Protokoll einer Stotterin„Ich war erschöpft, habe geweint, wollte einfach schlafen“
- Esther Aschbrenner hatte wegen ihres Stotterns häufig Kummer – darüber hat sie mit uns gesprochen.
- In der Schule hätten ihre Brüder sie oft beschützt, sagt sie. Manchmal sei sie trotzdem von Mitschülern gemobbt worden.
- Die Bonner Stottertherapie hat Esther Aschbrenner geholfen – mit einer speziellen Technik.
Köln – Esther Aschbrenners Alltag war durch das Stottern immer anstrengend, am Abend flossen oft Tränen. Im Protokoll erzählt Sie, wie die Behinderung ihr Schulleben gestört hat, wie sie sich beim Stottern fühlt und welche Therapie ihr geholfen hat.
Als Kind habe ich immer geglaubt, es sei meine Schuld, dass ich stottere. Ich habe mich gefragt, warum ich das Stottern nicht einfach lassen kann. Wenn man stottert, ist man immer der Außenseiter, nein, ich war nie richtig Außenseiter, aber man ist einfach anders. Ich kann es nicht erklären. Ich dachte auf jeden Fall, ich selbst sei daran Schuld. Diese psychische Komponente war für mich immer das Schlimmste am Stottern. Schuldgefühle. Man ist nichts wert. Diese Enttäuschung über einen selbst, dass man es nicht kann. Man schafft es einfach nicht.
Lesen vor der Gruppe – ich habe es immer wieder versucht
Lesen vor der Gruppe zum Beispiel. Ich weiß gar nicht warum, aber ich habe es immer wieder versucht. Und nicht geschafft. Ich habe immer wieder versagt. Aber ich wollte lesen. Also habe ich es weiter versucht. Ich wollte normal sein. Aber ich habe es nicht hinbekommen.
Zur Person
Esther Aschbrenner, 18 Jahre, besucht die zwölfte Klasse einer Waldorfschule und stottert seit ihrer Kindheit. Sie ist eine von über 1000 Stotternden, die in den vergangenen 30 Jahren erfolgreich an der Bonner Stottertherapie teilgenommen haben. Vorher hatte sie schon verschiedene Therapien gemacht und viel mit Logopäden gearbeitet. Die stationäre Arbeit in der Gruppe und die Spezialisierung der Therapeuten beschreibt sie wie viele Patienten als herausragende Besonderheit der Therapie in Bonn. Heute spricht Esther relativ flüssig.
Im Kindergarten und in der Grundschule haben mich meine drei älteren Brüder öfter mal beschützt. Damals habe ich überhaupt nicht kapiert, was los war. Erst mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich anders spreche als andere. Die Leute haben mich einfach nicht verstanden. Und die anderen Kinder in der Schule konnten sehr fies sein. Ich konnte mich nicht mit der Sprache wehren, das ist das große Problem am Stottern. Deshalb bin ich meinen Brüdern sehr dankbar.
Jetzt in unserem Gespräch habe ich schon Symptome. Manchmal stottere ich, manchmal mache ich Technik, wie ich halt Lust habe. Manchmal ist es einfacher, zu stottern. Manchmal, so wie jetzt gerade eben, mache ich vorbeugend Technik. Ich weiß, dass ich bei einem Wort gleich stottern werde, dann gehe ich vorher bei einem Wort schon weich rein, ziehe es lang.
Die Bonner Stottertherapie
Die Bonner Stottertherapie wird seit 1989 an der LVR-Klinik in Bonn bei Jugendlichen ab 14 Jahren und Erwachsenen durchgeführt. Das Besondere: Die sehr spezialisierte Behandlung erfolgt stationär und in der Gruppe. Sie ist in zwei Haupt-Phasen (fünf Wochen und drei Wochen) sowie zwei Nachbehandlungen (jeweils eine Woche) unterteilt und vereint die Therapieformen Fluency-Shaping (mit Hilfe verschiedener Techniken das Sprechen flüssiger gestalten) und Stotter-Modifikation (bewusster, angstfreier und ohne Begleitsymptome stottern). Das sei in dieser Intensität, Dauer und Kombination einzigartig in Deutschland, sagt Richardt. „Wir sind hier seit Jahrzehnten auf das Stottern spezialisiert. Wir bringen den Betroffenen nicht nur eine Technik bei, sondern geben ihnen einen ganzen Werkzeugkasten an die Hand.“
Anlässlich des 30-jährigen Bestehens lädt die LVR-Klinik Bonn Interessierte, Betroffene und Experten zum Symposium Stottern am Samstag, 30. November, 9 bis 14 Uhr, in der LVR-Klinik in Bonn ein. Da eventuell die Anmeldezahl die Plätze übersteigt, werden die Vorträge zusätzlich live in die Cafeteria übertragen. Weitere Infos unter:www.stottertherapie-bonn.de
Die Stottertherapie hier in Bonn hat mir unheimlich geholfen. Es ist so komisch, dass ich wirklich sage, was ich sagen möchte. Ich unterhalte mich mit Ihnen und denke nicht darüber nach, was ich sagen will, sondern darüber, dass Sie einen schönen Schal um haben. Das ist noch total ungewohnt. Ich achte auf meine Umgebung, weil ich nicht die ganze Zeit in Gedanken an meinen Sätzen basteln muss.
