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Ukrainische Soldaten in Deutschland„Es gibt weniger Verletzungen, die wieder heilen, und dafür viel mehr Amputationen“

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Sie erlebten Gräuel, wurden zum Teil schwer verwundet: Seit März 2022 sind etwa 700 schwerverletzte und schwerkranke ukrainische Soldaten nach Deutschland gebracht worden.

Hunderte schwerverletzte Soldaten aus der Ukraine sind in Deutschland. Nach einer kurzen Pause kehren sie zurück – mitten in den Krieg und auf eigenen Wunsch.

Wenn Danylo Palii in Hamburg ein Flugzeug hört, muss er den Impuls unterdrücken, sich auf den Boden zu werfen. Wo der 23-Jährige herkommt, sind Flugzeuge keine harmlosen Verkehrsmittel, sondern todbringende Waffensysteme. Zuletzt hat der Soldat als Maschinengewehrschütze in Soledar in der Ukraine gekämpft, jener Kleinstadt, die die russischen Truppen Anfang vergangenen Jahres eingenommen haben.

Palii hat kurze blonde Haare. Er trägt Jeans und einen Hoodie, dessen Ausschnitt den Blick auf seine Tätowierung am Hals freigibt. „Walhalla erwartet mich“, steht dort. Jener mythische Ruheort gefallener Kämpfer wird sich gedulden müssen, der junge Mann ist dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen, als er im August 2022 verwundet wurde. Die Verletzung war allerdings so schwer, dass die Ärzte ihn zur Behandlung nach Deutschland schicken mussten.

Seit März 2022 sind mehr als 1000 schwerverletzte und schwerkranke Ukrainer zur Behandlung nach Deutschland gebracht worden, darunter rund 700 Soldaten. Insgesamt sind mehr als 3000 Ukrainer in EU-Staaten evakuiert worden, die Bundesrepublik liegt mit Abstand an der Spitze. Deutschland sei stolz darauf, betonte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im vergangenen Monat. Er sagte auch: „Dass bereits 1000 schwer verletzte ukrainische Patienten in deutschen Kliniken behandelt werden mussten, lässt das unermessliche Leid erahnen, das Putins grausamer Angriffskrieg verursacht.“

Maksym Zelenenko wurde von einer Mörsergranate getroffen.

Maksym Zelenenko wurde von einer Mörsergranate getroffen.

Schlagzeilen machte am Wochenende der Fall von zwei ukrainischen Soldaten, die ukrainischen Medienberichten zufolge nach Kriegsverletzungen zur medizinischen Rehabilitation nach Deutschland gebracht wurden - und die nun in Bayern getötet wurden. Die Polizei hat einen Russen als Tatverdächtigen festgenommen.

Helmkamera zeichnet Verwundung auf

Palii hat das Gefecht, bei dem er verwundet wurde, mit seiner Helmkamera aufgezeichnet. Man sieht sein Maschinengewehr, er feuert. Nach dem Treffer durch einen Granatsplitter kann Palii sich noch aus eigener Kraft bis zum Sanitäter schleppen. Auf dem Video ist zu sehen, wie sein verletzter linker Arm leblos hinunterhängt.

Auf seinem Handy hat Palii noch das Röntgenbild aus der anschließenden Untersuchung, es zeigt seinen völlig zertrümmerten Oberarmknochen. „Die Ärzte in der Ukraine hatten Probleme, weil die Implantate immer abgestoßen wurden“, sagt der junge Mann. Ende Juli 2023 sei er daraufhin nach Hamburg gebracht worden.

„Hier wurde mir ein Knochenteil aus meinem Becken rausgesägt und in meinen Arm eingesetzt“, sagt Palii. Elf Operationen hat er hinter sich. Ein Foto nach einem der ersten Eingriffe zeigt ihn mit eingefallenem Gesicht, in seiner offenen linken Schulter ist eine Metallkonstruktion angebracht, die seinen bandagierten Arm stützt. Die Metallstäbe erinnern vage an futuristische Kampfmaschinen aus Science-Fiction-Filmen. Weil ein Stück Knochen entfernt werden musste, ist der verletzte Arm fünf Zentimeter kürzer als der andere. Inzwischen ist Palii in der Reha, seinen Arm kann er zwar noch nicht wieder belasten, aber immerhin bewegen.

