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„Mutterblues“Mein Kind wird erwachsen, warum ist das für mich so schlimm?

Lesezeit 6 Minuten
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Silke Burmester und ihr Sohn Ben.

Es ist der Lauf der Dinge, dass Kinder irgendwann flügge werden, das Haus verlassen, eigene Wege gehen. Doch was für die Söhne und Töchter ein aufregendes Abenteuer bleibt, ist für viele Eltern ein schwieriger Verlust. Wie seltsam, schmerzhaft und traurig das Abschied nehmen sein kann, hat die Journalistin Silke Burmester selbst erlebt. In ihrem Buch „Mutterblues“ (Kiwi, 2016) erzählt sie ehrlich und direkt davon, wie hart es war, ihren Sohn gehen zu lassen. Ein Gespräch.

Als Sie realisierten, dass Ihr Sohn bald erwachsen ist, hat Sie das hart getroffen. Warum kam das so unvorbereitet?

Silke Burmester: Das habe ich mich auch gefragt. Ich hatte mir das einfach nicht bewusst gemacht. Ich war so mit den alltäglichen Erziehungsaufgaben beschäftigt, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass das irgendwann endet. Plötzlich kommen die Freiräume, man wundert sich über die freie Zeit. Und merkt, dass sich das Kind langsam löst. Das ist etwas völlig Unbekanntes. Ich wollte die Nähe, die wir jahrelang miteinander hatten, nicht aufgeben. Aber das Kind sagt: Jetzt lass mich mal los. Das war schon ein Überraschungsmoment.

Wie haben Sie sich gefühlt?

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Silke Burmester

Da war echter Schmerz - manchmal so intensiv, dass er sogar körperlich spürbar war. Es ist wie ein Trauerprozess, so als würde man wirklich jemanden verlieren. Immer wenn ich auf meinen Sohn geschaut habe, bin ich traurig geworden. Ich konnte mich gar nicht richtig darüber freuen, wie toll oder lustig er ist, weil ich wusste, es geht jetzt bald vorbei. Es lag ein Schleier auf allem.

Wie schwer war es, das vor dem Kind zu verbergen?

Das war nicht einfach. Ich wollte nicht, dass mein Sohn etwas mitkriegt. Ich wusste, das war mein Problem. Er hat es allerdings trotzdem gemerkt. Ich wollte fröhlich sein, war aber in Wahrheit angespannt und gar nicht locker. Er fragte mich einmal, was los ist, ich sei so bescheuert. Irgendwann sagte ich ihm, dass ich mich irrsinnig für ihn freue, dass er bald Abi macht und auszieht, es mich aber auch traurig macht.

Zur Person

Silke Burmester, geboren 1966, ist Journalistin, Kolumnistin und Autorin, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, SPIEGEL Wissen und das manager magazin. „Mutterblues“ ist ihr drittes Buch. Es sind bereits erschienen: „Das geheime Tagebuch der Carla Bruni“ (2008) und „Beruhigt Euch!“ (2012).

Apropos bescheuert, Sie schreiben, dass sich Mütter rund um den Weggang der Kinder manchmal zum Vollhorst machen. Zum Beispiel?

Bei manchen Müttern bricht die Beschaffungseuphorie aus und sie kaufen ihrem Kind für die erste Wohnung alles Mögliche. Ich hab immer versucht, leckeres Essen zu kochen oder Freizeitangebote zu machen. Ich wollte, dass mein Sohn gerne und oft bei mir ist. Natürlich ist das albern und gar nicht altersadäquat. Selbstverständlich wollte er nichts mehr mit mir machen, sondern lieber mit seinen Freunden.

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Der große Sohn springt los, der Mutter zerspringt das Herz.

Das Kind bricht auf, voller Neugier und Tatendrang. Und die Eltern bleiben zurück. Konnten Sie sich trotzdem für Ihren Sohn freuen?

Es hat mir sehr geholfen, mir klar zu machen, dass es für Ben eine ganz besondere Zeit des Aufbruchs ist, eine Welt voller Möglichkeiten. Dadurch fiel es mir leichter, die Absagen an mich nicht persönlich zu nehmen. Ich merkte: Er findet mich nicht doof, aber das andere ist toller.

