„Alte Bande“Wie sage ich meinem Patenonkel, dass ich ihn nicht mehr sehen will?
- Was gibt es Schöneres und Wichtigeres im Leben als die Liebe? Wie wir sie finden, pflegen und sie uns erhalten; was geschieht, wenn sie vergeht oder wir sie verlieren – darum geht es in unserer PLUS-Kolumne „In Sachen Liebe“.
- Im wöchentlichen Wechsel beantworten die Psychotherapeuten Désirée Beumers, Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner sowie die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald Ihre Fragen rund ums Liebesleben, Sex und Kindererziehung.
- Diesmal erklärt Carolina Gerstenberg, was es bedeutet, den Kontakt zu einem Familienmitglied abzubrechen.
Köln – Ich bin seit meiner Jugend in losem Kontakt zu meinem Patenonkel (Schwager meines Vaters). Im Grunde ist er mir fremd geworden. Wir haben uns auch nicht mehr viel zu sagen. Aber er fordert weitere Treffen ein und gibt mir das Gefühl, ich müsse ihn „der alten Bande“ wegen weiterhin besuchen. Ich will das nicht mehr, habe dabei aber auch ein schlechtes Gewissen. (Stephan, 56)
Die Beziehung zu Ihrem Patenonkel scheint Sie zu belasten. Die „alten Bande“ sind in Ihrer Wahrnehmung zur Fessel geworden. Sie haben diese Situation offenbar schon gut reflektiert. Ich vermute aber, Sie haben sie noch nie direkt thematisiert. Wahrscheinlich fällt Ihnen der Gedanke schwer und Sie haben keine Idee, wie Sie Ihrem Patenonkel schonend beibringen könnten, dass Sie wenig oder kein Interesse mehr an gemeinsamen Treffen haben.
Carolina Gerstenberg
Carolina Gerstenberg, geb. 1983, ist psychologische Psychotherapeutin in Köln. Sie hat sich auf Traumatherapie und die Beratung von Paaren spezialisiert, bietet aber auch Unterstützung in anderen Fragen an.
Ich könnte mir vorstellen, dass Sie jetzt vor allem unter Ihrer fehlenden Authentizität leiden. Sich zu verstellen, ist für unsere Psyche auf Dauer schädlich. Hinzu kommt Ihre Ambivalenz: Einerseits möchten Sie den Kontakt beenden, andererseits spüren Sie den Anspruch Ihres Gegenübers, das mit Verweis auf die „alten Bande“ direkt oder indirekt an Ihr Pflichtgefühl appelliert. Dieses Ungleichgewicht könnte bei Ihnen zu Ärger und Frustration führen und Ihnen viel Energie rauben.
Loslassen alter Verbindungen kann erleichtern
Alte Verbindungen aktiv zu beenden, ist schwierig, vor allem dann, wenn diese familiärer Art sind und wenn eine der beiden Seiten mehr erwartet oder hinein interpretiert als die andere. Dennoch kann das Loslassen – bei allen entgegenstehenden Empfindungen wie Trauer oder schlechtem Gewissen – eine Erleichterung sein.
Machen Sie sich für eine solche Entscheidung Ihre Gefühlslage bewusst. Überlegen Sie, was Sie genau befürchten, wenn Sie sich zum Kontaktabbruch entschließen. Haben Sie Sorge vor der Kränkung Ihres Patenonkels? Was würde passieren, wenn es Gerede in der Familie gäbe? Gibt es vielleicht auch Wünsche Ihrerseits? Könnten Sie sich vorstellen, den Kontakt anders zu pflegen – mit Briefen, E-Mails, gelegentlichen Telefonaten? Oder könnten Begegnungen in einer anderen Konstellation, mit einer anderen Frequenz oder an einem anderen Ort für Sie doch bereichernd sein?
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So schwierig es auch sein mag, halte ich eine offene Aussprache für wichtig. Dabei sollten Sie ehrlich und einfühlsam Ihre eigene Gefühlslage, Gedanken und Wünsche in Worte fassen. Versuchen Sie, sich dabei auch in Ihren Patenonkel hineinzuversetzen. Er scheint an Ihrer gemeinsamen Vergangenheit festzuhalten. Aber wer möchte schon, dass ein anderer mit ihm nur „der alten Zeiten“ wegen zu tun hat? Ich jedenfalls nicht.
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Vielleicht hat er Ihr Desinteresse längst bemerkt und empfindet ein offenes Gespräch als klärend und entlastend. Dann können Sie gemeinsam überlegen, ob und wie Sie zukünftig Ihre Beziehung gestalten wollen. Sollten Sie sich ein offenes Gespräch nicht zutrauen, wäre ein Brief eine mögliche Alternative. Selbst wenn sich nicht die gehoffte Reaktion daraus ergibt, lohnt es sich, und Sie schaffen für beide Seiten klare Verhältnisse. Sie sorgen dadurch für Ihr eigenes seelisches Gleichgewicht. Das wird Ihnen gut tun und Sie weiter bringen. So können Sie auch mögliches Gerede in der Familie aushalten.
Das Ende einer alten Verbindung ist traurig. Es kann aber durch Ehrlichkeit und Offenheit zu sich selbst und dem Gegenüber erleichternd sein und neue Türen öffnen.