Karsten Brensing und Katrin Linke leben ihren Traum. Doch ihr Leben auf dem Wasser kann manchmal auch ziemlich anstrengend sein.
Reise um die ErdeWie Verhaltensforscher Karsten Brensing mit seiner Familie um die Welt segelt
Einfach die Segel hissen und alles hinter sich lassen – dieser Wunsch sei bei ihrem Mann schon immer da gewesen, erinnert sich Katrin Linke. „Es war Karstens Kindheitstraum“, sagt sie. „Wir waren 19, als wir uns kennenlernten, da hat er mir davon erzählt.“ Damals lebten sie noch in der DDR. Der Traum, dem Alltag zu entfliehen, schien unerreichbar – genauso wie der von einem Studienplatz.
Kurz vor dem Mauerfall entschlossen sich die beiden deshalb, zu fliehen. Sie versteckte sich unter der Rückbank eines VW Polo, er schwamm durch die Donau. Während des Studiums in Kiel (er Meeresbiologie, sie Zoologie) lernten sie schließlich segeln. Wenn sie im Hafen spazieren gingen, schauten sie sich die Boote an, die dort vor Anker lagen, und stellten sich vor, wie es wohl wäre, die Weltmeere zu entdecken.
Um das Verhalten von Delfinen zu erforschen, reisten Linke und ihr Mann Karsten Brensing später nach Israel und in die USA. Sie kehrten nach Deutschland zurück und die Jahre vergingen: Sie heirateten, bekamen ihre beiden Söhne und zogen wieder in ihre Heimatstadt Erfurt. Als aber in der Corona-Zeit die Bootspreise fielen, schien der richtige Moment gekommen. Sie flogen mit ihren Kindern nach Griechenland und zeigten ihnen einen Katamaran, den sie sich vorher ausgesucht hatten. Sie fragten ihre Söhne: Könnt ihr euch vorstellen, dass wir alle zusammen um die Welt segeln?
Reisen sind Vorlage für Kinderbücher
„Die Kinder waren hellauf begeistert“, erinnert sich Linke. „Wir haben dann einen kleinen Vertrag aufgesetzt, in dem steht, dass wir das als Familie machen wollen. Aber auch, dass wir es abbrechen, wenn einer nicht mehr will.“ Sie vermieteten ihr Haus und stachen in See. Drei Jahre ist das jetzt her. Im Moment liegt ihr Katamaran vor der karibischen Insel Aruba. Wenn die Hurrikan-Saison vorbei ist, geht es weiter in Richtung Bahamas.
Es ist keine Urlaubsreise, die Brensing und Linke da unternehmen. Beide arbeiten vom Boot aus. Linke ist heute Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin, und auch ihr Mann lebt inzwischen vom Schreiben. „Wir hatten damals beide Aufträge, bei denen wir wussten, dass wir unterwegs daran arbeiten können“, sagt Brensing. Ein gemeinsames Projekt der beiden ist die Kinderbuchreihe „Ocean Twins“ über die Zwillinge Vitus und Veverin, die auf einer Bootsreise Abenteuer erleben. Genau so heißen auch die Zwillinge von Brensing und Linke, „Ocean Twins“ ist der Name ihres Katamarans. Das echte Leben der Familie dient als Vorlage für so manche Geschichte.
Wie muss man sich den Alltag der Familie Linke-Brensing vorstellen? Ihr Katamaran wurde für die große Fahrt aufgerüstet. Mit Solarpaneelen, der nötigen Technik und einer Aufbereitungsanlage, die aus Salzwasser Trinkwasser macht. „Das ist das coolste Gerät ever“, sagt Linke. Das Boot ist geräumig und hat vier Kabinen: „Jeder hat sein eigenes Reich, das war uns wichtig.“
Ihr Mann nutzt seine Kabine als Büro und steht morgens als Erster auf, um schon etwas zu arbeiten. „Ich mache irgendwann Frühstück, dann geht es mit dem Homeschooling los“, erzählt Linke. Vor Kurzem haben sie sich die Bücher für die sechste Klasse schicken lassen, ihre Söhne werden bald zwölf. Beide Jungen lernen außerdem Gitarrespielen, der Lehrer wird per Video von Portugal aus zugeschaltet. Dank des Satelliten gestützten Internetservices „Starlink“ ist die Verbindung auf hoher See manchmal besser als zu Hause in Erfurt.
