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Was überlasteten Eltern nach den Ferien hilftPsychotherapeut: „Überhöhte Ansprüche führen zum Scheitern“

Lesezeit 7 Minuten
Ein junges Paar mit Kleinkind sitzt auf dem Sofa. Vater und Mutter stützen ihre Köpfe in die Hände.

Nach den Ferien droht der Alltag. Wie Familien den Übergang schaffen, ohne in den Burnout zu geraten.

Die Ferien sind zu Ende. Wie vermeiden Eltern, direkt vom Dolce Vita in den Burnout zu rutschen? Ein Kölner Psychiater gibt Rat.

Herr Dr. Hotz, der Urlaub ist zu Ende, die Kinder müssen wieder zur Schule, die Arbeit geht los, das Fußballtraining, Elternabende stehen an, eine Menge To-Dos sind liegengeblieben. Wie vermeiden Eltern, direkt vom Dolce Vita in den Burnout zu rutschen, was raten Sie als Psychiater?

Sie müssen vor allem bereit sein, Entscheidungen zu treffen. Albert Einstein hat einmal gesagt, es sei verrückt, immer wieder das gleiche zu tun und sich dann zu wundern, wenn auch wieder das gleiche Ergebnis dabei rauskommt. Viele Menschen kommen jetzt aus dem Urlaub zurück und sind guter Dinge, ändern aber nichts. Und dann stecken sie nach wenigen Tagen eben wieder im selben Trott. Gerade mit kleinen Kindern ist Urlaub überdies auch nicht immer „Dolce Vita“, sondern manchmal für die Eltern anstrengender als der Alltag, wenn die Kinder wenigstens stundeweise in der Betreuung sind.

Wieder zu Hause warten zwei aufreibende Jobs, die Schule oder die Kita, oft gleich für mehrere Kinder, vielleicht noch ein Garten, ein Enkelkind, die Schwiegermutter. Wo soll man da was wegentscheiden?

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Wegentscheiden würde ich das nicht nennen. Eines der Probleme unserer deutschen Gesellschaft ist doch, dass wir gerade all das, was mit Familie zu tun hat, sehr überhöhen. Wer von einem Eltern-Burn-out gefährdet ist, hat ein hohes inneres Leistungsideal, hehre Ziele, ist übelst engagiert, verspürt einen unglaublichen Ehrgeiz. Oft hat er sich Kinder sehr gewünscht, schon 24 Erziehungsratgeber gelesen und verlangt von sich, eine ganz tolle Mutter oder ein ganz toller Vater zu sein. Gerade diese hohen inneren Ansprüche an sich selbst führen fast unweigerlich zum Scheitern. Dabei kann man eine super Mutter sein und gleichzeitig zum Sohn sagen: Ich fahr dich heute nicht zum Judo, ich will lieber meine Serie gucken. Ruf doch mal die Mutter deines Freundes an, vielleicht nimmt die dich mit.

Gerade viele Mütter hätten bei einem solchen Satz ein schlechtes Gewissen. So als würden sie sagen, sie hätten keine Lust auf ihre Kinder.

Das ist aber doch Unsinn und eine patriarchale Märchenerzählung. Auch Mütter dürfen mal ihre Bedürfnisse über die des Kindes stellen. Und die Verantwortung abgeben. In erster Linie auch an den Vater. Der ist biologisch für die Kinderbetreuung ebenso gut ausgestattet wie die Mutter. Sowas wie ein Mutter-Gen gibt es nicht. Und auch beim Mental Load kann man sich aufteilen. Im Job schaffen es Männer schließlich auch, sich mit Kollegen abzusprechen und sich zu vertreten. Warum sollte das in der Familie plötzlich nicht mehr gehen?

Sind Eltern in anderen Ländern da weiter?

Wir müssen nicht direkt auf andere Länder gucken. Manchmal reicht schon ein Blick auf die nächste Generation. Meine Frau zum Beispiel hat sich immer extrem aufgeregt, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam und unsere Teenietöchter guckten fern. Ich würde heute sagen: Auch das war Burnout-Prophylaxe. Die hatten einen Schultag hinter sich und gönnten sich erstmal eine Serie. Dass sie nie auf die Idee kamen, gleich nach der Matheklausur das Bad zu schrubben, war eigentlich gesund.

Aber natürlich sind uns auch andere Länder voraus. Es ist ja kein Geheimnis, dass in Skandinavien und Frankreich beispielsweise nicht nur das Angebot an Kinderbetreuung besser ist, sondern dass es auch gesellschaftlich wirklich anerkannt ist, dass Eltern diese Angebote ohne schlechtes Gewissen und Stress annehmen. Diese gesellschaftliche Selbstverständlichkeit gegenüber berufstätigen Eltern schützt vor den inneren Kritikern und damit auch vor Burnout. Sie ist eine bessere Prophylaxe als eine hohe Teilzeitquote. In Deutschland arbeiten so viele Frauen in Teilzeit wie fast nirgends sonst in Europa. Und trotzdem ist die Belastung hoch. Das liegt daran, dass ein selbstbestimmter Beruf mehr zur Zufriedenheit und einem entspannten Eltern-Kind-Verhältnis beiträgt als jeden Morgen die Schulbrote schmieren zu müssen, darin aber keinerlei Erfüllung zu finden.

