„Hoffe, dass die Vernunft siegt“Wieso NRW der Ukraine so vielfältig verbunden ist
Bochum/Düsseldorf/Köln. – Die Russland-Krise betrifft auch die Menschen in NRW auf verschiedenen Ebenen. Schließlich bezieht Deutschland 50 Prozent seines Gases aus Russland, die Schalke-Spieler laufen mit einem Gazprom-Logo auf der Brust aufs Feld. Doch die Verbindungen von der Ukraine nach Nordrhein-Westfalen sind vielfältig: Sie knüpfen Bande ins kulturelle Leben, ermöglichen Schüleraustausche und Städtepartnerschaften.
Köln: Das Lew-Kopelew-Forum
„Toleranz, Moral, Menschlichkeit – die Ideale und Träume der deutschen und russischen Aufklärer sind keine wirklichkeitsfremden Utopien. Sie sind Wegweiser für unsere Gegenwart und Zukunft." Mit diesem Zitat seines Namenspatrons wirbt das Lew-Kopelew-Forum in Köln für sein Programm. Seit 1999 steht das Forum im Geiste des Schriftstellers und Menschenrechtsaktivisten für kulturellen Austausch und west-östliche Begegnung. Lew Kopelew wurde 1912 in Kiew geboren; 1981 zog er nach seiner Ausbürgerung durch das Sowjet-Regime nach Köln, in die Heimatstadt seines Freundes Heinrich Böll.
Als „eine Stimme für ganz Osteuropa“ bezeichnet Fritz Pleitgen das Forum am Kölner Neumarkt. Der ehemalige Intendant des WDR und langjährige Moskau-Korrespondent ist Ehrenvorsitzender des Vereins, die Ereignisse rund um Luhansk und Donezk verfolgt der 83-Jährige „gespannt, aber mit einiger Besorgnis“. „Alle Ermahnungen haben nichts genutzt“, so Pleitgen im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ – „beide Seiten schieben sich die Schuld zu.“ Kultur immerhin, für die auch das Kopelew-Forum steht, sei ein probates Mittel der Verständigung: „Kultur ist etwas, das die Staaten nicht auseinanderbringt, sondern zusammenführt“, sagt Pleitgen.
Düsseldorf: Die Stadt des Konsulates
In der Düsseldorfer Immermannstraße befindet sich das Konsulat der Ukraine. Neben Verwaltungsaufgaben wie der Erteilung von Visa und Pass-Angelegenheiten kümmert es sich um die Kontaktpflege zu ukrainischen Vereinen in Nordrhein-Westfalen. 2017 wurde etwa in Köln die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft „Blau-Gelbes Kreuz“ gegründet, ein staatlich anerkannter gemeinnütziger Verein, der die Entwicklung der Demokratie in der Ukraine fördern will und sich ums Kriegsopfer kümmert.
Die Konsulin Iryna Shum berichtet von Cyberangriffen auf ihr Haus, unter anderem ist der E-Mail-Verkehr gestört. "In den letzten Monaten, seit der russische Präsident seine Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren lässt, sprechen uns natürlich sehr viele Menschen an", berichtet sie dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "In den letzten Tagen ganz massiv. Die Anfragen beziehen sich meistens auf Möglichkeiten, den Ukrainern zu helfen. Viele Menschen bekunden ihre Solidarität und Unterstützung gegenüber dem ukrainischen Volk angesichts dieser massiven russischen Aggression, die leider nun schon acht Jahre dauert." Es gebe unterschiedliche Möglichkeiten für die Deutschen, der Ukraine zu helfen, so Shum. Man könne sich an Kundgebungen und Solidaritätsaktionen beteiligen und öffentlichen Druck auf die russische Führung ausüben.
Für März und April hat das Konsulat zusammen mit seinen Partnern wie dem Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus, den Stadtbüchereien, der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und dem Lew Kopelew Forum Köln eine Reihe von Veranstaltungen geplant. Dabei handelt es sich um Gespräche mit ukrainischen Intellektuellen, Buchpräsentationen und Diskussionen, um den Menschen in NRW die gegenwärtige Ukraine näherzubringen. "Mir als Generalkonsulin hier in NRW ist es wichtig, dass die Menschen verstehen, dass der Krieg heute nicht nur von Russland gegen die Ukraine geführt wird, sondern vom Autoritarismus gegen die Demokratie", sagt Iryna Shum.