Vorher habe ich viele Wörte, oft ganze Sätze ausgetauscht
Vor der Therapie habe ich viele Wörter, oft auch ganze Sätze ausgetauscht. Wenn ich wusste, dass ich zum Beispiel bei Auto stottern muss, habe ich gesagt: Ich gehe zu meinem Wagen. Das nimmt einen psychisch komplett mit. Du konzentrierst dich nur darauf, wie du etwas sagst. Und wenn es mal nicht klappt und der Satz am Ende grammatikalisch keinen Sinn ergibt, heißt es: Was hast du dann da schon wieder für einen Unfug geredet? Das ist einfach anstrengend.
Atme erstmal durch. Überleg in Ruhe, was du sagen willst. Man bekommt ständig ein Minderwertigkeitsgefühl vermittelt. Das ist furchtbar. Ich bin nicht geistig eingeschränkt. Ich stottere nur. Was man selbst von Erwachsenen als Kind widergespiegelt bekommt, das ist heftig. Das Schlimmste, das mir mal gesagt wurde, war: „Wie willst du denn Freunde finden?“ Manchmal werde ich auch gefragt: „Machst du das extra?“ – Ja klar, ich habe aus Spaß eine Behinderung. Stottern wird zusammen geschrieben, ja, ja.
Egal, wie aufgeklärt viele Leute heute sind, oft fehlt es an Menschlichkeit. In der Klasse kam es vor, dass der Lehrer gesagt hat, ich solle weiter vorlesen. Die ganze Klasse hat mich in Schutz genommen und gesagt, dass ich nicht weiter lesen könne. Aber der Lehrer hat darauf bestanden. Dann bin ich rausgegangen. Bei den meisten Referaten bin ich irgendwann heulend aus der Klasse gelaufen. Manche Lehrer haben mich später darauf angesprochen und gefragt, was sie anders machen können. Manche haben es gar nicht thematisiert. Es gab Lösungen: Ich konnte Referate schriftlich abgegeben oder es war eine Freundin dabei, wenn ich es gehalten habe.
Manchmal haben mich Mitschüler gemobbt
Natürlich haben mich manchmal Mitschüler gemobbt. Aber da hat meine Lehrerin immer sehr hart eingegriffen. Andere haben in ihrer Schulzeit sehr viel Heftigeres durchgemacht. Schlimm war für mich immer, wenn ich neue Leute kennengelernt habe und nach meinem Namen gefragt wurde. Ich bin Esther – jetzt kann ich das flüssig sagen. Vor der Therapie war das nicht so. Bei seinem Namen kann man nicht ausweichen, den kann man nicht ersetzen. Da kommen dann oft erst mal viele Füllwörter. Ja, ähm, also – ich bin Esther. Man sagt gefühlt zehn Wörter, bis man auf den Punkt kommt. Und wird dann gefragt, ob man seinen eigenen Namen nicht wisse. Sehr lustig. Wenn ich wusste, dass ich die Leute nie wiedersehe, habe ich immer gesagt ich heiße Laura. Dabei musste ich nicht stottern.
Bis zur Therapie konnte ich keine anderen Stotterer hören. Ich konnte die nicht angucken, es ging einfach nicht. Ich wusste genau: So, wie die sich anhören, so furchtbar hörst du dich auch an. Ich habe es auch immer vermieden, anderen Menschen in die Augen zu sehen. Ich hatte das Gefühl, wenn ich die direkt ansehe, dann offenbare ich etwas von mir. Ich gebe etwas aus meinem Innersten preis. Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht, dass jemand diesen Schmerz und alles, was in mir vorgeht, zu sehen bekommt.
Mit Kraft gelingt es nicht
Ich habe immer meine Hände bewegt oder mit dem Daumen der einen Hand den Daumenballen der anderen gedrückt. Darüber habe ich Sprachblockaden, wir nennen das Blocks, ausgemacht. Ich habe auch schon Kreise mit den Daumen gemacht, oder meinen ganzen Körper angespannt, aber da hatte ich dann immer Bauchschmerzen. Das Problem ist: Alles funktioniert immer nur eine Zeit lang. Auch die Füllwörter helfen nur eine Weile. Ich kann mich noch glücklich schätzen, bei manchen Stotterern sind die Begleitsymptome wirklich heftig. Kopfschütteln, Augen zukneifen, sich selbst am Zopf ziehen – das gibt es alles. Man will halt aus diesem Block raus. Ich vergleiche das immer mit einer geschlossenen Tür. Du willst durch die Tür, du willst einfach raus, denn alle anderen haben es schon durch die Tür geschafft. Nur dir gelingt es nicht. Also versuchst du es mit Kraft. Nicht sanft, so wie wir es hier in der Therapie gelernt haben.
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Ich habe trotz des Stotterns immer alles gemacht, was ich machen wollte. Aber am Abend und in der Nacht kam alles hoch, die ganze Erschöpfung. Ich habe es in dem Moment geschafft, auch wenn ich stottern musste wie sonst was. Zu Hause war ich dann so erschöpft, ich habe geweint, ich wollte einfach nur schlafen. Das nimmt einem sehr viel weg. Man fragt sich immer, ob man sich das jetzt wirklich antun will. Kinokarten bestellen zum Beispiel. Aber ich will ja leben. Ich habe Spaß am Leben.