Verletzte ukrainische Soldaten gehen zurück in den Krieg

Untergekommen ist Palii in einem früheren Hotel. Der schmucklose Kasten beherbergt vor allem ukrainische Geflüchtete, aber auch Soldaten, die zur Behandlung nach Hamburg gebracht worden sind. In den Fluren sind die Fernseher aus den Zimmern zu hören. Ein Einzelbett, ein Fernseher, ein kleiner Kühlschrank und ein schmaler Schreibtisch gehören zum Inventar von Paliis Bleibe. Aus dem Fenster blickt man auf das bekieste Flachdach des Seitenflügels.

Lange wird Palii hier nicht mehr sein. Ende Mai geht es für ihn wieder zurück – in die Ukraine und in den Krieg. „Ich kann mit der Verletzung zwar nicht mehr MG-Schütze sein“, sagt er. „Aber ich will wieder an die Front.“ Dort kämpft auch sein Vater. Ob er sich nicht fürchte? „Natürlich habe ich Angst“, antwortet er. „Aber jetzt weiß ich wenigstens, wie es sich anfühlt, verwundet zu werden.“ Er sei auch aus Hamburg heraus in Kontakt mit seinen Kameraden. „Der Krieg hat sich verändert, auch wegen der Drohnen. Es gibt jetzt weniger Verletzungen, die wieder heilen, und dafür viel mehr Amputationen.“

Es gibt jetzt weniger Verletzungen, die wieder heilen, und dafür viel mehr Amputationen.
Danylo Palii, ukrainischer Soldat

Evgenii Leshan wünscht sich gelegentlich, die Ärzte hätten ihm den rechten Unterschenkel abgenommen, statt ihn immer wieder zu operieren. „Manchmal bedauere ich, dass das Bein nicht amputiert wurde“, sagt der 48-Jährige. „Dann wären die Probleme vorbei. Mit einer Prothese könnte ich längst wieder laufen.“ Zwölf Zentimeter Knochen seien ihm entfernt worden. Er habe aufgehört, die Operationen zu zählen, es seien aber mehr als zehn gewesen.

Leshan ist Offizier, auch er wurde durch einen Granatsplitter verwundet, das war im Juni 2022 in der Nähe der ostukrainischen Stadt Charkiw. Das Bein infizierte sich, die Wunde heilte nicht, weil die Bakterien resistent gegen Antibiotika waren – ein Problem, unter dem viele Verwundete leiden. Schon Ende Juni 2022 kam Leshan nach Hamburg. Fünf Monate lag er im Bundeswehrkrankenhaus, jetzt ist auch er in einem Hotel untergebracht. Seine Frau und sein jüngerer Sohn konnten ihn nach Hamburg begleiten, sein älterer Sohn kämpft in der Ukraine gegen die russischen Besatzer.

Immerhin, seit einer Woche kann sich Leshan wieder ohne Krücken fortbewegen. Das Humpeln bereitet ihm sichtlich Mühe, sein Fußgelenk sei steif, sagt er. Dennoch vermutet er, dass auch er in zwei Monaten wieder zurückkehren wird an die Front. Dort werde er „passende Aufgaben“ übernehmen, also solche, die er trotz seiner Verletzung ausführen könne. „Vielleicht kann ich im Kommandostab arbeiten.“

Dankbar für die Hilfe aus Deutschland

Mit ihm würden auch seine Ehefrau und sein Sohn zurück in die Ukraine kehren, sagt Leshan. „Ich wäre ruhiger, wenn sie in Deutschland blieben. Aber sie wollen zurück nach Kiew.“ Wie stehe es mit seinen Gefühlen? „Ich freue mich darauf, bald wieder in der Ukraine zu sein. Wobei Freude nicht das richtige Wort ist, weil die Lage nicht erfreulich ist.“ Genau genommen sei sie angesichts des russischen Vormarschs sehr schwierig. „Aber trotzdem halten wir die Front.“

Den Deutschen ist Leshan dankbar. „Früher in der Sowjetunion sagte man, die Deutschen seien nicht offen, wenn sie lächelten, dann komme das nicht von Herzen. Ich habe in der Zeit hier gemerkt, dass das nicht stimmt.“ Angetan sei er von der hohen Professionalität der Ärzte und des medizinischen Personals in Hamburg. Er werde mit vielen positiven Eindrücken zurückgehen. Begeistert äußert sich Leshan über die ukrainische Diaspora in Hamburg, besonders der Verein Feine Ukraine habe ihn unterstützt, sagt er. „Sie haben wirklich sehr gute Hilfe geleistet.“

Verein unterstützt verwundete Soldaten

Kateryna Rumyantseva engagiert sich bei Feine Ukraine, dem „Verein der deutsch-ukrainischen Zusammenarbeit“, wie sich die Organisation sich beschreibt. Die 30-Jährige ist an diesem Tag in das Hotel im Osten Hamburgs gekommen, um die Aussagen der verwundeten Soldaten zu übersetzen. Feine Ukraine wurde 2011 ins Leben gerufen, um ukrainische Migrantinnen und Migranten in Hamburg zu unterstützen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 konzentriert sich der Verein auf die Hilfe für die Geflüchteten – und eben auch für verwundete Soldaten.

