Belastungsprobe für PaareWenn der Kinderwunsch sich einfach nicht erfüllen will
Lübeck – Der Tag, an dem die Murmel ging, steht eingetragen im Kalender. Murmel - so nennen Claudia und Jannick Becker (Namen geändert) das Kind, das nicht bleiben konnte. Fehlgeburt in der siebten Schwangerschaftswoche. Seitdem versucht das Paar alles, um wieder schwanger zu werden. Seit fünf Jahren.
Kinderlosigkeit hat viele Gründe
Fünf Jahre voller Hoffnung und Enttäuschung. Enttäuschung immer dann, wenn die Periode kam. Wieder und wieder. „Je länger es dauerte, desto unruhiger wurden wir“, sagt die 39-Jährige. Claudia Becker ließ einen Hormonstatus machen, die Schilddrüse untersuchen. Auch Jannick Becker ließ sich durchchecken. Das Ergebnis: Zwei kerngesunde Menschen, die wunderbar miteinander schwanger werden können. Theoretisch.
Claudia und Jannick Becker sind nicht allein mit ihrem unerfüllten Kinderwunsch. Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist in Deutschland fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Gründe dafür gibt es viele, sagt Professor Georg Griesinger, Leiter des Universitären Kinderwunschzentrums Lübeck und Manhagen. „Häufig liegt keine organische Ursache vor, sondern Frauen sind aufgrund ihres Alters schon nicht mehr so fruchtbar.“ Immer mehr Frauen bekämen erst ab 30 Jahren ihr erstes Kind. „Vielen ist nicht klar, dass das für eine Schwangerschaft schon ein fortgeschrittenes Alter ist“, sagt der Reproduktionsmediziner. Die Probleme kämen häufig einige Jahre später beim zweiten Kind.
Druck durch Kinderwunsch - Belastungsprobe für die Beziehung
So wie bei Claudia Becker. Sie hat bereits eine siebenjährige Tochter aus erster Ehe. Immer wieder hört sie den Satz: „Wenigstens hast du schon ein Kind.“ Ja, denkt sie. Das macht den Wunsch nach einem zweiten aber nicht kleiner - erst recht nicht für Jannick, der noch nicht Vater ist. „Die unerfüllte Sehnsucht nach einem Kind wird häufig zur Belastungsprobe für eine Beziehung“, sagt die Münchener Paartherapeutin Heike Melzer. „Viele Paare entscheiden sich ganz bewusst für ein Kind. Geht der Plan zum gewünschten Zeitpunkt nicht auf, entsteht große Unsicherheit.“ Und mit dieser Unsicherheit brächen gravierende Veränderungen über die Partnerschaft herein. „Die Sexualität verändert sich“, sagt Melzer. „Aus Spaß wird Druck.“
Diesen Druck spürt auch Claudia Becker. Sie erinnert sich an viele Abende, wo Sex nach Kalender auf dem Programm stand - obwohl die Stimmung eigentlich eher nach Filmabend war. Und dann die Warterei. „Die Zeit nach dem Einnistungszeitpunkt ist immer voller Hoffnung“, erzählt sie. „Die negativen Schwangerschaftstests zwei Wochen später fühlten sich dann an wie viele kleine Tode.“
Paare kommunizieren zu wenig
Die vielen kleinen Tode - auch Namiah Bauer aus Kreuzau in Nordrhein-Westfalen hat sie mit ihrem Mann erlebt. Das gewünschte dritte Kind kam nie. „Ich bin mit meinem Mann einen langen Weg gegangen“, sagt die heute 52-Jährige. „Obwohl er sich dieses Kind auch gewünscht hat, waren wir nicht immer ein Team.“ Heute weiß sie, was ihnen fehlte. „Wir hatten wenig Unterstützung und wussten nicht, mit wem wir über das Thema hätten reden können. Und wir haben selbst zu wenig miteinander gesprochen.“ So entstanden Missverständnisse - er wollte seine Trauer nicht rauslassen, auf sie wirkte er desinteressiert. Beide haben daraus gelernt. Und heute gibt Namiah Bauer ihre Erfahrungen weiter. Sie arbeitet als Kinderwunschberaterin und hat das Buch „Freudensprung - Wie das Wunschkind leichter zu dir kommt“ geschrieben.
Miteinander reden - auch Paartherapeutin Heike Melzer sieht darin einen Schlüssel, um gemeinsam durch die harte Zeit zu kommen. „Trotz vorgeplantem Sex und wenig Romantik sollte man immer ein Liebespaar bleiben“, sagt sie. Wichtig sei auch, genau zu wissen, wie weit der Partner bereit ist, zu gehen. Wo liegt die Grenze? Nach der dritten künstlichen Befruchtung? Oder vorher? Wer eine gemeinsame Linie finde, könne den Weg besser gemeinsam gehen. Wichtig sei auch, nicht nur mit dem Partner, sondern auch mit anderen Vertrauenspersonen zu sprechen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Als Vertrauensperson sieht sich auch Namiah Bauer. „Meine Aufgabe ist nicht nur, Paare auf ihrem Weg zum Wunschkind zu begleiten, sondern auch dann für sie da zu sein, wenn sie sich davon verabschieden müssen.“ Denn dann gehe es darum, einen anderen Sinn im Leben zu finden, neue Seiten an sich selbst zu entdecken. Doch nicht alle Paare können den Abschied vom Wunschkind durch Ablenkung verkraften. Reproduktionsmediziner Georg Griesinger: „In manchen Fällen entstehen tiefe Depressionen bei einem der beiden Partner. Wir sehen es auch als unsere Aufgabe, das mit Hilfe langer Gespräche zu erkennen und dann auch Psychologen einzuschalten.“
Von Depressionen sind Claudia und Jannick Becker weit entfernt. Genauso weit jedoch auch von der Bereitschaft, ihr Wunschkind schon loszulassen. Der nächste Schritt ist die künstliche Befruchtung. Die Entscheidung fiel gemeinsam - als Team. „Und deshalb habe ich das Gefühl, die körperliche Belastung aushalten zu können», sagt Claudia Becker. „Weil Jannick genauso dahinter steht wie ich.“ Und dann können sie vielleicht doch bald einen neuen Eintrag im Kalender machen - hoffentlich einen Geburtstag. (dpa/tmn)