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Zwei Mütter aus Köln erzählenWas es für Familien bedeutet, jeden Tag zu wenig Geld zu haben

Lesezeit 8 Minuten
Dajana Boualem in ihrer Zweizimmerwohnung in Köln-Bilderstöckchen.

Dajana Boualem arbeitet als Pflegerin und lebt mit ihrer vierköpfigen Familie in einer kleinen Zweizimmerwohnung.

Jedes fünfte Kölner Kind wächst in Armut auf. Wie sieht der Alltag betroffener Familien aus? Zwei Mütter berichten.

„Besonders schwierig ist für mich, wenn mein Sohn ein Paar neue Schuhe braucht. In solchen Momenten denke ich mir oft: Hätte ich doch noch einen Zwanziger!“, berichtet Valerie H. „Ich würde auch gerne mehr mit ihm unternehmen. Doch Orte für Kinder sind oft teuer und das Geld würde uns beim Essen fehlen“, sagt die 27-Jährige, „deshalb sammle ich meine Pfandflaschen und lege mir das Geld zurück, um davon mal den Eintritt ins Schwimmbad zu bezahlen.“

Die Ausgaben immer im Blick behalten und stetig abwägen, das ist die tägliche Herausforderung für Valerie H. – die an dieser Stelle anonym bleiben möchte. Die alleinerziehende Mutter eines dreijährigen Sohnes aus Köln lebt unter der Armutsgrenze. Sie ist derzeit nicht berufstätig und bekommt staatliche Unterstützung. Der Unterhaltsvorschuss für das Kind und ihre Miete werden vom Amt übernommen und sie erhält Bürgergeld – wie derzeit jeder zehnte Kölner. „Ich bin sehr froh über diese Hilfen“, sagt sie, „aber wenn alle Grundkosten abgezogen sind, bleibt nicht mehr viel übrig.“

Viele Kölner Familien leben an oder unter der Armutsgrenze

Was sie schildert, ist Realität für viele Kölner Familien. Jedes fünfte Kind in der Stadt ist von Armut betroffen. Knapp 40.000 Kinder und Jugendliche erhielten im Jahr 2022 sogenannte Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. In einigen Kölner Stadtteilen sind sogar mehr als 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen auf Unterstützung angewiesen. Alleinerziehende wie Valerie H. sind eine besonders belastete Gruppe, ein Anteil von rund 45 Prozent erhält in Köln Sozialleistungen. Häufig betroffen sind auch Mehrkindfamilien und Familien mit Migrationshintergrund.

Soweit die Zahlen und Fakten. Im Detail hat Armut ganz viele Gesichter und Ausprägungen. Die Situation der Familien ist höchst individuell. Jede hat unterschiedliche soziale Ressourcen und geht anders mit der erlebten Armut um. Auch deshalb ist es so wichtig, die Familien kennenzulernen und selbst erzählen zu lassen.

Ausflüge und Geschenke nur mit finanzieller Hilfe des Umfelds

„Ich versuche, im Alltag das Beste aus der Situation zu machen“, sagt Valerie H., „zum Beispiel suche ich mir Rezepte aus, die nicht viel kosten, aber trotzdem frisch sind. Denn ich möchte, dass mein Sohn gesund isst.“ Ab und zu koche sie gemeinsam mit einer befreundeten Familie. „Wir helfen einander auch mit Klamotten und bei der Betreuung der Kinder aus.“ Gerade bei besonderen Anlässen gehe es nur mithilfe ihres Umfelds. „Ich bin froh, dass Oma und Opa an Weihnachten etwas für Geschenke dazu geben“, erzählt sie, „und dank der Patentante konnte mein Sohn seinen Geburtstag in der Indoor-Spielhalle feiern. So etwas kann ich sonst nicht bezahlen.“

Ich sammle meine Pfandflaschen und lege mir das Geld zurück, um davon mal den Eintritt ins Schwimmbad zu bezahlen
Valerie H.

Neben der praktischen Hilfe bekomme sie auch mentale Unterstützung. „Gespräche mit Freunden und meine Karnevalstanzgruppe tun mir gut, da bin ich fest integriert.“ Gerne würde sie auch so schnell wie möglich wieder in ihrem Beruf arbeiten. „Ich bewerbe mich, aber es ist schwer, etwas zu finden, da ich mit Kind nicht flexibel bin“, sagt Valerie H.

