KommentarWas es für Familien bedeutet, wenn dauernd Lehrer und Erzieher fehlen
Köln – „Dann bleibt das Kind eben mal zu Hause.“ Was für ein leicht dahin gesagter Satz. Wir und andere Familien hören oder lesen ihn in letzter Zeit häufiger, in verschiedener Form. „OGS-Betreuung fällt diese Woche aus.“ „Unterricht wird kurzzeitig ins Homeschooling verlagert.“ „Kita schließt früher.“ Dürfte doch alles kein Problem sein, oder? Lange dachte ich, Erziehernot, Betreuungsengpässe und Lehrermangel drohen erst in der Zukunft – dabei sind sie längst bei uns angekommen. Für uns als Familie mit drei Kindern und zwei Jobs bedeutet das jetzt schon ständiges Vereinbarkeitschaos. Wieder sollen wir Eltern klaglos alles auffangen. Ich hab genug davon!
Viel zu oft starten Tage bei uns zu Hause mit einem lauten Seufzen. Denn fällt nur die Betreuung eines der Kinder aus, zerbröselt unser fein durchgetakteter Alltag wieder einmal vor unseren Augen. Und wir müssen fieberhaft überlegen, wie sich Arbeit und Betreuung irgendwie in einen Tag pressen lassen. Als gleichberechtigte Eltern verhandeln wir das jeden Tag neu: Wer hat wann den wichtigeren beruflichen Termin? Oft teilen wir uns die Tage auf und werfen uns dann den Staffelstab gehetzt und oft schlecht gelaunt hin und her. Eine Stunde spielen mit der Dreijährigen, dann zurück an den Schreibtisch, der andere kocht so lange Mittagessen, damit er danach in die Videokonferenz kann. Konzentriert und effizient zu arbeiten, während das Kind puzzelnd neben einem sitzt, ist natürlich utopisch. Schnell mal betreuen geht nicht. Und dauernd vor Netflix parken, will man die Jüngsten ja auch nicht. Aber auch unsere zwei Grundschulkinder laufen nicht einfach den ganzen Tag so nebenher. Und das sollten sie auch nicht müssen.
Eltern sind im Alltag ohnehin schon sehr stark gefordert
Wir versuchen also, gut für unsere Kinder da zu sein, bei den Hausaufgaben zu unterstützen und sie zu verpflegen – was sonst ja alles in der Betreuung geschieht – und nebenher unsere Arbeit zu schaffen. Oft müssen wir die restlichen Stunden abends oder am Wochenende aufholen. Und wir haben noch Glück, dass wir durch das Homeoffice überhaupt diesen Spielraum haben. Ich frage mich, wie jene Eltern das schaffen, die nur außer Haus arbeiten können, feste Schichten haben oder deren Kinder besonderen Betreuungs- oder Pflegebedarf haben.
Selbstverständlich gehören unvorhersehbare Entwicklungen zum Elternsein dazu. Kinder werden dauernd krank. Das Infekte-Pingpong ist immer eine große Herausforderung für Familien. Mir graut es ehrlich gesagt schon vor den Wintermonaten, zumal Corona immer noch da ist, es uns sicher wieder erwischt, aber auch so Kinder noch häufiger mit einer Erkältung zu Hause bleiben müssen. Wir Eltern sind also im „normalen“ Alltag schon stärker gefordert denn je – von den knapp zwölf Wochen Schulferien im Jahr, die abzudecken sind, ganz zu schweigen.
Familien müssen politische Fehlplanungen auffangen
Wenn wir jetzt auch noch strukturell verursachte Betreuungsengpässe mit auffangen müssen, wird es für uns bald keine normale Woche mehr geben. Schon jetzt schließen Kitas kurzfristig ganze Gruppen, weil Erzieher fehlen. Schulen bitten Eltern, die Kinder nachmittags lieber zu Hause zu lassen, weil keine Betreuer da sind oder verlagern einzelne Stunden ins Homeschooling. Doch ständig Netz und doppelter Boden zu sein für politische Fehlplanungen, das ist einfach für uns Familien nicht leistbar.
Genau davon wird aber scheinbar im Augenblick ausgegangen. Schließlich haben Eltern ja in der Corona-Hochzeit bewiesen, dass sie es hinkriegen, oder? Aber damals herrschte eben eine andere gesellschaftliche Dringlichkeit. Alle mussten wir in dieser Zeit zusammenhalten, über unsere Grenzen gehen, das Unmögliche leisten. Jetzt aber ist die Situation eine andere geworden. Aus der kurzfristigen Kraftanstrengung im Dienste aller ist für Eltern wie uns eine Dauerbetreuungskrise geworden – die nur in der völligen Überlastung enden kann. Wir sind auf jeden Fall oft ziemlich erschöpft. Und die hohen Burnout-Raten bei Müttern sprechen für sich. Ich fühle mich wie eine Marathonläuferin, der man in der Zielgeraden sagt, sie müsse die Strecke nochmal laufen.