Was hat Ihnen noch geholfen, den Weg hin zum „Empty Nest“ besser zu ertragen?

Besonders wichtig fand ich den Kontakt und Austausch mit anderen. Ich habe mich an der Schulter meiner Freundin ausgeweint, mich beklagt, dass mein Sohn so blöd ist und mir trotzdem fehlen wird. Aber darin liegt auch schon wieder der Witz: Warum muss ich eigentlich heulen, weil das anstrengende und manchmal blöde Kind geht? Ich finde es wichtig, dass man aus der Trübsal rauskommt, mit Abstand auf sich schaut und über sich selbst lacht.

„Die großen Muttergefühle passen nicht zum Bild der emanzipierten Frau“

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Wenn das große Kind auf einmal in die Welt raus zieht, trifft das viele Eltern hart.

Der Schmerz der Mütter passiert selten öffentlich. Erlaubt man ihnen solche Gefühle nicht – oder sie sich selbst nicht?

Ich habe mich oft gefragt, warum es Frauen wie mir so schwer fällt. Anders als unsere Mütter, die Hausfrauen waren und tatsächlich vor einer Inhaltsleere saßen, sind Frauen meiner Generation zum Großteil berufstätig und emanzipiert. Dazu gehört, dass man sich nicht nur über die Kinder definiert. Genau deshalb fällt es mir auch so schwer, einzugestehen, dass ich als Mutter so sehr leide. Die großen Muttergefühle passen nicht zum Bild der emanzipierten Frau.

In dem Moment, wo man anfängt, darüber zu reden und von anderen Frauen hört, dass es ihnen genauso geht, wird es schon leichter. Bislang wird nicht groß darüber gesprochen, aber wir haben ja die Chance, das zu ändern.

Der Abschied von den Kindern findet bei vielen Frauen parallel zu den Wechseljahren statt...

Ja, der Auszug der Kinder fällt heute oft mit den Wechseljahren zusammen. Das liegt daran, dass wir die erste Frauengeneration sind, die so spät Kinder bekommen hat. Diese Doppelung ist für die Frauen natürlich noch schwieriger.

Warum ist das Thema Wechseljahre immer noch so negativ aufgeladen?

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In anderen Kulturen sind die Wechseljahre gar nicht negativ belegt. Bei uns aber wird die Frau zu einem Mangel-Wesen erklärt. Es heißt, sie werde unattraktiver, sei nicht mehr so leistungsfähig, ihre Knochen würden poröser. Dahinter steckt eine riesige Medikamentenindustrie, die großes Interesse daran hat, dass Frauen entsprechend gegen den Mangel angehen.

Ein anderer Punkt ist, dass das Mutterbild bei uns unglaublich überhöht ist. Was ursprünglich von den Nationalsozialisten propagiert wurde, sitzt auch heute noch tief. Es ist schon erschreckend, dass viele Frauen denken, sie seien weniger wert, wenn sie nicht mehr fruchtbar sind. Zum Glück findet hier auch ein Wertewandel statt. Frauen zeigen sehr deutlich, dass sie überhaupt nicht bereit sind, sich aussortieren zu lassen.

Ihr Sohn ist vor fünf Monaten tatsächlich ausgezogen, wie ging es Ihnen damit?

Dadurch dass ich vorher so sehr gelitten und meinen Schmerz schon verarbeitet hatte, ging es mir mit dem Moment des Auszugs gut. Ich hatte das Gefühl, dass die Last der Verantwortung von mir abfällt.

Und wie ist der Kontakt zum Sohnemann heute?

Der Kontakt besteht. Und ich versuche, die geringe Taktung auszuhalten. Wir sehen uns alle drei Wochen, telefonieren einmal die Woche. Das ist total in Ordnung, aber natürlich würde ich ihn doch gerne häufiger sehen. Diese Woche habe ich ihn zufällig auf der Straße getroffen und sofort die Gelegenheit ergriffen, ihn mal zu knuddeln.

Buchtipp:Silke Burmester, Mutterblues, Kiepenheuer&Witsch, Köln, 2016

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