Reformen im Kinderfußball und bei den Bundesjugendspielen sorgen für Unmut. Wie wichtig ist Leistung für Kinder im Sport?
Debatte um BundesjugendspieleSportpädagogin: „Verlieren müssen Kinder lernen – Gewinnen aber auch“
In den vergangenen Monaten ist nicht nur in den Medien oft darüber diskutiert worden, ob Kinder und Jugendliche in Deutschland sportlich nicht mehr genug gefördert und vor allem gefordert werden. Tenor vieler Beiträge: Der Nachwuchs verweichlicht, ist nicht mehr bereit, sich anzustrengen und gibt bei der ersten Niederlage auf. Wer so heranwachse, könne auch als Erwachsener nicht leistungsorientiert sein. In der Folge blieben – logisch – Medaillen und Titel für deutsche Sportlerinnen und Sportler aus. Der gerade gewonnene Weltmeistertitel der Basketballer gilt in diesem Zusammenhang wohl als Ausnahme von der Regel.
Reformen im Kinderfußball und bei den Bundesjugendspielen
Angestoßen haben diese Diskussionen die geplanten Reformen im Kinder- und Jugendfußball und bei den Bundesjugendspielen. So will der Deutsche Fußball-Bund (DFB) spätestens mit Beginn der Saison 2024/2025 neue Spielformen im Kinderfußball einführen. Damit möglichst viele Kinder an den Ball kommen und Tore schießen können, soll es kleinere Teams und teilweise vier Tore geben. Außerdem wird in der G- und F-Jugend die Meisterschaftsrunde abgeschafft, „um den Leistungsdruck zu minimieren und die sportliche Entwicklung der Kinder stärker in den Vordergrund zu rücken“, wie es auf der DFB-Homepage heißt.
Diese Idee hat eine Kontroverse ausgelöst. Sogar der DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke sparte nicht mit Kritik: „Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, was es ist, zu verlieren, dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen. Wenn wir Angst haben, dass ein Achtjähriger komplett aus dem Lebensgleichgewicht geworfen wird, weil er mal 5:0 mit seiner Mannschaft verliert, dann sagt das auch sehr viel über die deutsche Gesellschaft aus.“ Auch der 1. FC-Köln-Trainer Steffen Baumgart äußerte sich dazu: „Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen und seichten Weg geht. Es ist doch nicht schlimm, wenn ein Kind verliert. Es muss doch lernen, mit Niederlagen umzugehen. Ich muss doch lernen, Spaß an dem Sport zu haben, nicht nur, wenn ich zehn Tore schieße.“
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Wettbewerb statt Wettkampf bei den Bundesjugendspielen
Eine noch breitere Debatte hat die geplante Reform der Bundesjugendspiele in den Grundschulen ausgelöst – vermutlich, weil jeder diese selbst während seiner Schulzeit erlebt hat und deshalb eine klare Meinung dazu hat. Konkret geht es darum, ab dem Schuljahr 2023/2024 in allen Grundschulklassen die Sportarten Leichtathletik und Schwimmen nicht mehr als Wettkampf, sondern als Wettbewerb auszutragen. Für das Turnen gilt das übrigens nicht, hier kann weiterhin zwischen Wettkampf und Wettbewerb gewählt werden. Die neuen Regeln gelten nur für die Grundschulen, für alle weiterführenden Schulen ändert sich nichts.
Keine starren Vorgaben mehr für Leistungsmessung
„Wettbewerb im Gegensatz zum Wettkampf bedeutet nicht, dass es sich um ein rein spielerisches Angebot handelt. Der Wettbewerb ist viel mehr als ein auf die Entwicklung der Kinder angepasstes sportliches Angebot zu verstehen“, heißt es auf der Seite www.bundesjugendspiele.de. So ist er nicht an normierte Sportgeräte oder -stätten gebunden und soll mit seinem vielfältigen Angebot Motivation, Koordination und Geschicklichkeit fördern. „Ziel dabei ist, ein vielfältiges Bewegungshandeln zu ermöglichen. Das ist im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe eine gute Überlegung“, sagt Petra Guardiera, Geschäftsführerin am Zentrum für Sportlehrer*innenbildung (ZfSb) an der Deutschen Sporthochschule Köln. Gerade in der Grundschule, aber auch später, seien die Schülerinnen und Schüler sehr heterogen und brächten ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit. Das neue Format eröffne Zugänge zu Sport und Bewegung, jenseits von Regelwerken und normierten Bewegungsvorstellungen.