Die Freiwilligen übersetzen für die Soldaten. Sie machen Termine für sie und fahren sie dorthin, sie organisieren Dokumente oder unternehmen Ausflüge. „Wir betreuen sie von der Ankunft bis zur Rückkehr“, sagt Rumyantseva. Vor 24 Jahren ist sie als Kind mit ihrer Mutter nach Hamburg gekommen, ihre Großmutter war damals bereits in Deutschland. Erst im April vergangenen Jahres ist sie das erste Mal wieder in die Ukraine gereist. Einen davor geplanten Besuch vereitelte der russische Überfall, der auch ihr Leben stark beeinflusst hat. Sie organisiert Kundgebungen, sie sammelt Spenden, sie kümmert sich um Geflüchtete – und um verwundete Soldaten.

Schreckliche Albträume plagen die Soldaten

Maksym Zelenenko ist einer davon. Ihn plagen schreckliche Albträume – so wie dieser: Er ist umgeben von gefallenen Kameraden, die dann aber weggehen. „Ich bin plötzlich ganz allein“, sagt er. In anderen Albträumen spüre er förmlich, wie er seine Waffe anlege und das Adrenalin seinen Körper flute. „Toktoktoktoktok“, stößt Zelenenko hervor – so schnell rase dann sein Herz. Wenn er aufwache, sei er schweißgebadet.

Zelenenko ist bei einem Einsatz nahe Robotyne in der Südukraine von einer Mörsergranate getroffen worden. „Ich wurde am Bauch und am Bein verletzt. Meine Gedärme hingen aus meinem Bauch heraus“, erinnert sich der 39-Jährige. „Das Bewusstsein habe ich nicht verloren. Es war, als hätte mich ein Vorschlaghammer getroffen.“

Vor seiner Verlegung nach Hamburg sei er 111 Tage lang in der Ukraine behandelt worden, sagte Zelenenko. 110 davon sei seine Ehefrau an seiner Seite gewesen. Nur dank ihr sei er an seinem Trauma nicht zerbrochen. Inzwischen sei er mehrfach operiert worden, in sein Bein sei eine Metallplatte eingesetzt worden. Fortbewegen kann er sich nur auf Krücken. „Es wird ein sehr langer Weg, bis ich wieder normal gehen kann.“

Meine Familie ist in Dnipro, wo Raketen einschlagen, und ich bin hier.
Maksym Zelenenko, verletzter Soldat

Dennoch möchte er so bald wie möglich in seine Einheit zurück. „Ich bin an der Front, um unsere Frauen und Kinder zu beschützen“, sagt er. Kämpfen könne er mit seiner Verletzung zwar nicht, sagt er. „Aber ich kann mir vorstellen, Soldaten auszubilden oder sie psychologisch zu betreuen. Da weiß ich inzwischen, worauf es ankommt.“ Zelenenko ist überzeugt, dass Russland andere Länder in Europa angreifen wird, sollte die Ukraine den Krieg verlieren. „Ich will nicht, dass deutsche Frauen und Kinder irgendwann das erleiden müssen, was gerade in der Ukraine geschieht.“

Zelenenkos Ehefrau, seine 15 Jahre alte Tochter und sein siebenjähriger Sohn sind in der Stadt Dnipro, die von Russland immer wieder mit Raketen beschossen wird. Bei einem tödlichen Angriff vor Kurzem habe er gedacht, „ich lasse hier alles liegen, fahre zurück nach Dnipro, schicke meine Frau und die Kinder außer Landes und schließe mich wieder meinem Bataillon an“. Es falle ihm schwer, mit der Ruhe in Hamburg klarzukommen, während in seiner Heimat Krieg herrsche. „Meine Familie ist in Dnipro, wo Raketen einschlagen, und ich bin hier“, sagt er. „Es sollte umgekehrt sein.“