In der Ukraine-Debatte kommt der US-Präsident dem russischen plötzlich in allen Punkten entgegen. Warum hat Putin so viel Einfluss in Washington?
Verdacht erhärtetWird Donald Trump von Wladimir Putin gesteuert?

Wladimir Putin (l.) und Donald Trump bei einem Treffen am Randes des G20-Gipfels in Hamburg im Juli 2017
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Ein amerikanischer Präsident kündigt an, er wolle Frieden schaffen in einer Region, in der seit drei Jahren Krieg herrscht: Normalerweise wäre so etwas eine gute Nachricht für den gesamten Globus.
Im Fall von Donald Trump allerdings liegen die Dinge anders.
Dass Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus erst demütigte und dann sogar rauswarf, machte ganz Europa fassungslos. „Frieden scheint für den US-Präsidenten zu bedeuten, Wladimir Putin die Ukraine zu überlassen“, analysiert der frühere deutsche Außenminister Sigmar Gabriel.
Die Schockwellen gehen nicht nur durch Europa, sondern durch die gesamte freie Welt, bis in den Pazifik. Entsetzt warnt Japans Premier vor einer Spaltung der G7-Staaten, die sich doch bisher immer einig gewesen seien. Australiens Regierungschef verkündet trotzig: „Wir stehen weiter an der Seite der Ukraine.“
„Da ist ein Drehbuch abgespielt worden“
Warum, fragen sich Staatskanzleien wie Privatleute rund um den Globus, hackt Trump öffentlich auf dem Präsidenten eines von Russland völkerrechtswidrig angegriffenen Landes herum – während er gleichzeitig für den Kriegsherrn im Kreml nur noch freundliche Worte findet?
„Das war geplant, da ist ein Drehbuch abgespielt worden“, sagt der Kölner Politologe Thomas Jäger. Die USA hätten die Seiten gewechselt: „Sie stehen jetzt, wenn es um die Gestaltung der europäischen Nachkriegsordnung geht, an der Seite Russlands.“
In der Tat geht es um mehr als nur eine situative Entgleisung. Trump selbst gab in jüngster Zeit immer wieder Hinweise auf eine Weltsicht, die nirgendwo im Westen geteilt wird. Auf Putins Wort könne man sich verlassen, verkündete Trump mit eigentümlichem Trotz – und erntete Kopfschütteln von Unzähligen in aller Welt, die es besser wissen.
Steht Trump allzu sehr unter dem Einfluss Russlands? Wird er gar auf unsichtbare Weise von Putin gesteuert? Fünf Punkte addieren sich zu einem für den US-Präsidenten ungünstigen Gesamtbild.
1. Immer neue Aufträge aus Moskau - seit 1987?
Unbestritten ist, dass Putin im Jahr 2016 Trump durch massive inhaltliche Beeinflussung von Social Networks im Wahlkampf gegen die Demokratin Hillary Clinton geholfen hat. Das ergab eine Untersuchung durch das US-Justizministerium. Ein überparteilicher Senatsausschuss stellte zudem fest, dass Russland sogar Cyberattacken auf Amerikas technische Wahlinfrastruktur organisierte.
Vergleichbare Untersuchungen will Trump jetzt nach seinem zweiten Wahlsieg verhindern. Gleich an ihrem ersten Arbeitstag musste Justizministerin Pam Bondi ganze Fachabteilungen, die erst jüngst wieder erstaunliche russische Manipulationen entdeckt hatten, auflösen. Es sei klar, wem dies alles nütze, stellte die liberale Journalistin Rachel Maddow im Fernsehsender NBC fest: Putin.
Zu den Eigentümlichkeiten dieser Tage gehört, dass zeitgleich der neue Verteidigungsminister Pete Hegseth angewiesen wurde, jede Vorbereitung von amerikanischen Cyberangriffen auf Russland zu unterbinden. Kritiker glauben, seit dem Machtwechsel am 20. Januar 2025 sei mit großer Eile ein Auftragszettel aus Moskau abgearbeitet worden.
Schon früher Verdacht auf Russland-Verbindungen Trumps
Schon vor knapp vier Jahrzehnten kam in den USA erstmals der Verdacht auf, Trump erledige Aufträge aus Moskau. Trump, damals Immobilienunternehmer, gab im Jahr 1987 nach eigenen Angaben 94.801 Dollar für eine Anzeigenkampagne aus, die damals viele verblüffte: Auf ganzen Zeitungsseiten, etwa in der „New York Times“, warb Trump für einen militärischen Rückzug der USA aus dem Rest der Welt. Nachfragen von Medien, ob er sich auf einen Präsidentschaftswahlkampf vorbereite, verneinte Trump seinerzeit.
