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Mängel und ErziehernotWoran man eine gute Kita erkennt – und wann es kritisch wird

Lesezeit 7 Minuten
Kinder klatschen in einer Kita.

Gelöst und glücklich – alle Eltern wünschen sich eine Kita, in der sich ihr Kind rundum wohlfühlt.

Viele kleine Kinder auf engem Raum, betreut von zu wenigen Fachkräften: So sieht die Situation in vielen deutschen Kitas aus. Erzieher fehlen oder fallen wegen Krankheit aus, in kaum einem Beruf ist die Burnout-Quote so hoch. Jüngst haben 150 Forschende vor einem kompletten Kollaps des deutschen Kita-Systems gewarnt. Dabei sollten Kitas Orte sein, an denen die Kleinsten befreit leben und lernen können. Gleichzeitig ist der Betreuungsbedarf bei den Familien so hoch wie nie. Woran können sie sich bei der Kita-Suche überhaupt noch orientieren? Ein Gespräch mit Familien- und Kita-Expertin Nora Imlau.

Kann man sein Kind denn hierzulande noch guten Gewissens in die Kita schicken?

Nora Imlau im Porträt

Nora Imlau ist Autorin, Journalistin und Referentin im Bereich Familienbildung. Sie lebt mit ihren vier Kindern und ihrem Mann in Süddeutschland.

Nora Imlau: Grundsätzlich mache ich Eltern ganz klar Mut: Kitas können großartige Orte für Kinder sein. Es ist nachgewiesen, dass eine gute außerfamiliäre Betreuung eine große Bereicherung für alle Familienmitglieder sein kann. Gleichzeitig wissen wir, dass die Kita-Qualität in Deutschland sehr durchwachsen ist und nur wenige Kitas die Qualitätsstandards erfüllen. In der aktuellen NUBBEK-Studie kam heraus, dass nur zehn Prozent aller Kita-Einrichtungen uneingeschränkt empfehlenswert sind. 80 Prozent sind mit Abstrichen in Ordnung. Aber zehn Prozent sind so schlecht, dass sie wegen Kindeswohl gefährdender Umstände sofort geschlossen werden sollten. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Ich rate Eltern deshalb, genau hinzuschauen, in welche Kita sie ihr Kind schicken wollen.

Woran erkennt man eine gute Kita?

Die Qualität einer Kita steht und fällt mit dem Wohlbefinden der Kinder. Viele Kitas werben mit Extras wie Bio-Essen oder musikalischer Früherziehung – das kann eine wunderbare Ergänzung sein. Doch je jünger das Kind ist, desto weniger braucht es Projekte und neue Impulse. Kinder sind nur offen für Forscherstationen, wenn sie sich in der Kita sicher und geborgen fühlen. Bindung und emotionale Sicherheit kommen vor jeder Form von Bildung. Deswegen ist es wichtig, dass pädagogische Fachkräfte den Kindern zugewandt, wertschätzend und freundlich gegenüber treten. Sie müssen keine Übermenschen sein – natürlich darf ein Erzieher mal genervt sein –, aber die Grundhaltung zum Kind muss stimmen.

Wie zeigt sich diese Erzieher-Haltung?

Buchtipp

Cover des Buches „In guten Händen“

Nora Imlau: „In guten Händen – Wie wir ein starkes Bindungsnetz für unsere Kinder knüpfen“, Ullstein Buchverlage, 352 Seiten, 22,99 Euro

Zuletzt erschienen:

Nora Imlau: „Mein Familienkompass – was brauch' ich und was brauchst du?“, Ullstein, 400 Seiten, 12,99 Euro

Ein weinendes Kind wird getröstet, ein wütendes Kind wird nicht bestraft, Nähe suchende Kinder bekommen diese Nähe auch. Es sind manchmal kleine Dinge, die viel aussagen. Ein gutes Signal ist, wenn das Kind richtig begrüßt wird und die Erzieherin dabei vielleicht auf die Knie geht. Auch die Art und Weise, wie über Kinder gesprochen wird, verrät einiges. Reagieren Erzieher auf ein schreiendes Kind mit den Worten „Der macht nur Theater“ oder brüllen im Schlafraum Kinder, ohne dass jemand zu ihnen geht und es heißt „Die müssen endlich lernen zu schlafen“, ist das sehr bedenklich. Dahinter steckt ein autoritär geprägtes Menschenbild.

Worauf sollten Eltern bei der Kita-Besichtigung achten?

In vielen deutschen Städten ist die Kitaplatz-Situation so desolat, dass Eltern eine Kita vorher nicht einmal mehr besichtigen können, sondern einfach nur froh sind, wenn sie einen Platz bekommen. Wenn man die Wahl hat, sollte man einen Besichtigungstermin während des laufenden Kita-Betriebs auszumachen. So lässt sich besser beobachten, wie die Kinder sich dort verhalten. Ein gutes Zeichen ist es, wenn die Kinder vor Ort fröhlich sind und spielen und sich offen an die pädagogischen Fachkräfte wenden. Ein No-Go ist es, wenn Kinder verschreckt und verschüchtert wirken oder ganz leise sind – eine Kita, in der man nichts hört, ist kein gutes Zeichen.

Was können Eltern im Erstgespräch mit Erziehern erkennen?

