoin der DUH: Fehler bei Prognosen festgestellt

Das Gericht folgte der Argumentation der DUH in vielen Punkten. So sei der Klimaschutz-Projektionsbericht 2023 vom August 2023 nicht berücksichtigt worden, kritisierte der 11. Senat. „Dem Luftreinhalteprogramm kommt eine wichtige Steuerung zu“, betonte Richterin Holle. Die Bemühungen dürften nicht eingestellt werden.

Der Senat beanstandete mehrere Fehler bei der Prognose für das Programm. So sei unter anderem die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes vom September 2023 nicht berücksichtigt worden. Diese erlaube aber den Betrieb von Holzpelletheizungen, die zu einer stärkeren Luftverschmutzung mit Feinstaub führen.

Außerdem sei beim Thema Kohleverstromung noch davon ausgegangen worden, dass bis Ende 2029 alle Kohlekraftwerke vom Netz gehen würden. Bezüglich des Verkehrs liege ein Prognosefehler vor, weil nicht berücksichtigt wurde, dass die staatliche Förderung für den Kauf von Elektrofahrzeugen zwischenzeitlich gestoppt wurde.


Zum Hintergrund: Die National Emissions reductions Commitments Richtlinie (NEC-Richtline 2016/2284/EU) ist eine 2016 eingeführte europäische Richtlinie, die nationale Emissionshöchstmengen unter anderem für Stickstoffoxide, Schwefeldioxid, Ammoniak und Feinstaub festlegt. Im Zuge der NEC-Richtlinie sind Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Nationale Luftreinhalteprogramme (NLRP) zu erstellen, die Maßnahmen zur Erreichung der verpflichtenden Minderung des Luftschadstoffausstoßes bundesweit enthalten und alle vier Jahre aktualisiert werden müssen. Zur Kontrolle der Vorgaben müssen überdies die EU-Staaten jährlich Emissionsberichte veröffentlichen und alle zwei Jahre Emissionsinventare erstellen.

Konkret wirft die DUH der Bundesregierung vor, gegen die NEC-Richtlinie zu verstoßen: Die Maßnahmen im Nationalen Luftreinhalteprogramm reichten nicht aus, um sämtliche Reduktionsziele für 2025 und 2030 sicher einhalten zu können.

Zudem hat die Regierung viele der in ihren Prognosen bereits eingerechneten Maßnahmen abgesagt oder abgeschwächt: So wurde im Heizungsgesetz die Nutzung von Holzheizungen nicht beschränkt und es wurde keine verpflichtende Abgasreinigung vorgeschrieben. Die im NLRP einkalkulierte Verlängerung der Kaufprämie für Elektrofahrzeuge wurde zum Jahresende 2023 gestrichen und auch die Abgasnorm Euro 7 sieht entgegen der Planung keine Verschärfungen für Pkw vor, was zu erheblich mehr Schadstoffen, insbesondere des Dieselabgasgifts Stickstoffdioxid, führt. (at/dpa)