Amerikanische Steuergelder, sagte Trump aber schon damals, sollten nicht zur Verteidigung ferner Verbündeter eingesetzt werden. Und schon damals freute sich Moskau. Denn ganz anders als US-Präsident Ronald Reagan, der im selben Jahr an der Berliner Mauer rüttelte („Tear down this wall“), stellte der reiche New Yorker Querdenker Trump generell den weltweiten Einsatz der USA für Freiheit und Demokratie infrage.
Wie kam es zu dieser seltsamen Diskrepanz zwischen republikanischen Parteifreunden? Lag es daran, dass Trump zu jener Zeit gerade in Moskau Verhandlungen über große Hotelprojekte führte?
In diversen Aufsätzen, Interviews und Büchern wird behauptet, die russische Mafia habe Trump damals aus Geldnöten geholfen. Auch von Geldwäsche ist die Rede. Der Geheimdienst KGB habe zu Geduld geraten beim „Kultivieren dieses wertvollen Aktivpostens“.
Sind das alles nur Verschwörungstheorien, befeuert von Gegnern des US-Präsidenten? Oder steckt mehr dahinter?
Bei der Nähe Trumps zu Moskau ist es jedenfalls geblieben. Mitarbeitern fiel auf: Schon viele andere Führungspersönlichkeiten aus aller Welt hat Trump verhöhnt, Putin nie. Mit Blick auf ihn wird Trump immer seltsam still. Zuletzt, bei Anbahnung der Gespräche über die Ukraine, kam Trump dem Mann im Kreml kurioserweise sogar Punkt für Punkt entgegen, noch bevor die Verhandlungen begonnen hatten. Eine Nato-Mitgliedschaft zum Beispiel könne Kiew „vergessen“, sagte Trump. Auch soll die Ukraine im Fall eines Friedensabkommens keine militärische Absicherung durch die USA bekommen.
John Bolton, Sicherheitsberater im Weißen Haus in Trumps erster Amtszeit, gab an diesem Wochenende in einem Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) eine düstere Einschätzung ab: „Trump folgt offenkundig den Einflüsterungen Putins.“
2. Die häufigen Geheimgespräche mit Putin
In seiner Rede zur Amtseinführung am 20. Januar 2025 sagte Trump: „Mein stolzestes Vermächtnis wird das eines Friedensstifters sein.“
„Wird … sein“: Trump formulierte den Satz auffallend steil. Andere, die sich an ein so schwieriges Projekt wie ein internationales Friedensabkommen wagen, wären da zurückhaltender gewesen. Bei Trump hörte es sich so an, als sei eine Sache auf dem Gleis, die er nur noch lässig ins Ziel fahren müsse.
Woher nahm er den Optimismus? War es Selbstgewissheit pur? Der US-Präsident, das weiß man, betrachtet sich selbst als genialen Verhandler. Im Wahlkampf hatte er geprahlt, er brauche nur 24 Stunden für ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine. Offenbar beflügelte ihn eine Faktenlage, die nur er selbst kannte: In einer Reihe von informellen Telefongesprächen hatte ihm Putin persönlich Friedensverhandlungen im Ukrainekonflikt angeboten.
Trump telefonierte oft mit Putin
Wie viele Telefongespräche Trump mit Putin bereits zu diesem Thema hatte, schon im Wahlkampf und auch vor seiner Amtseinführung, bleibt geheim. Auf eine entsprechende Frage der „New York Post“ entgegnete Trump: „Das sage ich lieber nicht.“
Trieb ihn Nationalismus? Oder Narzissmus? Verdacht jedenfalls erregte Trump in Europa und in Kanada schon dadurch, dass er seine jüngsten Moskau-Kontakte auch gegenüber bisherigen engsten Verbündeten der USA geheim hielt. Nicht mal der Nato-Generalsekretär war vorab informiert, als Trump verkünden ließ, er und Putin seien einig, schon in Kürze mit Friedensverhandlungen zu beginnen.
Trump, glauben Beobachter in Washington, träume bereits von einem Flug mit der Air Force One nach Russland, gefolgt von großem Trommelwirbel in Moskau. Kritiker schütteln sich angesichts dieser Aussichten - und verweisen auf das ebenso pompöse wie ergebnislose Treffen Trumps mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un im Jahr 2018.
3. Die Schmeicheleien aus dem Kreml
Mit Händen zu greifen ist die Psychotaktik, die der gelernte KGB-Offizier Putin im Fall Trump anwendet: Er schmeichelt ihm. Gegenüber dem Narzissten im Weißen Haus kann man dabei überraschend weit gehen, ohne dass der es merkt.