Sieger-, Ehren- und Teilnahmeurkunden wird es weiterhin geben
Was sich nicht ändern wird: Es gibt weiterhin die Sieger-, Ehren- oder Teilnahmeurkunden. Im leichtathletischen Wettbewerb werden sie nur nicht mehr nach den für das jeweilige Alter und Geschlecht vorgegebenen Leistungskriterien vergeben, sondern über eine Rangfolge innerhalb der Jahrgangsstufe. Die besten 20 Prozent bekommen die Ehrenurkunde, die mittleren 50 Prozent eine Siegerurkunde und die unteren 30 Prozent erhalten eine Teilnahmeurkunde.
Guardiera findet diese Veränderung problematisch: „Über die Urkunde entscheidet nicht mehr die eigene Leistung, sondern die Leistung im Vergleich zum Rest der Jahrgangsstufe. Das ist für das Sozialgefüge in der Grundschule kritisch, weil so der Konkurrenzkampf untereinander möglicherweise stark gefördert und die Rangfolge innerhalb der Stufe für alle offensichtlich wird. Wenn es am Ende darum geht, besser als die Mitschülerinnen und Mitschüler zu sein und einzig die Leistungsstärke der Bezugsgruppe über ein Honorieren der Leistung entscheidet, ist nichts gewonnen.“
Neues Konzept soll die Lust am Sport erhöhen
Mit dem neuen Konzept soll die Lust am Sport erhöht werden, so der Gedanke des Ausschusses für die Bundesjugendspiele und der Kommission Sport der Kultusministerkonferenz, die für die Ausrichtung der Spiele zuständig sind. Gleichzeitig spricht sich der Ausschuss explizit dafür aus, dass das Erkennen der eigenen Leistung und der eigenen Leistungsfähigkeit sowie der Umgang mit Niederlagen zur kindlichen Entwicklung gehören und im pädagogischen Kontext von Schule begleitet werden müssen. Ob diese Ziele durch die veränderte Zuteilung der Urkunden erreicht werden, sei fraglich, so Guardiera.
„Es ist wichtig, dass Heranwachsende lernen, damit umzugehen, dass sie etwas gut, besser oder vielleicht auch schlechter können als andere. Die eigenen Kompetenzen einzuschätzen, ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsbildung und die sozialen Fähigkeiten“, macht die Sportpädagogin klar. Kinder und Jugendliche müssten lernen, mit dem Verlieren, aber auch mit dem Gewinnen umzugehen. Schließlich gebe es in allen Bereichen des Lebens immer Menschen, die besser oder schlechter sind als man selbst. „Wie man damit umgeht, auch anderen gegenüber, will gelernt sein. Sportunterricht und Sport an sich eignen sich dafür besonders gut, da hier das Erfahren von Sieg und Niederlage sowie eigener Leistungsstärke, aber auch der Leistungsvergleich ganz unmittelbar möglich sind“, sagt Guardiera.
Sport muss sowohl die Schwachen als auch die Starken integrieren
Wichtig ist ihr, dass sich alle Schüler und Schülerinnen wiederfinden können, gerade weil sie ungleiche Voraussetzungen in den Sportunterricht mitbringen. Dieses Anliegen sei im Lehrplan für den Sportunterricht fest verankert. „Wir müssen uns also fragen, wie wir den unterschiedlichen Bedarfen und Voraussetzungen gerecht werden können. Der Wettkampf ist dabei eine von vielen Facetten des Sports, die wir den Kindern näherbringen und die von einem Teil der Schülerinnen und Schüler auch eingefordert wird“ sagt sie. Daneben eröffne der Sportunterricht aber weitere Zugänge zu Sport und Bewegung, wie beispielsweise über das Miteinander, die genauso berücksichtigt werden müssten.
Natürlich ist Verlieren frustrierend. Doch nur, wer trotzdem weitermacht, kann erfahren, dass sich eine gewisse Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft lohnen kann. Auch das ist eine wertvolle Erfahrung. Guardiera: „Man darf bei alledem nur nicht vergessen, dass es auch Leistungsgrenzen gibt. Gerade für Heranwachsende ist das schwer zu akzeptieren. Deshalb muss das pädagogisch begleitet und aufgefangen werden, damit sie die Freude am Sport nicht verlieren.“