Die alleinerziehende Mutter Valerie H. sitzt auf einem Spielpferd, ihr Sohn ist im Hintergrund zu sehen.

Valerie H. zusammen mit ihrem Sohn im Garten ihrer Kita.

Eigene Armutserfahrungen aus der Kindheit prägen bis heute

Dass sie ihrem Sohn manches nicht ermöglichen könne, mache sie manchmal traurig. „Wir haben kein Auto und Urlaub ist für uns finanziell überhaupt nicht drin. Dabei würde ich meinem Kind so gerne mal eine Reise schenken. Er träumt davon, mal zu fliegen.“ Trotzdem habe sie bisher nicht den Eindruck, dass ihm etwas fehle. „Aber er ist ja auch erst drei. Ich mache mir Sorgen, dass er später in der Schule gemobbt wird, weil er keine Markenklamotten besitzt.“

Solche Erfahrungen habe sie selbst in der Kindheit gemacht. „Meine Mama musste jeden Cent umdrehen. Nicht genug Geld zu haben, das war schon immer meine Normalität.“ Manche Erlebnisse aus dieser Zeit prägten sie bis heute. „Ich konnte damals als einzige nicht zur Kommunion gehen, weil wir uns keine Feier leisten konnten. Das war hart.“

Kitas sind wichtig, weil es ein warmes Essen und Unterstützung gibt

Teilnehmen zu können am sozialen Leben, an Festen und Veranstaltungen, das ist nicht immer leicht für finanziell eingeschränkte Familien. Deshalb sind Einrichtungen wie Kitas, Schulen und Jugendzentren so wichtig. Auch für Valerie H.: „Unsere Kita spielt eine große Rolle für mich, weil mein Junge dort etwas Warmes zu essen bekommt und ich Teil einer Gemeinschaft bin.“ Seit einiger Zeit engagiert sie sich im Kita-Elternrat. Der Austausch mit dem Erzieher-Team helfe ihr sehr.

Wie sich prekäre Lebensumstände auf die Familien auswirken, das bekommen gerade Erzieherinnen und Erzieher vor Ort oft aus erster Hand mit. „Unsere Mitarbeitenden merken das zum Beispiel, wenn Eltern den Kindern keine Versorgungsutensilien wie Wechselklamotten oder Ersatzwindeln mitgeben, weil die zu teuer sind“, sagt Markus Meller, er ist Sachgebietsleiter der SKM-Familienzentren, von denen viele in Stadtteilen mit hoher Kinderarmutsquote liegen. Der Versorgungsauftrag der Kitas in diesen Vierteln spiele eine besonders große Rolle. „Oft ist das Mittagessen dort für die Kinder die einzige richtige Mahlzeit am Tag. Wir servieren nachmittags extra noch einen Snack, weil wir wissen, dass es zu Hause unter Umständen nicht mehr viel gibt.“ Bei Ausflügen und Ferienprogrammen hielten sie zudem die Beträge gering, um allen die Teilhabe zu ermöglichen.

„Wir bieten betroffenen Familien auch unsere Hilfe an und unterstützen sie etwa bei der Antragstellung für das Essensgeld“, erzählt Meller. Das werde jedoch nur selten angenommen. „Das Thema ist oft noch sehr schambesetzt. Viele Familien haben eine hohe Hemmschwelle, sich Hilfen zu holen. Sie lassen sich lieber mehrmals anmahnen, als zuzugeben, dass sie etwas nicht bezahlen können.“ Auf der anderen Seite gäbe es auch einige Familien, die trotz Berufstätigkeit immer rechnen müssten, aber trotzdem keine Zuschüsse bekämen.

Trotz Vollzeitjob reicht das Geld kaum zum Leben

So geht es Familie Boualem aus Köln-Bilderstöckchen. „Wir fallen gerade so durchs Raster“, sagt Mutter Dajana, „wir liegen immer nur ein paar Euro über der Einkommensgrenze und bekommen deshalb keine staatliche Unterstützung, weder Kinder- oder Essensgeldzuschlag noch Wohngeld.“ Die 38-jährige Mutter arbeitet Vollzeit im Zwei-Schicht-System als Pflegerin in einem psychiatrischen Pflegeheim, ihr Mann ist derzeit arbeitssuchend und bekommt bis Sommer Arbeitslosengeld I.

