ErziehungsfrageWann darf ich ein fremdes Kind zurechtweisen?
Auf dem Spielplatz bewirft ein Mädchen die anderen Kinder mit Sand, der Kindergartenfreund des Sohnes flucht in jedem zweiten Satz, zwei Nachbarskinder prügeln sich im Hof. Zu reagieren, wenn andere Kinder Mist machen oder sich schlecht benehmen, ist für viele Eltern eine Gratwanderung.
Einschreiten oder lieber schweigen?
Soll man einschreiten und zu verstehen geben, dass sich bestimmte Verhaltensweisen nicht gehören? Oder doch lieber schweigen, weil man umgekehrt auch nicht möchte, dass sich Fremde in die eigenen Erziehungskonzepte einmischen? „Der gesellschaftliche Konsens für die Verhaltensregeln im Umgang miteinander geht leider zunehmend verloren, und man kann nicht mehr darauf vertrauen, dass sich Erwachsene beim Umgang mit schwierigen kindlichen Verhaltensweisen einig sind“, schildert Hermann Scheuerer-Englisch das Dilemma. Er ist Vorstandsmitglied der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung und Leiter der Erziehungsberatung der Katholischen Jugendfürsorge in Regensburg.
Wie geht man mit Spielplatz-Raufereien um?
Das erschwere beispielsweise den Umgang mit Spielplatz-Raufereien: „Manche Eltern ermutigen ihre Kinder, sich auch körperlich aggressiv durchzusetzen, andere wiederum versuchen, ihre Kinder dazu zu erziehen, sich möglichst gewaltfrei zu verhalten.“ Wo die einen Eltern einen harmlosen Streit sehen, den die Kinder untereinander klären können, ist für andere bereits der Zeitpunkt zum Eingreifen gekommen. Das Bauchgefühl sei in solchen Situationen gar kein schlechter Ratgeber, findet Alexandra Walther, Diplom-Pädagogin und Elterncoach aus München: „Denn ein Patentrezept gibt es nicht, weil jeder von anderen Erfahrungen geprägt wurde.“
Einschreiten bei Aggressivität ist in Ordnung
Vor allem wenn Aggressivität im Spiel ist, hält Erziehungsberater Scheuerer-Englisch das Einschreiten für gerechtfertigt: „Bedroht ein Kind andere Kinder ernsthaft und missachtet deren Stoppsignale und greifen dessen Eltern nicht ein, ist es in Ordnung, selbst dazwischenzugehen und die Kinder zu trennen.“
Wichtig sei dabei ein klarer, sachlicher Tonfall: „Man sollte die Situation nicht dramatisieren, aber nach außen signalisieren, dass man körperlich aggressive Auseinandersetzungen in dieser Form nicht duldet oder sich einen freundlichen Umgang der Kinder miteinander wünscht“, sagt der Erziehungsberater und ergänzt: „Dagegen werden auch die Eltern des anderen Kindes kaum etwas einzuwenden haben.“ Denn diese könnten durchaus verärgert reagieren: Kritik am eigenen Erziehungsstil nehmen viele Menschen persönlich.
Nicht zu viel Energie in Streitgespräche mit anderen Eltern stecken
Scheuerer-Englisch rät deshalb, nicht zu viel Energie in Streitgespräche mit anderen Eltern zu stecken. Sollte aber das eigene Kind in die Auseinandersetzung verwickelt gewesen sein, hilft es, das Erlebnis mit dem Nachwuchs zu Hause noch einmal in Ruhe zu besprechen: „Die Eltern sollten die eigene Haltung betonen, dass ein aggressiver, nicht-spielerischer körperlicher Angriff nicht in Ordnung ist.“ Das stärke die Kinder für den künftigen Umgang mit solchen Situationen.
Der Gastgeber bestimmt die Regeln
Nicht immer geht es um aggressives Verhalten. Auch Kinder, die sich schlecht benehmen, können nerven, vor allem wenn sie zu Hause zu Gast sind. Auch dann stecken die Eltern in der Zwickmühle. „Wenn ich der Gastgeber bin, dann bestimme ich die Regeln, andererseits möchte ich, dass meine Gäste sich wohlfühlen“, sagt Nandine Meyden, Benimmtrainerin aus Berlin und Buchautorin.
Das Kind hinweisen, ohne zu bewerten
Soll ich das Gastkind darauf hinweisen, dass erst mit dem Essen angefangen wird, wenn alle etwas auf dem Teller haben? Oder darüber hinwegsehen, dass es die Gabel mit den Nudeln schon in den Mund geschoben hat? „Wenn mir eine bestimmte Regel wichtig ist, darf ich das Kind natürlich darauf hinweisen“, sagt Meyden. Auch hier macht der Ton die Musik: „Das sollte freundlich und sachlich geschehen - ohne Bewertung. Denn das Kind kann ja nichts dafür, wenn es die Regeln nicht kennt.“
Freundliches Verhalten loben
Gerade wenn die Kinder noch klein sind, kann es sinnvoll sein, sich vorab kurz mit den Eltern auszutauschen, sagt Elterncoach Alexandra Walther: Schon vor der Verabredung lässt sich klären, welche Grundsätze in der anderen - und in der eigenen - Familie gelten. Manchmal hilft auch ein Wechsel der Perspektive: „Eltern können auch ausdrücklich loben, wenn die Kinder freundlich und aufmerksam miteinander umgehen“, sagt Walther: „Damit verstärkt man das Verhalten, das man sehen möchte.“
Im Restaurant, den Kellner um eine Läsung bitten
Anders ist die Situation auf neutralem Terrain, wenn beispielsweise im Restaurant die Kinder am Nachbartisch für große Unruhe sorgen. „Dort würde ich mich zunächst an den Kellner oder den Restaurantleiter wenden und ihn bitten, eine Lösung zu finden“, rät Nandine Meyden. Konfrontation sei der falsche Weg - denn was dem einen zu laut ist, kann für den anderen ein ganz normaler Geräuschpegel sein: „Es geht in solchen Situationen nicht darum, wer Recht hat“, sagt die Benimm-Beraterin: „Sondern darum eine Lösung zu finden, die beiden Seiten gerecht wird.“
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