„Das Hauptproblem ist die Zeit“
Der Elternteil, der nicht mit dem Unterricht der Kinder beschäftigt ist, schreibt oder recherchiert an eigenen Projekten. So geht ein Tag schnell rum. Am Abend müssen Einkäufe organisiert werden, oft an einem unbekannten Ort und stets ohne Auto. Oder es stehen Reparaturen am Boot an – manche davon dauern Tage. Auch das Segeln selbst nimmt oft mehrere Stunden in Anspruch. „Das Hauptproblem ist die Zeit“, sagt Linke. „Wir haben immer ein Zeitdefizit, dabei wollen wir ja auch etwas sehen von all diesen Ländern.“
Anders als Weltreisende, die vielleicht geerbt haben oder bereits in Rente sind, müssen Linke und Brensing weiter ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie müssen die Ausgaben im Blick behalten, wobei die Preise für bestimmte Lebensmittel auf mancher exotischen Insel extrem hoch sind. Um Geld für Gebühren zu sparen, legen sie zum Beispiel nicht in Häfen an.
Eine Reise mit Höhen und Tiefen
Ihre Reise besteht deshalb zwar aus vielen, aber nicht nur aus Highlights. Linke erinnert sich noch gut an die erste Etappe: das Ablegen von der griechischen Küste, das Hochziehen der Segel im Abendrot und die Gewissheit, dass es nun losgeht. „Diese Freiheit zu spüren, war wahnsinnig toll“, sagt sie. Was ihr weniger gefällt, ist, dass sie auf dem Boot wieder stärker die klassische Rollenverteilung leben. Dass sie kocht und spült, weil ihr Mann das Boot reparieren muss: „Zu Hause haben wir immer alles geteilt.“
Auch Brensing beschreibt manche Erfahrung als ambivalent. Die Überquerung des Atlantiks sei für ihn „eine der schönsten Lebenserinnerungen gewesen“, nie werde er diesen klaren Blick auf die Sterne vergessen. Dabei litt er während der ganzen Zeit an einer Durchfallerkrankung, die er sich auf den Kap Verdischen Inseln eingefangen hatte. Das ständige Schrauben am Boot, weil dauernd etwas kaputt geht, raubt ihm manchmal den letzten Nerv. Immer wieder seien sie während der Reise „echt im Stress“ und zwar „körperlich und mental“, sagt Brensing. „Das Gesamtpaket ist wahnsinnig anstrengend.“
Kein Ende in Sicht
Linke und Brensing sehen zwar viel Schönes von der Welt, aber auch vieles, was sie traurig macht. Hauptsächlich die Folgen des Klimawandels wie tote Korallen und Algenplagen. „Als Meeresbiologe ist mir klar, was das bedeutet, und dass sich dadurch das gesamte Ökosystem verändert“, sagt Brensing. Dazu kommt die Umweltverschmutzung: An Stränden von tropischen Inseln hat er beobachtet, wie sich Meeresschildkröten erst durch den Müll wühlen mussten, um ins Wasser zu gelangen.
Einmal hat die Familie versucht, einen Strand zu säubern. Als Wiedergutmachung dafür, dass auch sie selbst ungewollt die Umwelt belastet. „Am Ende hatten wir 13 Säcke mit Müll und vielleicht nur zehn Meter Strand freigelegt“, erzählt Brensing. Er findet es aber wichtig, seinen Kindern auf der Reise den echten Zustand der Welt zu zeigen.
Trotz allem gibt es sie immer wieder: diese magischen Momente, die man nur auf Reisen erlebt. Wie damals, im Atlantik, als eine Flaute aufkam. Die Familie ankerte mit ihrem Katamaran einfach dort, wo sie war – und feierte ganz entspannt den Geburtstag der Zwillinge. Mit einem Kopfsprung ins Meer.
Ein Ende der großen Fahrt ist noch nicht in Sicht. Im kommenden Jahr wollen die Linke-Brensings den Panamakanal durchqueren. Denn bisher möchte keiner der vier aus dem Vertrag der Familie aussteigen. Schon gar nicht die Jungs, sagt Linke. „Die wollen am liebsten einmal ganz um die Welt“.