Bochum: Seit 35 Jahren Partnerstadt von Donezk
Vier Städte in Nordrhein-Westfalen pflegen Partnerschaften in der Ukraine. Oberhausen ist seit 1986 Partnerstadt von Saporischschja, Viersen seit 1996 von Kaniw, Düren schloss 2001 die Partnerschaft mit Stryj. Am meisten wird jedoch derzeit von Bochums Partnerstadt geredet: Donezk, fünftgrößte Stadt der Ukraine.
Waltraud Jachnow sagt, sie sei „fassungslos“ gewesen, als sie Montagnacht die Nachrichten verfolgte. Noch am Abend habe sie Kontakt mit Freunden aus Donezk gehabt, so die Ehrenvorsitzende des Gesellschaft Bochum-Donezk. Die Unabhängigkeitserklärung von Luhansk und Donezk durch Putin, der völkerrechtliche Verstoß, das alles habe in der Luft gehangen, es sei nicht ganz überraschend gekommen. „Dieser Anspruch auf die Ukraine, den Putin in seiner Rede erhoben hat – das hat uns wirklich entsetzt.“
Seit 35 Jahren pflegt Bochum eine Städtepartnerschaft mit der ostukrainischen Stadt Donezk. „Was zurzeit in der Ukraine, insbesondere im Gebiet um unsere ukrainische Partnerstadt Donezk passiert, erfüllt mich und die Bochumerinnen und Bochumer mit allergrößter Sorge und Bestürzung“, sagt Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch am Dienstag in einem Statement. „Unsere Solidarität gilt sowohl den Menschen vor Ort als auch denen, die bereits vertrieben worden sind.“ Angesichts der zuspitzenden Entwicklungen habe Eiskirch die Generalkonsulin der Ukraine eingeladen, um Möglichkeiten der Unterstützung zu besprechen.
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Die Idee für die Städtepartnerschaft entstand an den Gräbern der hier bestatteten Zwangsarbeiter aus dem zweiten Weltkrieg, sagt Jachnow. Eine Partnerstadt in der Sowjetunion – dies, hofften die Initiatoren, könne ein Zeichen der Versöhnung senden. Weil der Donbass genau wie das Ruhrgebiet als Kohlerevier und Bergbaugegend bekannt ist, fiel die Wahl auf Donezk. Seither besuchten sich Schülerinnen und Schüler aus beiden Städten im Rahmen von Austauschprogramme, die Gesellschaft Bochum-Donezk brachte Medikamente für leukämiekranke Kinder in die ukrainische Stadt, mit dem Projekt „Essen auf Rädern“ versorgten sie alte Menschen. „Man hofft ja, dass solche Freundschaften Friedensprozesse fördern“, sagt Jachnow. „Leider ist das nicht immer der Fall.“
Die Schüleraustausche und persönlichen Besuche brachen mit dem Krieg 2014 fast komplett ab. Hilfslieferungen der Gesellschaft Bochum-Donezk werden seither von Separatisten und der ukrainischen Regierung erschwert, aber nicht verhindert. Der enge Kontakt jedoch blieb zu den Menschen in Donezk und jenen, die aus dem Separatistengebiet flohen.
Waltraud Jachnow sagt, sie sei eine Optimistin. Eigentlich. Aber dass Austausche, eine gelebte Städtepartnerschaft mit Donezk wie vor 2014 bald wieder zurückkehren – das bezweifelt sie sehr. Sie habe immer gedacht, dass es eine Lösung geben wird, sagt sie. Eine, mit der zwar nicht alle zufrieden sind, aber die wenigstens eine Lösung ist. „Aber jetzt ist ein Grad der Eskalation erreicht, der mich erschaudern lässt“, sagt Jachnow. „Ich hoffe, dass die Vernunft siegt und wir wieder begreifen, dass bei solchen kriegerischen Auseinandersetzungen die Bevölkerung als Verlierer dasteht.“
Politische Freundschaften, NRW
Josef Neumann ist Vize-Chef der Parlamentariergruppe NRW-Polen-Mittelosteuropa und Mitglied im Ausschuss für Europa und Internationales. Die Politiker reisten 2019 nach Kiew und informierten sich über die Situation. „Es darf jedenfalls nicht passieren, dass sich der Russland-Ukraine-Konflikt auch zwischen den Menschen hier bei uns entzündet", sagt Neumann mit Blick auf die hohe Zahl an Bürgern mit osteuropäischen Wuzeln in NRW. „Friedliche Solidaritätsbekundungen sind dagegen etwas anderes. Ich würde mir wünschen, dass die Beteiligung daran jetzt deutlich zunehmen wird. Mich wundert, dass sich bislang offenbar nur wenige Deutsche für die Lage interessiert haben, obwohl das Krisengebiet nur zwei Flugstunden entfernt ist.“