Dr. Peter Hotz, Psychiater Köln

Dr. Peter Hotz ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie: „Wenn Sie denken, Sie könnten alles Liegengebliebene in einer Woche zusätzlich zum Alltag abarbeiten, werden Sie realistisch und geben sich drei Wochen.“

Wie gehe ich damit um, dass der Berg an Aufgaben ja gerade nach einem Urlaub noch größer ist. Vieles ist schließlich liegengeblieben.

Genau, der Rasen ist einen Meter hoch, in den Koffern liegt die Dreckwäsche, es ist nicht eingekauft, die Schulsachen sind noch nicht vollständig besorgt, die Hausschuhe zu klein, jemand muss das Auto aussaugen. Am besten, die Familie macht gemeinsam eine Prioritätenliste, was dringend erledigt werden muss. Denn manches ist vielleicht gar nicht so wichtig. Natürlich brauchen Kinder regelmäßige Mahlzeiten. Natürlich sollte man ihre Klamotten waschen. Aber letztlich brauchen sie vor allem Kontakt und gemeinsame Zeit. Spielen, glotzen, Fertigpizzaessen – das ist erstmal ausreichend. Und wenn Sie denken, Sie könnten alles Liegengebliebene in einer Woche zusätzlich zum Alltag abarbeiten, werden Sie realistisch und geben sich drei Wochen.


Dr. Peter Hotz, 60 Jahre, ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er leitet die Tagesklinik am Kölner Friesenplatz, wo auch viele Patientinnen und Patienten mit Burnout-Symptomatik behandelt werden. Er ist verheiratet und hat vier Kinder und zwei Enkelkinder.


Laut einer Forsa Umfrage fühlen sich 70 Prozent aller deutschen Eltern „mitunter erschöpft und ausgebrannt“. Man traut es sich kaum zu sagen, aber: Vielleicht brauchen Eltern nach so einem Familienurlaub auch einfach mal ein bisschen Zeit für sich?

Absolut. Jeder hat auch Bedürfnisse jenseits der Familie: Zum Yoga gehen, ins Kino. Das ist mein Recht als Vater oder Mutter und ich würde sogar sagen: Es ist meine Pflicht. Schließlich sind wir ein Vorbild für unsere Kinder. Und die sollten lernen, wir können auch Kinder großziehen und uns im Beruf verwirklichen, ohne im Burnout zu enden. Es sollte also Termine im Kalender geben, die nur für einen selbst oder für das Paar reserviert sind. Die haben dann zu dieser Zeit auch Priorität vor den Bedürfnissen der Kinder und sind nicht diskutierbar. Natürlich muss geklärt werden, wer die Kinder in dieser Zeit betreut. Der Partner, vielleicht gibt es ein älteres Kind, eine Nachbarin?

Ich glaube, alle Eltern nehmen sich das nach so einem Urlaub vor. Warum stecken die meisten von ihnen dann nach spätestens einer Woche dennoch wieder mittendrin im Stress?

Weil man denkt: Ich brauche das ja nicht. Oder sogar: Das steht mir nicht zu. Aber jeder Mensch hat ein Recht auf Erholung. Es gibt auch Mütter, die verstehen diese Aufopferung auch ein Stück weit als ihren USP. Nach dem Motto: Ohne mich geht der Laden unter. Die Wahrheit ist aber: Meistens haben die Kinder auch mit dem Vater oder dem Babysitter einen super Abend. Selbst wenn sie den vor der Glotze verbringen. Und eine Beziehung gestalten, und darum geht es ja in Familien, kann nur derjenige, der nicht auf der letzten Rille läuft.

Was kann bezahlte Hilfe von außen bringen? Also der Pizzaservice ab und zu, ein Babysitter, jemand der dreimal im Jahr die Fenster putzt?

Oft reagieren Eltern im Burnout auf solche Entlastungsvorschläge erstmal mit Widerstand. Das liegt aber meist daran, dass nicht die richtige Hilfe angeboten wird. Mir zum Beispiel täte man gar keinen Gefallen, wenn man mir raten würde, mein Essen zu bestellen statt selbst zu kochen. Die Zubereitung der Mahlzeiten ist zwar Arbeit, aber es ist eine, die mich auch nach einem langen Kliniktag sehr entspannt. Das will ich in keinem Fall delegieren und das sollte man mir auch nicht wegnehmen. Wäsche aufhängen dagegen hasse ich, das würde ich mir jederzeit abnehmen lassen.

Ein paar Me-Time-Termine im Kalender und dafür weniger Idealismus sind schon ein Anfang. Muss sich aber nicht auch politisch etwas tun, damit berufstätige Familien nicht im Burnout landen?

Da empfehle ich die Klassiker: Allen voran eine Ausweitung der Kinderbetreuung. Dann muss es in Kitas und Schulen vernünftiges Essen geben, das den Kindern schmeckt und gesund ist. Das gibt es meist nämlich nicht. Es ist keine Entlastung, wenn die Kinder spätestens um vier hungrig auf der Matte stehen und die Eltern wieder kochen müssen. Und solange die Kinderbetreuung nicht ausgeweitet werden kann, brauchen Eltern natürlich familienfreundlichere Arbeitszeiten. Als ich hier in der Klinik anfing, arbeiteten wir quasi von acht bis fünf Uhr. Aber kaum eine Kita oder Grundschule betreut von halb acht bis halb sechs. Ich wundere mich, dass diese Diskrepanz immer noch so wenigen Arbeitgebern auffällt. Wir müssen Arbeitszeiten so gestalten, dass Eltern ihre Kinder morgens und abends entspannt in die Betreuung bringen und wieder abholen können.