Eine stille Pandemie fordert jedes Jahr eine Million Menschenleben weltweit. Ein Kölner Professor erklärt, was es mit der „Antimicrobial Awareness Week“ auf sich hat.
Wenn Antibiotika nicht mehr helfenWarum in Deutschland Zehntausende an multiresistenten Keimen sterben
Die Pandemie ist längst im Gange. Sie fordert jährlich mehr als eine Million Menschenleben, allein in Deutschland im Jahr 10.000 bis 50.000. Die verursachten Kosten für das deutsche Gesundheitssystem liegen bei drei Milliarden Dollar jährlich. Wissenschaftliche Studien zu resistenten Keimen malen ein düsteres Bild.
Jan Rybniker, Professor für Klinische Infektiologie an der Uniklinik Köln, spricht von einer „stillen Pandemie“. Um für einen verantwortungsvollen, zielgerichteten Umgang mit Antibiotika zu sensibilisieren, ruft die WHO Ende November die „Antimicrobial Awareness Week“ aus.
Dass Bakterien sich unbeeindruckt zeigen von Antibiotika, die erfunden wurden, um sie abzutöten, schuldet sich laut Rybniker der normalen Entwicklung der Evolution. „Auch einige Jahre nachdem das Penicillin erfunden wurde, konnte man schon Keime beobachten, die sich so verändert haben, dass ihnen Penicillin eben nichts mehr anhaben konnte“, sagt Rybniker, der den Schwerpunkt für klinische Infektiologie an der Uniklinik leitet und stellvertretender Sprecher des dortigen Centrums für Infektionsmedizin (CIM) ist. Der unsachgemäße Einsatz von Antibiotika kann jedoch zusätzlich die Geschwindigkeit erhöhen, mit der sich Keime gegen die medikamentösen Gegner wappnen.
Antibiotika-Entwicklung ist sehr aufwändig und lohnt finanziell kaum
Die Mutationsgeschwindigkeit der Keime abzubremsen sei auch deshalb wichtig, weil „die Entwicklung neuer Antibiotika der Resistenzbildung hinterherhinkt“, sagt Rybniker im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Grund liegt dem Experten zufolge vor allem in der Komplexität der Aufgabe, mit der sich ein vergleichsweise geringer finanzieller Gewinn erwirtschaften lasse.
Zwar gibt es, so der Experte, zunehmend kleinere Unternehmen und Wissenschaftler, die nach innovativen Lösungen forschen; die großen Pharmafirmen, die genügend Geld hätten, um das Projekt auch bis zur Marktreife zu begleiten, sind aber überwiegend aus der Antibiotika-Forschung ausgestiegen. „Das ist einfach nicht lukrativ“, sagt Rybniker. „Ein Medikament für beispielsweise chronisch kranke Herzpatienten, das ein Leben lang eingenommen werden muss, bringt natürlich mehr Geld als ein Antibiotikum, das ja möglichst kurz und selten eingesetzt werden soll.“ Abhilfe schaffen könnten politische Deals mit Pharmafirmen. „Es gibt zum Beispiel die Überlegung, eine Verlängerung des Patentschutzes für lukrative Medikamente mit der Verpflichtung zu verknüpfen, das erwirtschaftete Geld in die Neuentwicklung von Antibiotika zu stecken“, sagt Rybniker. Die Investition sei lohnenswert.
Denn: Neben der Gefahr für Leib und Leben verschlingen Antibiotikaresistenzen viel Geld. „Wenn wir einen multiresistenten Keim im Krankenhaus entdecken, dann muss der Patient oder die Patientin in ein Einzelzimmer verlegt werden, alle pflegerischen und medizinischen Leistungen erfordern dann häufig Masken, Einmalkittel oder anderen erhöhten Aufwand.“ Die Kosten belasteten das Gesundheitssystem.
Infektionsrisiko in Kliniken am größten
Die gute Nachricht: Nicht für alle Menschen sind multiresistente Keime eine Gefahr. Wer jung und gesund ist und ein solches Bakterium vielleicht nur in der Nasenschleimhaut mit sich herumträgt, kommt Rybniker zufolge damit meist gut zurecht. Gefährlich wird die Sache vor allem für Patienten im Krankenhaus, also zum Beispiel für Menschen, die operiert werden müssen oder chronisch Erkrankte. „Hier ist der Hotspot der Übertragung, hier ist das Risiko der Infektion hoch.“
Um diese Übertragungen zu verhindern, wurden in den letzten Jahren zahlreiche Gegenmaßnahmen entwickelt, die Patientinnen und Patienten im Krankenhaus schützen sollen. So werden Erkrankte, die mit dem Gesundheitssystem anderer Länder in Kontakt waren, in denen multiresistente Keime noch verbreiteter sind als in Deutschland, zunächst isoliert und auf diese Keime untersucht.
Erkältet? Da nützen Antibiotika meist ohnehin nicht
Um die Lage zu verbessern, könne der Patient auch selbst aktiv werden. „Es wäre schon ein guter Schritt, wenn Menschen mit einer leichten Erkältung beim Hausarzt nicht direkt ein Rezept für ein Antibiotikum verlangen würden“, sagt Rybniker. Sei eine Krankheit von Viren verursacht, was bei den meisten Erkrankungen der oberen Atemwege der Fall sei, nütze der Einsatz von antibakteriellen Medikamenten ohnehin nichts. Virale Infektionen besserten sich in der Regel nach wenigen Tagen.
Aber auch leichte Harnwegsinfektionen müssen nicht sofort antibiotisch behandelt werden. Erst wenn alternative Maßnahmen nicht helfen, rät der Experte dazu, ein entsprechendes Rezept nach Absprache mit dem Arzt einzulösen.
Abgesehen davon, dass man damit die Entwicklung von Multiresistenzen bremse, tue man auch dem eigenen Körper einen Gefallen, sagt Rybniker. „Je seltener wir Antibiotika einnehmen, desto mehr schützen wir unser Darmmikrobiom.“ Diese komplexe Lebensgemeinschaft im Darm besteht aus Viren und Pilzen, hauptsächlich aber aus Bakterienzellen. Das Mikrobiom hat starken Einfluss auf das Immunsystem, unterstützt also das natürliche Abwehrsystem gegen Krankheiten. Dieses nicht unnötig wegen eines Schnupfens durcheinander zu bringen, schützt also den eigenen Körper und die Effektivität unserer Antibiotika, die wir dringend gegen schwerere Infektionen benötigen.