Stolz postete Trump, er und Putin hätten inzwischen eine gemeinsame Lieblingsvokabel: „Präsident Putin hat sogar mein Wahlkampfmotto ‚Common Sense‘ verwendet. Wir glauben beide sehr stark daran.“ Trump gefällt es auch, dass Putin ihm bescheinigte, mit ihm im Weißen Haus hätte es selbstverständlich keinen russischen Einmarsch in die Ukraine gegeben. Fast jeden Tag legt die Trump diese Platte auf.
„Common sense“ wird meist mit „gesunder Menschenverstand“ übersetzt. Trump selbst macht davon wenig Gebrauch. Sonst ginge ihm auf, dass ihm der Russe, der ihn sogar schon ein Genie nannte, ganz offensichtlich Komplimente macht, um ihn dann in seinem Sinne zu beeinflussen.
Schon seit vielen Jahren warnt Trumps einstiger Berater Bolton vor der extremen Empfänglichkeit seines früheren Chefs für Schmeicheleien aller Art. Putin habe eine Art entwickelt, mit Trump zu spielen „wie auf einer Geige“. Dass Putin jetzt ausschließlich mit Trump verhandeln wolle, nicht aber mit Selenskyj, sei völlig logisch: „Mit Trump ist es leichter.“
4. Das kühl kalkulierte Timing von Putin
Trump betrachtet die enger gewordenen Kontakte zu Putin als seine eigene diplomatische Meisterleistung. Viele sagen, Trump sehe sich auf dem Weg zum Friedensnobelpreis. Dass der Russe in Wirklichkeit gerade sein ganz eigenes kühl kalkuliertes Timing durchsetzt, bleibt Trump verborgen.
Drei Jahre lang hat Putin es vermieden, sich auf Friedensgespräche einzulassen. Eiskalt ließ er noch im Juni 2024 einen Appell von 78 Nationen verhallen, die bei einer weltweiten Friedenskonferenz in der Schweiz die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine verlangten.
Dass Putin sich ausgerechnet jetzt auf einmal dem Weißen Haus zuwendet und über eine Friedensregelung reden will, liegt allein am Amtsantritt Trumps: Mit diesem Präsidenten glaubt Putin, ein Abkommen aushandeln zu können, das – egal, ob es Frieden bringt oder nicht, – den Westen politisch noch weiter auseinandertreibt.
5. Das „Friss, Vogel, oder stirb“-Szenario
Der Clou aus Sicht des Kremls ist: Russland kann in Verhandlungen mit Trump über die Ukraine getrost unerfüllbare Forderungen stellen. Denn gerade ein für die Ukraine unannehmbares und praktisch nicht umsetzbares Abkommen könnte Moskau politisch nützlich sein.
Vor exakt diesem Szenario warnt bereits der frühere litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis: „Trump könnte es den Europäern vor die Tür werfen und sagen: Friss, Vogel, oder stirb.“
Quer durch die EU-Staaten würde in diesem Fall eine Kontroverse beginnen, an deren Ende Russland als Gewinner dastehen könnte: Ist ein unvollkommenes Friedensabkommen nicht besser als gar keins?
Die gleiche Debatte droht auch innerhalb der Ukraine selbst. Sie könnte am Ende sogar den in Moskau verhassten Staatschef Selenskyj ins Wanken bringen. Sollte Selenskyj scheitern, warnt der deutsche Politikwissenschaftler und Kriegshistoriker Herfried Münkler, wäre das „eine politische Katastrophe“.
So oder so aber würde Moskau, ganz nach alter Schule des KGB, Zwietracht im Lager des Feindes säen. Den Pro-Putin-Parteien quer durch Europa, etwa der rechtspopulistischen AfD und dem linkspopulistischen BSW in Deutschland, würde sich auf diese Art neues Futter bieten. Die russlandkritischen Parteien der Mitte dagegen könnten in die Defensive geraten.
In der Exilzeitung „The Moscow Times“ beschrieb der frühere russische Diplomat Boris Bondarev bereits das zu erwartende Szenario. Alle, die an der Seite Kiews bleiben und ein von Trump und Putin ausgehandeltes untaugliches Abkommen ablehnen, müssten sich darauf einstellen, als Kriegstreiber bezeichnet zu werden. „Unterdessen wird Putin lächelnd behaupten, er habe sein Bestes getan.“
Das russische Staatsfernsehen ist unterdessen bereits vom Lächeln zum Lachen übergangen. Hämisch hielt Moderator Evgeny Popov fest, es sei doch stets die Strategie Russlands gewesen, das Bündnis zwischen Europa und den USA zu „zersägen“ - jetzt aber mache Trump es selbst. „Er erledigt Russlands Job.“