Kinderarmut in Köln

Kinderarmut in Köln

Gemeinsam mit ihren Töchtern (11 und 2) leben sie in einer 53 Quadratmeter großen Zweizimmerwohnung. „Wir suchen schon lange nach mehr Wohnraum, doch die Mieten in Köln sind einfach zu hoch.“ Ständig auf so engem Raum zusammenzuleben, sei für sie derzeit einer der größten Belastungsfaktoren. „Es gibt einfach keine Möglichkeit, sich irgendwo zurückzuziehen.“

Gestiegene Lebenshaltungskosten und teure Anschaffungen belasten

Auch bei den täglichen Ausgaben ist es knapp. „Nach Abzug der Grundkosten bleiben uns noch etwa 1000 Euro im Monat, davon müssen Essen, Klamotten, Benzin, Reparaturen, Schulsachen und die Kita-Gebühr bezahlt werden“, sagt Boualem. Das verbleibende Geld teile sie am Anfang des Monats in tägliche Rationen ein. „So behalte ich den Überblick, wie viel wir zum Einkaufen zur Verfügung haben.“ Sie sei sehr gut organisiert und plane vieles vor. „Trotzdem wird es am Ende des Monats manchmal schwierig.“ Sie spürten deutlich, wie stark die Lebensmittelpreise zuletzt gestiegen seien.

Ich möchte, dass der Staat auch an Menschen wie uns denkt, die Vollzeit arbeiten und bei denen es trotzdem nicht reicht.
Dajana Boualem

Am Essen spare sie dennoch nicht. „Ich finde es wichtig, dass meine Kinder jeden Tag frisches Obst und Gemüse bekommen.“ Sie achte auf Angebote der Discounter und besorge auch Schulmaterial auf Vorrat. „Für Klamotten gehen wir manchmal auf den Flohmarkt. Kinderschuhe kaufen wir nur sehr selten neue.“ Falls am Ende des Monats doch etwas Geld übrig bleibe, lege sie es zurück für Kinderjacken oder einen Schulrucksack. Nicht selten müsse der angesparte Puffer aber anders verwendet werden. „Unser Auto war gerade wieder kaputt, solche plötzlichen Ausgaben sind besonders schlimm.“

Auf einen Urlaub muss lange gespart werden

Damit die Kinder in jeden Fall ein Geburtstagsgeschenk bekämen, schiebe sie jeden Monat eine kleine Summe aufs Sparbuch. „Ich möchte möglichst selten Nein sagen müssen“, betont Dajana Boualem, „denn ich bin selbst mit wenig Geld groß geworden und musste auf vieles verzichten. Das möchte ich meinen Kindern ersparen.“ Dafür gebe sie alles und spare lieber an sich selbst.

Um in der Freizeit etwas zu erleben, machten sie Tagesausflüge, besuchten einen der kleineren Kinderparks in der Region oder die Großeltern an der Ostsee. „Wir haben Glück, dass wir bei ihnen übernachten können.“ Sonst sei Urlaub nur selten möglich. „Diesen Sommer können wir seit vielen Jahren endlich wieder die Familie meines Mannes in Algerien besuchen“, freut sie sich, „darauf haben wir lange gespart, das ist etwas Besonderes.“

Dass sie sich trotz Arbeit so wenig leisten könnten, beschäftige sie sehr. „Es gibt Familien, denen geht es schlechter als uns. Und es sollte allen geholfen werden, die es nötig haben“, sagt Dajana Boualem, „aber ich möchte, dass der Staat auch an Menschen wie uns denkt, die Vollzeit arbeiten und bei denen es trotzdem nicht reicht.“ Gerade die Kita-Gebühren oder das Essensgeld könne man Familien wie ihnen doch erlassen. Sie habe die Hoffnung, dass sich solche Dinge in Zukunft verändern. „Ich wünsche mir, dass meine Kinder später einmal gut leben und nicht immer rechnen müssen.“


Hier können Sie Familien in Not unterstützen:

„wir helfen e.V.“ – eine Aktion des KStA für Kinder; SKM Köln – Jugend- und Familienhilfe; „Mutige Kinder e.V.“; „Wir für Pänz e.V.“; „Himmel und Ääd“ Kinder- und Jugendhilfe; „Die Arche Köln“; Diakonie Michaelshoven