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„Familien müssen mehr entlastet werden“, heißt es immer. Sehr richtig. Doch nur mehr finanzielle Unterstützung oder sogenannte „Kind-krank-Tage“ helfen bei diesem Betreuungsdilemma leider wenig. Erstens wären die schnell aufgebraucht bei der Fülle an Betreuungstagen und zum anderen bleibt die Arbeit ja trotzdem liegen – und lässt sich auch nicht ständig an Kollegen delegieren. Also versuchen wir und die anderen Familien es eben irgendwie hinzukriegen.
Familien wie wir sind dringend auf die institutionelle Betreuung angewiesen
In unserem Fall sind wir dabei meist auf uns alleine gestellt. Verwandtschaft haben wir keine in der Stadt und unser viel beschworenes Elternnetzwerk aus Freunden und Nachbarn steckt selbst bis zum Hals im eigenen Betreuungschaos. Ich muss es theatralisch formulieren: Die öffentlichen Betreuungseinrichtungen sind alles, was wir haben. Und wir müssen uns darauf verlassen können, weil sonst unser Alltag mit drei Kindern und zusammen 160 Prozent Erwerbsarbeit nicht funktioniert. Ich würde sogar sagen, unser Lebensmodell ist in Gefahr und könnte geradezu an diesem Punkt scheitern. Ein Lebensmodell, das wir so gewählt haben und hinter dem wir stehen, das wir aber auch aus finanziellen Gründen so beibehalten müssen. Wie so viele Familien können wir nicht von nur einem Gehalt leben.
Und doch habe ich mich zuletzt nach besonders zerrissenen Tagen zwischen Kindern und Beruf dabei ertappt, dass ich mir vorstellte, wie viel einfacher es wäre, wenn einer von uns sich alleine um Haushalt und Kinder kümmern würde. Wie früher. „Betreuung fällt spontan aus? Auch egal: Mama ist ja da.“ Wenn sich Eltern nicht mehr auf institutionelle Betreuung verlassen können, ist das tatsächlich dauerhaft nur zu leisten, wenn Familien wieder ins klassische Modell zurückkehren oder aber in Generationenhaushalten leben. Ich bezweifle, dass das alle wirklich wollen oder überhaupt können.
Das Einverdienermodell als Lösung des Fachkräftemangels?
Alleine, dass dieser Gedanke überhaupt hochkommt, macht mich schon wütend. Das Einverdienermodell kann doch nicht die einzig realistische Lösung für den aktuellen Mangel an Pädagogen sein! Selbst wenn manche nostalgisch mit dem Kopf nicken bei dem Gedanken, dass Mamas wieder zu Hause bleiben – in unserer Zeit ist das für die meisten Familien und modernen Frauen weder passend noch praktikabel. Und sicher auch politisch nicht gewünscht. „Es braucht mehr Mütter, die mehr arbeiten, am besten nicht nur Teilzeit“, heißt es da ständig „für unsere Wirtschaft und ihre eigene finanzielle Unabhängigkeit!“ Ach.
Manchmal wundert es mich, warum nicht mehr Aufschrei aus den Reihen der Eltern kommt. Doch eigentlich ist auch völlig klar, warum: Wer dauernd gleichzeitig Kinder betreuen und arbeiten muss, geht nicht mehr mit geballter Faust auf die Straße, der kriecht höchstens noch mit hängenden Schultern aufs Sofa. Und das Woche für Woche.
Und so springen auch wir natürlich jedes Mal wieder ein und fangen alles auf. Wir haben ja auch keine Wahl. Schuld sind außerdem gleich zwei emotionale Fallstricke. Denn zum einen wollen wir natürlich, dass es unseren Kindern gut geht. Ich denke viel darüber nach, was es mit meiner dreijährigen Tochter macht, wenn dauerhaft zu wenige überarbeitete Menschen für ihre Betreuung zuständig sind. Bevor sie nur noch halbherzig verwahrt wird, hole ich sie doch lieber früher ab. Zum anderen habe ich auch Mitgefühl mit den Erzieherinnen, Lehrern und Betreuerinnen, die trotz Unterbesetzung versuchen, sich so gut es geht, um die Kinder zu kümmern. Sie sind schließlich so überlastet wie die Eltern. Jetzt schon. Und der Winter steht gerade erst vor der Tür.