AboAbonnieren

X in Brasilien gesperrt„Tech-Bosse fühlen sich nicht mehr an staatliche Regeln gebunden“

Lesezeit 5 Minuten
Elon Musks Social-Media-Plattform X ist in Brasilien gesperrt, weil sie nicht entschlossen genug gegen Hassrede und Fake News vorgeht.

Elon Musks Social-Media-Plattform X ist in Brasilien gesperrt, weil sie nicht entschlossen genug gegen Hassrede und Fake News vorgeht.

Der Kölner Medienwissenschaftler Martin Andree erklärt im Interview, wie Social-Media Plattformen manipulieren und warum der Telegram-Chef zu Recht verhaftet wurde.

Brasilien hat die Social-Media-Plattform X sperren lassen, weil der Dienst nicht entschlossen genug gegen die Verbreitung von Hassrede und Fake News vorgeht. Wäre es auch für andere Länder sinnvoll, politisch gegen X vorzugehen? X-Chef Elon Musk macht ja mittlerweile etwa unverhohlen Werbung für Donald Trump.

Martin Andree: Allein daran erkennt man, dass die Selbstdarstellung der Plattformen, sie seien „nur“ neutrale Schnittstellen, völliger Unsinn ist. Seitdem sie existieren, manipulieren die Plattformen den Traffic – sicherlich in den meisten Fällen zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil. Sie sind nicht neutral. Wenn Musk jetzt selbst politische Positionen bezieht, einen Präsidentschaftskandidaten promotet und seine eigenen Posts in der Sichtbarkeit verstärken lässt, sollte auch sehr naiven Menschen klar sein, dass Plattformen lügen, wenn sie behaupten, sie seien neutral. Ich denke schon, weil es auch hier darum geht, unsere eigene Souveränität als Gesellschaft zurückzugewinnen.

Musk sieht sich als Vertreter radikaler Meinungsfreiheit. Lassen Sie das Argument gelten?

Es handelt sich leider um eine ziemlich unterkomplexe Position. Jeder weiß, dass Freiheiten immer begrenzt werden von anderen Freiheiten. Ich darf andere Menschen nicht absichtlich schädigen, etwa durch Verleumdung oder Beleidigungen. Besonders schlimm ist, dass diese angebliche Verteidigung der „Meinungsfreiheit“ durch die Plattformen jetzt unisono mit ganz ähnlichen Formulierungen von den Rechten instrumentalisiert wird – denn diese angebliche Freiheit hilft ihnen bei der Polarisierung unserer Gesellschaft.

Der Telegram-Chef ist kürzlich sogar in Frankreich verhaftet worden, weil er sich weigert, Kontakte von Straftätern in seinem Messenger rauszugeben. Ein richtiger Schritt?

Ich denke schon, weil es auch hier darum geht, unsere eigene Souveränität als Gesellschaft zurückzugewinnen. Das Verhalten der Tech Bosse zeigt offen, dass sie sich an staatliche Regeln und Prozesse nicht mehr gebunden fühlen. Ich denke, wir sollten da schon klare Kante zeigen: Niemand steht über dem Gesetz, das wir uns als Bürger in einer Demokratie selbst geben.

Er zeigt sich überrascht, für Inhalte verantwortlich gemacht zu werden, die andere Menschen teilen. In der Tat verbreiten die Plattformen die Inhalte ja nur. Hat er also recht?

Bei Telegram wurde immer wieder eine mangelhafte Zusammenarbeit und Kooperation mit Behörden angemahnt. Hier geht es nicht um Kleinigkeiten, also inhaltlich etwa um Drogenhandel, Betrug, Kindesmissbrauch oder Geldwäsche. Dass Telegram sich einem Zugang durch staatliche Behörden absichtlich entzieht, ist offensichtlich.

Die AfD war bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen sehr erfolgreich und droht aktuellen Umfragen zufolge auch bei der Landtagswahl in Brandenburg stärkste Kraft zu werden. Welchen Anteil haben die sogenannten sozialen Netzwerke an diesem Erfolg?