Die Beziehungsfähigkeit einer Person zeigt sich auch im Umgang mit Erwachsenen. Eltern merken intuitiv schnell, ob hier zugewandte Personen sitzen. Wird in einem Erstgespräch empathisch auf die Ängste der Eltern eingegangen und fällt ein Satz wie „Jedes Kind ist anders, wir müssen schauen, was Ihr Kind braucht“, sagt das schon viel Gutes – ganz anders, als wenn es von Anfang an heißt „Da müssen Sie und ihr Kind eben durch.“ Wichtig ist, dass Kitas Eltern nicht als Störfaktor sehen, sondern mit ihnen eine Erziehungspartnerschaft eingehen. Eltern sollten auch auf ihr Bauchgefühl und ihre Wahrnehmung hören: Wie fühlt sich dieser Ort für mich an, würde ich hier gerne bleiben?

Welche Rolle spielt der Betreuungsschlüssel?

Der Betreuungsschlüssel ist nicht unwichtig. Mit zu wenig Personal ist irgendwann keine feinfühlige Versorgung mehr möglich. Es gibt aber einen Unterschied zwischen der sogenannten Strukturqualität, die die formalen Rahmenbedingungen einer Kita – Größe, Ausstattung, Personal – beschreibt und der Prozessqualität, die erfasst, welche Beziehungserfahrungen tatsächlich geleistet werden, wie viele liebevolle Interaktionen es gibt. Manche Kitas garantieren auch unter widrigen Bedingungen eine gute Bindungsarbeit. Das hängt ganz stark mit der Erzieherpersönlichkeit zusammen. Der Preis dafür ist aber oft hoch, denn gerade sehr feinfühlige, engagierte Erzieher brennen oft aus, weil sie das Arbeiten unter schlechten Bedingungen nicht mehr bewältigen.

Muss eine Kita auch zum Kind passen?

Ja, es gibt Einrichtungen, die einfach nicht zu einem Kind passen. Kitas mit offenem Konzept – mit vielen Raumwechseln und verschiedenen Erziehern – können zum Beispiel für kleine Kinder eine massive Überforderung sein. Eingewöhnung mit kleinen Kindern gelingt meist am besten in einem Rahmen, den Eltern als langweilig empfinden: die gleiche Gruppe, die gleichen Erzieher, die gleichen Lieder. Das aber gibt Kinder Halt und Rückversicherung.

Wie sauber sollte es in einer Kita sein?

Es ist natürlich wichtig, dass Kinder nicht mit kaputten, dreckigen Sachen spielen müssen. Manche Dinge, die Erwachsene wenig einladend finden, sind für Kinder aber etwas Tolles. Ein Kindergartenraum mit abgenutzten Möbeln heißt eben auch, dass hier gespielt wird.

Wie lange sollte eine Eingewöhnung dauern?

Bindungsaufbau braucht Zeit. Deshalb sollten für eine Eingewöhnung mindestens drei Wochen eingeplant werden, besser vier. Manche Kinder werden viel weniger Zeit brauchen, andere möglicherweise auch mehr. Wie betreuungsbereit ein Kind ist, hängt vom Alter, Charakter, der Familiensituation und davon ab, ob es zuvor schon Betreuungserfahrungen gemacht hat. Gerade jetzt nach Corona werden viele Kinder eingewöhnt, die zuvor noch nie woanders waren als bei den Eltern. Wenn es irgendwie möglich ist, sollten Eltern ihrem Kind die Zeit geben, die es braucht. Aber man muss auch auf die Lebensumstände schauen. Es ist niemandem geholfen, wenn die Eltern im Spagat zwischen Eingewöhnung und Beruf in eine Erschöpfungsdepression fallen.

Wie erkennt man, ob es dem Kind in der Kita gut geht?

Gerade bei ganz kleinen Kindern, die noch nicht sprechen, sollten Eltern auf die nonverbalen Signale achten. Hat man den Eindruck, Kinder fühlen sich wohl, sind im Spiel versunken und wirken beim Abholen gelöst, ist das ein gutes Zeichen. Auch Abschiedsschmerz an der Tür heißt nicht, dass sich ein Kind nicht wohlfühlt. Doch wenn es sich schon auf dem Weg in die Kita festkrallt und weint, beim Abholen verstört und verheult wirkt, sich zu Hause anders verhält oder schlechter schläft, können das Hinweise darauf sein, dass es dem Kind nicht gut geht. Das Problem ist, Eltern haben oft so einen Betreuungsdruck, dass sie vor solchen Signalen die Augen verschließen.

Wann sollte man ein Kind sofort aus einer Kita raus nehmen?

Geht ein Kind in eine Kita, in der Erzieher die Kinder beschimpfen oder körperliche Gewalt anwenden, sie etwa am Arm ziehen, aufs Töpfchen zwingen oder im Bett fixieren, richte ich einen klaren Appell an Eltern, ihr Kind da auf jeden Fall raus zu retten, diese Umstände auch dem Träger zu melden und für das Kind nach einem Plan B zu suchen. Denn eine dauerhaft schlechte Kita-Betreuung hat fatale Auswirkungen auf die seelische Gesundheit eines Kindes. Es kann dadurch ein Bindungstrauma entwickeln, das soziale Ängste, psychische Störungen und Suchtprobleme zur Folge haben kann.