Wir erleben insgesamt einen Medienwechsel – hierbei werden die Plattformen zunehmend zu Leitmedien, auf ihnen findet oft das Agendasetting statt. Dass neue Parteien den vollen strategischen Fokus auf die Plattformen setzen, ist verständlich – hier können sie die etablierten Parteien viel leichter überholen, zumal sich hier ja immer mehr Menschen versammeln, die in Bezug auf redaktionelle Medien skeptisch sind – bis hin zu Verschwörungstheorien, diese seien vom Staat zensiert. Hinzu kommt, dass die Plattformen polarisierende Inhalte quasi belohnen. Alle diese Faktoren verstärken sich gegenseitig und erklären die aktuelle Dominanz dieser Parteien auf den Plattformen, und das schlägt sich jetzt auch in den Wahlen nieder.

Martin Andree

Martin Andree

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und Friedensforderungen haben im Wahlkampf bei AFD und dem BSW eine große Rolle gespielt. Jetzt haben die US- Behörden Dokumente sichergestellt, die eine russische Fake-News-Kampagne in Europa belegen. Sehen Sie einen Zusammenhang?

Tatsächlich ist die Ablehnung der Unterstützung für die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg in den Inhalten der AfD sowie auch beim BSW ein zentrales Thema. Dass russische Desinformations-Kanäle diesen Resonanzraum aufgreifen, um die Polarisierung zu verstärken sowie die westliche Unterstützung für den Krieg zu untergraben, ist naheliegend – deswegen unterstützen sie die AfD im digitalen Raum.

Russland hat auch die erfolgreiche Wahl von Donald Trump 2016 in den USA durch Falschinformationen beeinflusst. In einem Jahr ist Bundestagswahl. Was muss jetzt passieren?

Wir müssten die Grundprobleme lösen. Plattformen dürfen bis heute strafbare Inhalte zu Geld machen. Wir könnten festlegen: Sobald konkrete Inhalte zu Monetarisierung führen, haftet auch die Plattform. Solche Regeln würden die Diskurse im Netz sofort zivilisieren, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken.

Gerade die Afd ist bei Tiktok überdurchschnittlich erfolgreich und beeinflusst damit vor allem Jüngere. Warum ist sie dort so erfolgreich?

Das Problem ist für Parteien dasselbe wie zum Beispiel auch für die Redaktionen. Die Algorithmen der Plattformen boosten das Sensationelle, kümmern sich nicht um Wahrheit, sie lieben Polarisierung, belohnen also Hass, Hetze und Häme. Radikale Positionen haben es hier besonders leicht – dagegen wirken moderate, balancierte, überlegte Positionen im Netz eher langweilig und öde. Etablierte Parteien wie Redaktionen sind im Nachteil – wenn sie nämlich genauso schrill, zynisch, grell oder sogar falsch daherkommen, sagen die Leute: „Ich bin total schockiert, wie so etwas von der SPD oder vom ZDF kommen kann.“

Sind sich die Politikerinnen und Politiker der etablierten Parteien hinreichend bewusst, dass Wählerentscheidungen zunehmend in den sozialen Medien beeinflusst werden – und das nicht zu ihren Gunsten?

Sie wissen es alle, sie suchen alle seit Jahren nach Lösungen, aber sie kämpfen alle mit den genannten Schwierigkeiten. Daran wird auch das Grundproblem unserer politischen Öffentlichkeit deutlich: Die Politiker, aber zum Beispiel auch die Medien müssen sich nach den Regeln der digitalen Aufmerksamkeit richten, die sich die Digitalkonzerne ausdenken. Wir haben unsere digitale Souveränität längst verloren, weil wir hier gar nicht mehr als Gesellschaft mitbestimmen dürfen.

Was kann jeder und jede tun? Netzwerke boykottieren ist ja keine Option.

Mein Buch heißt „Big Tech muss weg“, weil klar ist: Wir müssen diese digitale Herrschaft über die Öffentlichkeit durch die Plattformen stoppen. Wir müssen als Demokratie dafür sorgen, dass das Internet und die Algorithmen von den Menschen gestaltet werden, nicht von den Konzernen. Die Erfahrung zeigt tatsächlich, dass die vielen Boykotte nichts bringen unter den Bedingungen der Digitalmonopole.


Prof. Martin Andree unterrichtet digitale Medien an der Uni Köln; zum Thema erschien von ihm das Buch „Big Tech muss weg! Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft – wir werden sie stoppen“ (Campus 2023).